LEBENSCODE 1
oder
Der Visionär
„Um die Welt besser zu machen, braucht man keine Milliarden,
sondern gute Ideen.“ Karl-Heinz Semlitsch
„Übel siegt immer auf dieser Welt, weil das Gute seine Mittel nicht kennt und nicht benutzt. Wenn alle Leute wie er wären, würde man auf dieser Erde gut leben.“ Tatiana Hennelová
- Tatiana, für Karl-Heinz Semlitsch sind Sie die zweite wichtigste Frau in seinem Leben, gleich nach seiner Mutter. Obwohl Sie noch kein Ehepaar sind…
T.H.: Das ist wohl eine übertreibende Behauptung. Ich denke, dass jede Frau, die aktuell seine Partnerin war, war für ihn die wichtigste. (Lachen). Es ist für mich eine riesige Ehre und ich halte das für ein großes Geschenk von meinem Schicksal, dass ich in seinem Leben sein und an seiner Seite stehen kann. Wir brauchen dafür keine Ehe. Unsere Liebe ist die stärkste Fessel.
- Wer ist Karl-Heinz Semlitsch? Die Öffentlichkeit kennt ihn als einen genialen Wissenschaftler, einen der erfolgreichsten Unternehmer Österreichs, einen Wohltäter… Was bedeutet er aber für Sie?
T.H.: Das ist Wahrheit. Er ist ein genialer Wissenschaftler. Aber ein Wissenschaftler mit dem Geist eines Kindes.
- Das ist eine seltsame Behauptung. Ein Mann, der eine erfolgreiche Firma leitet, die er von nichts aufgebaut hat, der hundert Mitarbeiter betreut, der sich mit den bedeutendsten Firmen der Welt trifft, mit Automobilkonzernen zusammenarbeitet…
T.H.: Ja. Er ist wirklich ein erfolgreicher Unternehmer und ist im Leben weit fortgekommen und ich glaube, dass er noch mehr erreichen wird. Seine Schuldlosigkeit und ein bisschen Naivität liegen in seinem großen und guten Herzen auf. Wenn man in ihn schlägt, antwortet er nicht mit einem Schlag. Er ist machtlos gegen die menschliche Bosheit, deshalb missbrauchen ihn viele Leute.
- Es ist traurig. Es ist fast unglaublich, dass er in dieser gefährlichen und „bösen“ Welt schon so viel erreicht hat.
T.H.: Ich selbst spüre für ihn eine gewisse Verantwortlichkeit. Vielleicht wie jeder, der jemanden liebt. Ich habe Bedürfnis, ihn zu schützen, ihm zu helfen, seine Augen zu öffnen, denn manchmal braucht er das. Man kann sagen, dass ich in meinem Gefühl gegenüber ihm auch meinen Mutterinstinkt realisiere. (Lachen)
- Schützen, helfen… Es klingelt mehr „männlich“. Er als Darsteller des „stärkeren“ Geschlechtes fühlt sich nicht schwach in dieser Position?
T.H.: Ich glaube nicht. Heinz lässt sich schützen, denn er ist eine starke Persönlichkeit. Sein Herz ist groß und offen. Er hatte nie böse Gedanken. Ja, Männer wollen meistens ihre Schwächen nicht zeigen. Aber er ist sich seiner inneren Kraft bewusst und auch dessen, dass ich seine Schwachheit nie missbrauche und ihn nie demütige. Umgekehrt. Auch deshalb schätze ich ihn sehr. Wir tun uns einander nie weh. Weder mit Wort, noch mit Tat.
- Zwei Paradoxen verstecken sich in ihm...
T.H.: Ja, Heinz liebt Plüschspielzeuge, Osterhäschen… Und auf der anderen Seite nennen ihn die bedeutendsten und reichsten Menschen dieser Welt „Karbonkönig“ und sie schätzen ihn als Unternehmer und Wissenschaftler sehr. In bestimmten Sachen ist er ein Perfektionist und andererseits existiert er in einem für mich unvorstellbaren Chaos und orientiert sich darin sogar problemlos.
- Für Sie ist es unvorstellbar. Können Sie ihm diese „Unordnung“ tolerieren?
T.H.: Es ist wahr, dass ich pünktlich bin und Ordnung mag. Aber ich bin mir bewusst, dass für seinen genialen Kopf diese Sachen Nutzlosigkeiten sind, die ihn nur um Zeit berauben. Er liebt seine Rituale, wie die Unordnung auf dem Tisch - Stöße der Papiere, die auf den Boden fallen, die Kleidung, die er nach dem Ausziehen möglichst weit hinauswirft… Und ich lasse ihn es beenden und dann sammle ich sie leise und lege auf ein Häufchen. (Lachen)
- Es ist erstaunlich, dass Sie so tolerant gegenüber seinen Schwächen sind.
T.H.: Es ist gegenseitig. Wir haben uns nie gestritten.
- Wie ist das möglich?
T.H.: Wir lieben uns so stark, dass wir uns absolut respektieren können. Wir schätzen uns gemeinsam so sehr, dass wir nicht streiten können. Unsere Meinungen sind für uns gegenseitig sehr wichtig. Deshalb einigen wir uns auch in den Sachen, auf die wir eine andere Meinung haben. Und über unseren Schwächen lächeln wir nur.
- Nicht jeder hat im Leben solches Glück, die Liebe wie aus einem Roman zu finden.
T.H.: Ja. Wir sind traumhaft glücklich. Ich habe auch nicht geglaubt, dass ich so was einmal erleben werde. Ich habe tausende Leute gekannt und treffe täglich neue, aber mit niemandem in meinem fünfzigjährigen Leben habe ich so eine Verbindung gespürt. Es ist so wunderschön, dass es unglaublich wirken kann. Ich habe nie geträumt, dass so ein Wesen mit allen Parametern, die für mich wichtig sind, überhaupt existieren kann.
- Wie ist also Karl-Heinz Semlitsch als Mensch?
T.H.: Für mich ruht seine Genialität darin, dass er die Sachen weiß, die er nie im Leben irgendwo gelesen oder gehört hat. Seine Vernunft arbeitet in Kategorien, die für Mehrheit Menschen unbekannt sind. Ich liebe ihn, weil er so klug ist und auch, weil er sich schön zu allen Menschen verhält – zu fremden, nahen, Freunden, Mitarbeitern. Und auch deshalb, dass er als Mann fantastisch ist. Er hat alle Eigenschaften, nach denen sich Frauen sehnen: er ist aufmerksam, lieb, opferwillig, zärtlich… Für mich ist er liebreizend sowohl als Mensch, als auch als Wissenschaftler.
- Es scheint, dass er völlig vollkommen ist. Es ist schön, wenn wir jemanden von solchem Anblick sehen.
T.H.: Für mich ist er vollkommen. Wichtig ist für mich seine Zärtlichkeit. Ich gebe sie auch gern und er braucht sie. Wir haben nie genug Liebesgeständnisse.
- Es ist wirklich unglaublich, dass es zwischen Mann und Frau so eine Übereinstimmung auf allen Seiten geben kann. War es vom Anfang an so?
T.H.: Nein. Zuerst habe ich nicht gedacht, dass ich ihn lieben könnte. (Lachen) Aber er war mir überraschend nah schon vom Anfang an. Zuerst war er für mich nur Klient, aber wir haben sehr bald festgestellt, dass wir uns immer was zu sagen hatten. Er war ein sehr angenehmer Gesprächspartner, wir haben zusammen viel gelacht. Er war intelligent und trotz seiner Erfolge bescheiden.
- Es ist erstaunlich, wenn man trotz Vermögen und Erfolg bescheiden bleibt.
T.H.: Ja, nur ein sehr kluger Mensch kann bescheiden bleiben, obwohl er viel erreicht hat. Dazu braucht man einen starken Charakter. Nur große Persönlichkeiten schaffen menschlich zu bleiben. Und das hat mir an ihm vom Anfang an imponiert.
- War Ihr Zusammentreffen also zufällig? Habt ihr euch mittels Arbeit kennengelernt? Eine Slowakin und ein Österreicher…
T.H.: Heinz behauptet, dass das kein Zufall sein konnte. Dass wir uns treffen sollten. Wir beide waren damals am Lebensscheideweg und haben überlegt, in welche Richtung wir gehen sollten. Wir haben uns beide von unseren damaligen Partnern getrennt, denn wir haben gespürt, obwohl wir es uns noch nicht gesagt haben, dass uns zueinander etwas Kräftiges sehr angezogen hat. Und wir haben unsere Emotionen so sehr entwickelt, dass er mir zu fehlen begonnen hat, obwohl er nur noch mein Klient war. Das erste Signal war, dass es mich am Herzen gestachelt hat, als wir uns nach dem Arbeitszusammentreffen verabschiedet haben und er gesagt hat, dass er wieder erst nach einem Monat wieder kommt.
- Wie lösen Sie die Entfernung von 600 km, die zwischen Ihnen liegt? Kann eine Fernbeziehung funktionieren?
T.H.: Wir sind ein Beispiel davon, dass man den Weg findet. (Lachen) Wir treffen uns so oft, wie es nur möglich ist und wir telefonieren täglich stundenlang. Jedes Wochenende reisen zueinander und wir verbringen zusammen auch jeden freien Augenblick und Tag, wenn wir nicht arbeiten müssen. Das Einzige, was mir zum totalen Glück fehlt, ist mehr zusammen zu sein. Aber der Weg zu diesem Ziel ist wunderschön.
- Sie bauen gerade Ihr Liebesnetz zusammen...
T.H.: Ja, in Plavnica, einem schönen Dörfchen in der Ostslowakei, bauen wir unser gemeinsames Haus und ich hoffe, dass wir dort möglichst viel Zeit zusammen verbringen werden, gemeinsam mit unseren Kindern.
- Karl-Heinz ist neben Unternehmer und Wissenschaftler auch der Vater von zwei Söhnen. Wie ist Ihre Beziehung mit ihnen?
T.H.: Ich kann sagen, sehr gut. Wir mögen uns einander und ich denke, auch Kristof und Alex freuen sich, dass sie ihren Vater endlich glücklich sehen. Und Heinz ist ein wunderbarer Vater, was für mich auch ein sehr wichtiges Attribut ist.
- Fühlen Sie sich in Ihrer Beziehung geliebt? Hat überhaupt ein Mann seines Formats Möglichkeit, sich bei so vielen Pflichten einer Frau zu widmen?
T.H.: Es ist wahr, dass er sehr beschäftigt ist und auch wenn er gerade nicht arbeitet, überlegt er ständig. Er hat seinen Kopf immer voll von Ideen und Gedanken und in manchen Hinsichten ist er wirklich wie von einem anderen Planet. (Lachen) Aber wir führen zusammen Diskussionen über verschiedene Themen, unterhalten uns oft wie Unternehmer, analysieren unsere Arbeitsprobleme, Politik… Ich kann sagen, dass meine Meinungen für ihn oft nützlich sind und er hört sie gerne. Seine Liebe beweist er mir besonders mit großen Taten. Es ist für mich riesige Ehre, wenn ein Mann wie er manchmal unter meinem Einfluss seine Meinung und Entscheidung ändert.
- Die Geschichte von diesem Mann war kein Märchen und er musste im Leben viel überwinden, um das zu erreichen, was er erreicht hat. Ihre Beziehung wirkt aber auf uns wie ein Märchen.
T.H.: Ja, für uns ist es ein Märchen. Es ruht hauptsächlich darin, dass wir uns schätzen. Wir überlegen in gleichen Kategorien, über gleiche Sachen. Es passiert oft, dass er laut sagt, was ich im Moment denke. Es gibt zwischen uns eine bestimmte mentale Harmonie.
- Versteht ihr euch gut auch in der intimen Sphäre?
T.H.: Es ist unglaublich, aber ja, auch in diesem Bereich sind wir völlig harmonisiert. Schon unser erster Kuss war herrlich und je mehr wir uns kannten und näherten, desto schöner es war.
- Nach Ihrer Beschreibung ist Karl-Heinz Semlitsch ein vollkommener Mann.
T.H.: Ja. Und auch seine geringen Makel sind für mich rührende Bestandteile seiner Persönlichkeit. Einfach der Mensch mit Lebenscode 1.
- Karl-Heinz lacht manchmal, dass Sie ein bisschen Hexe sind...
T.H.: Ja. (Lachen). Ich befasse mich ein bisschen mit der Nummerologie und mit anderen alten Wissenschaften, die seit fernen Zeiten die Zukunft enthüllt und viele Fragen beantwortet hatten. Und hier irrt sich die Nummerologie wieder nicht. Nach der Berechnung, mit der man den „Lebenscode“ oder „Lebensnummer“ feststellen kann, gilt für Heinz Nummer 1. Auch laut dieser Wissenschaft und Naturgesetzlichkeiten stecken unter dieser Nummer die bedeutenden Persönlichkeiten, die zu großen Sachen vorherbestimmt sind, außergewöhnliche Gegebenheiten haben und mit eigener ehrlichen Arbeit große Dingen erreichen. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für die ganze Menschheit. Und genau so ist Karl-Heinz.
1.
Ich habe schon immer gewusst, dass aus meinem Sohn ein außergewöhnlicher Mensch werden wird. Ich habe vier Kinder zur Welt gebracht und auf alle war ich stolz wie eine jede Mutter. Aber mein Bübchen überzeugte mich von Anfang an von seiner Außergewöhnlichkeit. Ganz schlau sah er mich mit seinen rabenschwarzen Augen aus seinem Wickelkissen heraus an, als wenn er mir versichern wollte, dass er mit der schlechten Welt, in die er hineingeboren wurde, gewiss zurecht kommen würde.
Ich habe zwar in vielerlei Hinsicht versagt, aber trotz meiner Schwächen und meines frühen Abschieds von dieser Welt bin ich stolz auf das, was ich vollbracht habe. Jetzt blicke ich von weit oben auf meine armen Kinder und behüte sie vom Himmel heraus. Meine Söhne sind zu erwachsenen Männern herangereift und aus meiner Tochter ist eine starke Frau geworden. Sie hatte es nicht leicht im Leben. Doch wenn alles im Leben einen Sinn hat, dann nehme ich an, der Tod hat mich aus irgendeinem Grund zurecht so früh zu sich geholt.
Und Heinzi, mein schlauer Bursche, wäre sehr wahrscheinlich nicht so geworden wie er wurde, wenn ich ihn damals nicht verlassen hätte. Von klein auf war er anders. Anders als seine Geschwister, und anders als der Rest der Familie. Ich wage zu behaupten, er unterschied sich auch von den gewöhnlichen Dorfkindern. Und mein Mann schöpfte immer häufiger den Verdacht, unser Sohn wäre gar nicht sein eigen Fleisch und Blut. Denn wie konnte ausgerechnet er – ein zwar starker und fleißiger, aber letztlich einfacher und armer Mann aus den Bergen – ein Genie zeugen. Es war ein Wunder.
Heinzi war ein riesiges Geschenk für mich, auch wenn ich mich auf der Erde lebend nur sechzehn Jahre an ihm erfreuen durfte. Ich liebte ihn mehr als alle Mütter zusammen ihre Söhne lieben.
Wir waren keine 'reinen' Österreicher. Das war unser Schicksal. Wir bemühten uns, etwas Besseres zu sein, und das lag womöglich auch daran, dass wir aus dem 'Heiligen Land' stammten und der Ansicht waren, wir seien für ein besseres Leben vorgesehen. Das Heilige Land - Kocevje - gehörte in früheren Zeiten einmal zu Österreich, bis es nach dem ersten Weltkrieg ein Teil von Jugoslawien wurde.
Die 'Kocevjens' waren deutschsprachige Einwohner, die in Slowenien als ethnische Minderheit angesehen wurden. Mit der Zeit wurde auch die deutsche Unterrichtssprache vollständig durch die jugoslawische ersetzt. Nach dem Einmarsch der Wehrmacht fanden in Kocevje ethnische Säuberungen statt. Die ursprünglichen Bewohner wurden ermordet oder nach Deutschland deportiert.
Roman Semlitsch, der Vater von Karl-Heinz, war einer von neun Geschwistern. Bis zum Einmarsch der Nazis lebten alle friedlich auf einem großen Bauernhof. Dann – kurz nach Kriegsbeginn – erschien in unserem Tal die Gestapo. Die Deutschen wollten alle Männer und Jungen, Väter und Söhne mit sich nehmen. Doch Romans Vater gab seine Söhne nicht her. Wie hätte er sie auch nur gehen lassen können? Er konnte den Bauernhof nicht alleine bewirtschaften, schließlich brauchte er ihre Hilfe auf den Feldern und in den Ställen. Nach gut einer Stunde begannen die ersten Gewehrsalven und als Vorwarnung wurden sogleich einige Männer des Dorfes hingerichtet. Diejenigen, die sich weigerten, für die Deutschen in den Kampf zu ziehen und die, denen das Leben ihrer Kinder wertvoller war als das eigene, wurden vor eine Mauer gestellt und erschossen. Man ahnte nicht, wie schnell man zu einem Kriegsverbrecher wurde. Auch meinen Roman hätten die Deutschen wie seine drei Brüder mitgenommen, hätte er sich nicht bei den Nachbarn versteckt. All seine Geschwister hat er nie wieder gesehen. Obendrein verlor er auch noch seinen jüngsten Bruder, der einer gewöhnlichen Grippe erlag und in seinen Armen starb. Seit dieser Zeit konnte mein Mann kein Kind mehr in seine Arme nehmen.
Ja, es waren schwere Zeiten, von denen die jüngeren Menschen sich heutzutage keine Vorstellung machen können. Auch Romans Vater wurde umgebracht. Und der Bauernhof wurde beschlagnahmt. Die Kinder wurden einfach vom Gut vertrieben und so nahm die Armut ihren Lauf. Anfangs barfuß und im Besitz nur eines einzigen Hemdes zogen sie von Bauernhof zu Bauernhof und ihr einziger Lohn war etwas zu essen. Gelegentlich bekamen sie Ersatzkleidung und vielleicht einmal pro Jahr von anderen abgetragene Schuhe, die für sie repariert wurden. Als sie junge Tagelöhner waren, war 'Geld' für sie ein Fremdwort. Für jede Brotkruste waren sie dankbar…
Aber das Schicksal wollte es so, dass Roman überlebte. Nach dem Krieg ging er in die Welt, um sein Glück zu suchen. Und Österreich versprach ihm einen Neubeginn. Er war ein sehr attraktiver Mann und ich – obgleich verheiratet - konnte ihm nicht widerstehen und verliebte mich in ihn. Mir war es gleichgültig, dass er mir nicht viel bieten konnte. Doch das Wenige, das er mir bot, war weit mehr, als das, was ich von meinem ständig betrunkenen Ehemann bekam. Obwohl dieser mich nicht schlagen wollte, tat er es immer wieder, bat mich jedoch jedes Mal danach um Entschuldigung. Er gehörte zur sogenannten 'Verlorenen Generation' und quälte sich durchs Leben, denn er war einer von vielen, die aus dem Krieg zurückkehrt waren und versuchten, ihr Leiden im Alkohol aufzulösen.
Er konnte sich auch nicht davon fassen, dass er hier blieb, obwohl seine Freunde vor seinen Augen zerschossen wurden. Ich bemühte mich, ihn zu begreifen, aber ich konnte mit ihm nicht mehr leben.
Roman war hier. Dandy in Lederjacke, es fehlte ihm nur noch ein Motorrad und auch das besorgte er sich bald. Die Mädchen standen bei ihm Schlange und ich war unheimlich stolz darauf, dass er gerade mich auswählte. Ich wusste, dass er nicht nur mir gehörte, aber es reichte mir, dass ich nur ihm gehörte. Ich ging mit ihm mit und wir bezogen unsere kleine Hütte. Es war eine elende Behausung, feucht und kalt, keine Elektrizität und kein Wasser, nur das, was vom dem Dach floss, unter den Füßen Stampfboden. Überall roch es nach Moder und Keimen, aber es war mir egal. Es war unser Königreich. Als mich Roman heiratete, hatte ich schon zwei Kinder und war nicht die Jüngste. Während ich mich um sie kümmerte, plagte er sich im Kohlewerk. Er war gewöhnt, täglich ums Überleben zu kämpfen, mit den Händen zu arbeiten, mit letzten Kräften zu schuften, um mir und unseren Kindern den Unterhalt zu sichern. Er selbst beklagte sich nie über die Not. Und als schließlich mein Engelchen Heinzi geboren wurde, sah ich Christus in ihm. Er wurde doch auch in einem Stall geboren. Ich irrte mich nicht sehr. Auch meinen Sohn erwarteten auf dieser Welt viele Aufgaben.
Mein Mann war geschickt und beharrlich, in diesem war der Sohn seinem Vater ähnlich. Bald baute uns Roman ein neues Häuschen. Aus dem Nichts. Aber die Menschen in dieser Zeit waren anders. Sie halfen sich gegenseitig. Alle unsere neuen Nachbarn fügten ihre Kräfte zusammen, damit unser neues Palais entstehen konnte. Und es gelang. Ich hoffte nicht, dass sich unsere klägliche Existenz so sehr verbessern wird. Wir waren bescheiden und erwarteten nicht viel vom Leben. Ich hoffte nur, dass sich mein Asthma nicht zu sehr entwickeln würde und es war vielleicht auch gut, dass wir unsere Hütte früher verlassen konnten, bevor mich die Krankheit völlig brach. Ich hatte bereits drei Kinder und das Vierte war unterwegs. Und ich gab ihnen alles, was ich konnte. Ich entschied mich, auch ein bisschen Geld für die Familie zu verdienen, auch wenn nicht viel. Unser Haus hatte zwei Stockwerke und ich entschloss mich, das Obere Arbeitern aus Jugoslawien zu vermieten. Es rentierte sich. Ich schrieb mir sorgfältig alle Einnahmen meines kleinen Unternehmens in Kontobücher auf. Und das Geld, wenn es mir gelang, etwas beiseitezulegen, benutzte ich für die Bedürfnisse der Kinder oder meiner Geschwister, wenn sie es brauchten.
Die Kinder wollte ich immer bei mir haben. Nicht einmal Karl-Heinz schickte ich in den Kindergarten. Wir waren unzertrennlich, verbrachten zusammen Tag und Nacht. Ich brachte ihm alles selbst bei, wenn mir neben dem Haushalt noch ein wenig Zeit übrigblieb. Und ich bemühte mich, obwohl es bei meinem wilden Mann nicht immer leicht war, den Kindern ein wirkliches Zuhause- und Wärmegefühl zu vermitteln. Roman war kein Engel. Seine verzaubernden Blicke warf er oft an die falschen Stellen – in die Dekolletees der jüngeren und hübscheren Frauen und schließlich auch in tief ins Glas. Ich floh vor meinem ersten Mann, weil er trank, und mein zweiter tat es bald auch. Es ekelte mich an. Und in den Augenblicken, in denen er schrie, mit Sachen schlug und dumm und böse war, hasste ich ihn sogar. Ich musste die Kinder vor ihm schützen aber ich schaffte es nicht immer. In den Momenten, die die Menschen üblich zusammen in Freude und Liebe erleben, zu Weihnachten und Ostern, wartete ich angespannt auf das Schlechteste und schaute beunruhigt auf die Uhr, weil mein Mann wieder weg war. Wenn er nicht einmal zum Abendessen kam, setzte ich die Kinder an den Tisch und wir beteten zusammen in der Hoffnung, dass er bis Ende des Gebets doch noch kommen würde und vielleicht nicht total betrunken. Meistens war es nur eine leere Hoffnung.
Aber ich zeigte meine Enttäuschung nicht. Die Kinder sollten doch nicht sehen, wie ich litt. Alles war so, wie es sein sollte. Ich hatte immer öfter einen bitteren Geschmack im Mund und hätte ihn am liebsten angespuckt, als er nach Suff stinkend nach Hause kam. Er war dann in der Laune, in der es besser war, ihn in Ruhe zu lassen. Aber trotzdem … er war mein Mann und Vater zwei meiner vier Kinder, die ihn lieben mussten, weil er sich nicht ändern wird.
Manchmal plagte mich mein Gewissen, dass ich für sie keinen guten Vater auswählte und dass es mit ihm aus dem Regen in Traufe ging aber ich machte auch andere Fehler. Zum Beispiel rauchte ich zu viel, denn wenn ich mit meinen kranken Lungen den bissigen Rauch einatmete, betäubte es mich. Jetzt weiß ich schon, dass ich mit jeder weiteren Zigarette langsam meinen eigenen Sarg auskleidete, damals hätte ich das aber nicht zugegeben. Das Asthma verbesserte sich in unserem herrlichen Haus und richtig krank begann ich mich erst später zu fühlen, als auch noch Krebs hinzukam. Aber ich musste aushalten, was immer auch geschah. Die Kinder brauchten mich. Und vor allem mein Sonnenschein Heinzi...
I. „Die Welt war für mich immer zu klein.“ Karl-Heinz Semlitsch
An meine Kindheit erinnere ich mich wie die meisten Menschen nicht viel. Vielleicht nur das wunderbare Gefühl der Wärme, das ich plötzlich kennenlernte, als ich drei Jahre alt war und wir aus unserer Ställchen in die luxuriöse Unterkunft in der Dorfmitte umzogen.
Es war ein Paradehaus mit Heizung, ohne die ständige Feuchte und es hatte sogar elektrisches Licht. Bis heute erinnere ich mich noch, wie gern ich zuschaute, als es mein Vater zusammen mit den Nachbarn fertiggestellte. Ich saß häufig oben im Zimmer auf dem Fensterbrett und beobachtete ihn, wie geschickt er war. Aber in meinem Vater war auch etwas Raues. Es zeichneten ihn alle die Jahre des schweren Lebens und der Schufterei und vielleicht auch die fehlende Wärme, die ihn um Zärtlichkeit, Gefühle und Menschlichkeit brachte. Ich war wohl erst sechs und wusste schon, dass mein Vater für mich kein Vorbild war. Vielleicht nur ein Vorbild dessen, was ich nicht werden wollte. Ich sehnte mich nicht so zu sein wie er. Trotzdem musste ich ihm dankbar sein – das wusste ich erst später – für viele Sachen, vielleicht auch für das schlechte Vorbild. Ich war anders und schon als Kind auch ein bisschen seltsam.
Meine ganze Welt konzentrierte sich zuerst nur auf den Rockzipfel meiner Mama, den ich ständig hielt, wenn sie gerade keine Zeit für mich hatte. Als ich größer wurde, vergrößerte sich auch mein Horizont um den Hof und das nahe Umfeld, wo ich mit unseren Nachbarinnen und Brüdern tobte und verschiedene Schelmereien trieb. Ich träumte immerwährend. Ich war ein typischer Träumer, für den die Welt hier unten und zu Hause zu eng war. Schon mit sechs Jahren hatte ich große Pläne. Außer der Weltreise und unendlichen Weiten, die auf mich in meiner Fantasie in den buntesten Farben warteten, war ich sicher, dass ich einmal reich und erfolgreich werde. Allein dieser Status war aber nicht das, was mich am meisten lockte. Ich wollte mein eigener Herr sein und mein eigenes Unternehmen gründen. Seit der ersten Klasse war es mir klar, dass mich das Schuften in einer Fabrik oder im Wald nicht befriedigen und die harte Arbeit mich nicht so wie meinen Vater erfüllen würde, der sein Leben täglich mit zwei oder drei Gläschen feierte. Ich wollte mehr. Ich wollte nützlich sein, viel wissen und können, um anschließend die erworbenen Kenntnisse und Erfahrungen zu nutzen, um die Menschheit zu bereichern. Ich wollte mit einem Werk beitragen, das nicht klein sein sollte. Trotz der Bedingungen, in denen ich aufwuchs, sehnte ich mich immer nach etwas Höherem. Ich ahnte, dass ich auf dieser Welt nicht nur dafür war, um Bäume im Wald zu fällen und allen Kerlen im Dorf zu zeigen, dass WIR – SEMLITSCH – die größten Muskeln hatten und sie alle jederzeit bei einem Kneipenkampf zu verprügeln schafften. Meine Brüder und mein Vater waren wild. Und ich – ein hoffnungsloser Romantiker mit klaren Zielen. Ich wollte meine Hände für etwas Sinnvolles nutzen, was zu dieser Zeit noch nicht völlig definiert war.
Ich verstand diese Leute nicht. Und ich konnte mir auch nicht meine Mami anschauen, die das raue Leben gehorsam mit dem Mann teilte, der sie überhaupt nicht schätzte. Die sich so sehr opferte, bis sie nicht mehr die Kraft hatte, weiter zu leben und daran schließlich erlag. Ich war sauer auf mich selbst, dass ich noch klein und machtlos war und sie nicht beschützen konnte. Sie war für mich alles. Nicht nur die Quelle unseres warmen Abendessens und allerlei Näschereien, die sie für uns jeden Tag zubereitete, sondern auch die Quelle der Wärme und jeglicher Form der Zärtlichkeit, der Liebkosungen und des Streichelns. Sie war für mich Schutz und Umarmung, die immer bereit war, mir ein Versteck und Sicherheit zu geben. Und das brauchte ich – auch nach ihrem Tod – ziemlich oft.
Ich glaube, dass sie mich immer noch beschützt. Unaufhörlich bewacht sie mich, jetzt noch mehr, als damals, als sie noch physisch da war. Sonst gäbe es mich längst nicht mehr. Sie ist zusammen mit einem andern mir sehr nahen Wesen, die mich ebenso zu früh verließ. Beide beobachten mich von oben und behüten mich. Denn sie wissen, dass ich hier noch einige Pflichten habe.
Die Glücksgöttin hat das Gesicht meiner Mutter. Anders könnte ich mir das nicht erklären. Denn sie verließ mich bis heute noch nie, wenn ich sie gebraucht hatte. Sonst hätte ich längst tot sein können. Zum ersten Mal wäre es wohl, als ich acht Monate alt war.
Meine Schwester Irmgard ist nicht böse und im Grunde wollte sie mir auch damals nicht wehtun. Ich bin überzeugt, dass sie nur wütend auf mich und auf die ganze Welt war. Auf mich, weil während ich im Kinderwagen herumlag, musste sie ihn schieben, statt mit ihren Puppen oder Freundinnen zu spielen oder sich einer anderen gottgefälligen Tätigkeit zu widmen. Und sie war sicher auch ein bisschen eifersüchtig, denn seitdem ich auf der Welt war, bekam sie viel weniger Aufmerksamkeit, wie es manchmal mit älteren Geschwistern passiert (ich kann das sehr gut verstehen). Und so entschied sie sich eines wunderschönen sonnigen Tages, mich einfach loszuwerden. Wenn auch nicht endgültig, wollte sie mir mindestens einen Denkzettel verpassen, damit ich nicht erwarte, ständig bevorzugt zu werden. Sie entschloss sich, mich mit dem Kinderwagen zu beseitigen oder hoffte, wenn sie mich vom Berg fahren lassen würde, dass ich vielleicht erst unten im Dorf vor dem Haus stehen bleibe und sie mich nicht mehr vor sich schieben muss, oder dass ich irgendwo unterwegs rausgeschleudert werde oder auf einen Stein pralle…
Ich weiß nicht, was sich in diesem Augenblick in ihrem Kopf abspielte, als sie mich im Kinderwagen bergab fahren ließ. Es fehlte nicht viel und es wäre meine letzte Fahrt gewesen. Schon in der Sekunde nach ihrer Entscheidung, den Kinderwagen zu schupsen - und er schoss gehorsam den Steilhang hinunter - war ihr klar, dass es keine gute Idee war und sie bereute ihre Tat. Aber es war zu spät. Während ich meine erste Adrenalinfahrt in unerwarteter Geschwindigkeit genoss und vielleicht auch vor Freude jauchzte, lief die Arme schreiend mir nach, als ob sie gehofft hätte, dass ich die Handbremse ziehe. aber sie schaffte es nicht, mich zu erreichen. Der Berg war ziemlich steil und hier und da ragten vom Boden auch einige Steine empor. Mein Wagen prallte erstaunlicherweise auf keinen oder schwebte vielleicht, ich weiß nicht. Jedenfalls blieb ich drin sitzen und wurde nicht ausgekippt, schlug mit meinem Kopf auf keinen Fels und brach mir keinen meiner Knochen. Dies wäre sowieso fast unmöglich gewesen, da ich nur acht Monate alt war und ein Sprichwort sagt, dass Kinder in diesem Alter wie aus Gummi sind. Nichts davon passierte und ich überlebte diesen ungeplanten Angriff. Ich genoss es sogar und schrie gar nicht. Vielleicht erst später vor Aufregung als es vorbei war. Nach diesem Berg folgte ein weiterer Hang, aber dieser führte nach oben und mein Wagen schwang wie eine Kugel, die man in einem Tal kullert. Mit der Wirkung der Schwungkraft fuhr der Kinderwagen ein Stück nach oben, dann nach unten und wieder nach oben und so weiter, bis er in der Mitte stehen blieb. Genau in dieser Sekunde lief meine abgehetzte Schwester Irmgard mit sorgenvollem Gesicht zu mir, um mich mit zitternden Händen hochzunehmen und sorgfältig zu kontrollieren, ob ich wirklich lebte und in einem Stück blieb. Dann brachte sie mich in ihren Armen mit noch mehr Tränen der Erleichterung nach Hause in der Angst, dass sie einen weiteren Hassanfall haben könnte. Sie war damals kaum neun Jahre alt und sonst liebte sie mich bestimmt.
Es gab mehrere Begegnungen mit dem Tod in dem halben Jahrhundert meines Lebens, deshalb bin ich davon überzeugt, dass es einen guten Grund dafür gibt, dass ich immer noch da bin. Oder ich habe einfach nur mehr Glück als Verstand.
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2.
Ich war auf meinen Heinzi riesig stolz, als ich ihn festlich angezogen im neuen Kleid mit einer großen Zuckertüte, wie es sich für einen Erstklässler gehörte, zur Schule begleitete. Es war ein bedeutender Tag. Bis dahin ahnte der Arme nicht, was Schule ist. Er konnte sich nicht vorstellen, wie es ist, mit anderen Kindern Zeit zu verbringen, wenn ich die Kinder aus der Nachbarschaft nicht mitzähle. Ich hatte ihn immer nur bei mir, auch wenn die anderen Kinder in den Kindergarten gingen. Es war wohl eine Fehlentscheidung, aber er war zu Hause. Er konnte sich doch bei all den Kinder anstecken, die von ihren Müttern krank in den Kindergarten geschickt wurden. Außerdem mussten sie auch die Launen der Erzieherinnen ertragen - wie konnte es da für sie besser sein als die Mutterliebe, die ich meinem Sohn schenkte? Ich widmete mich nur der Familie und war überzeugt, dass es das Beste für sie war. Und ich wusste auch, dass ich ihn später nur mehr und mehr verlieren würde. Es war wohl auch ein bisschen egoistisch von mir, aber in erster Linie dachte ich an das Gute für mein Engelchen.
Deshalb fürchtete ich mich ein bisschen, wie er seinen ersten großen Tag in der Schule erlebt. Er war wunderschön, das Haar glänzte in den Septembersonnenstrahlen und in dem weißen Hemdchen sah er so lieblich aus, dass sich mein Herz daran erfreute. Am Tag zuvor zeigte ich ihm den Weg zur Schule und auch seine zukünftige Klasse, damit er wusste, wohin zu gehen hatte. Alles war so, wie es sein sollte. Das glaubte ich. Er war ein bisschen verängstigt, denn er kannte seine neuen Mitschüler nicht, aber ich hoffte, dass sie ihn schnell aufnehmen werden. Er war doch klug, auch wenn wir ihn nicht gelehrt hatten, zu rechnen und zu lesen wie seinem Bruder Wolfgang. Ich sagte mir, das alles hatte seine Zeit und er muss im Leben noch genug lernen. Karl-Heinz war ein verspieltes Kind und ich wollte ihm die Kindheit nicht mit einer Dressur verderben. Später warf er mir das auch vor. Die anderen Kinder kannten schon das Alphabet und er kam sich unter ihnen dumm und minderwertig vor - und auch verloren, als er die Klasse betrat und fremd war. Die anderen Kinder beobachteten ihn wie ein Museumsexponat. Der Arme!. Trotz alledem freute er sich sehr und war aufgeregt, weil alles so neu war. Vor ihm öffnete sich eine Welt der unerkannten Möglichkeiten und er war bereit, mit viel Energie bereit zu lernen. Ich war mir sicher, dass mein Sohn der Beste in der Klasse sein wird. Ich setzte große Hoffnungen auf ihn.
Bis zu dem Augenblick, als die Lehrerin die Klasse betrat. Schon beim ersten Anblick war sie furchtbar und für Karl-Heinz wie ein Spukgeist. Sie war groß und breitschultrig wie ein Mann, flach und geschniegelt mit einem strengen Dutt im Nacken. Sie stand mit strenger Miene und zusammengekniffenen Augen an der Türschwelle und sah sich in der Klasse wie ein Raubtier um, das auf sein Opfer lauerte. Aus ihren Augen sprühte so viel negative Energie, dass alle Kinder, als sie sie wie einen bösen Geist erblickten, im Augenblick still wurden und die Köpfchen zum Boden senkten.
„Semlitsch! Welcher ist Semlitsch?!“ schrie sie mit ihrer groben Stimme, gewohnt auf Disziplin und harte Strafen für deren Verletzung.
Mein Sohn stand schüchtern auf und fürchtete sich, seinen Blick zu ihr zu heben.
„Dieser Schüler gehört nicht in diese Klasse. Du kommst mit mir!“ sagte sie böswillig an und ohne Mitleid raffte sie ihn am Arm und schleppte ihn aus dem Raum. Sie zog ihn brutal über den Flur bis zu der offenen Tür am Ende und stieß ihn hinein.
„Hier ist dein Platz!“
Heinz hatte Angst, ein Wort zu sagen, kam überängstlich in die neue Klasse hinein und beobachtete seine neuen Mitschüler. Es waren ungefähr dreißig und sie waren anders als er. Es kam ihm erst später in den Sinn, dass sie eigentlich alle irgendwie gleich aussahen und alle komische ausdruckslose Gesichter hatten. Manche machten auch fast tierische Laute statt Wörter und gestikulierten dabei wild. Einige waren viel älter. Meinem Jungen wurde bewusst, dass er in einer speziellen Klasse war, wo vielleicht niemand normal war. Oder war er komisch und alle anderen normal? Aber etwas stimmte dort nicht und er fühlte sich nicht wohl. Es wurde ihm klar, dass er nicht hierher gehörte.
Gleich als er durch die Eingangstür nach Hause stürzte, warf er sich weinend in meine Armen. Ich dachte, dass ihn irgendwelche Strolche gleich am ersten Tag verprügelt hatten oder ihn irgendwie drangsalierten. Als er mir alles erzählte, drückte ich ihn mir eine Stunde an meine Brust, um ihn zu beruhigen. Es war so entwürdigend, als ihn die böse Lehrerin aus ihrer Klasse in die Spezielle ausgewiesen hatte, wo nur mongolide oder Kinder mit Down Syndrom waren, und die Bestie orderte dorthin auch meinen jüngeren Sohn?! Sein Bruder Roman ging auch in diese Klasse und es war mir plötzlich klar, dass der Grund nicht er selbst war, sondern viel mehr unser Nachname. Ich dachte, dass mein Herz in der Brust zerspringt und die Wut mich zerreißt. Diese Frauenperson wollte ich am liebsten ohne Umschweife wie eine Raupe zertreten. Am nächsten Tag lief ich zur Schule und erklärte ihr klipp und klar, dass ich so einen Umgang mit meinem Sohn nicht gutheiße und sie ihn gleich dorthin zurückschicken soll, wohin er gehört. Der Herr Schulleiter entschuldigte sich für diesen Irrtum, aber er konnte damit nicht den ersten schlechten Eindruck meines Sohnes von der Schule wieder gutmachen, den er dank dieses Biestes erleben musste. Ich war mir sicher, dass alles nur deshalb passierte, weil wir keine reinen Österreicher waren. Die Frau war ein Nazi, obwohl der Krieg schon seit langem vorbei war. Diese Bewegung und die Meinungen der Nazi-Partei griffen immer noch um sich. Wirklich in jedem Dorf war der Bürgermeister ein Mitglied der Nazi-Partei.
Wir ahnten damals noch nicht, dass damit die Tyrannei gegenüber meinem Sohn bei Weitem nicht beendet war. Obwohl Karl-Heinz seit eh und je friedlich und konfliktlos war und niemand ihm wirklich böse sein konnte, fand die Lehrerin dafür immer einen Vorwand.
Mein Söhnchen hatte sehr schwache Knochen. Deshalb brach er sich oft den einen oder anderen. Beim Spielen verletzte er sich oft. Zum Beispiel damals, als er bei einem Fall von der Schaukel auf eine Betonplatte seinen Arm an mehreren Stellen brach. Die Knöchelchen, die ihm unter der Haut hervorragten, waren dünn wie ein Finger. Auch damals war der Arme viele Wochen im Krankenhaus und fehlte lange in der Schule, was sich natürlich auch in seinen Noten widerspiegelte. Auch deshalb gehörte er nicht zur Klassenelite, was gleichzeitig die tyrannische Lehrerin ausnutzte und wieder seine Verlegung in die Spezialklasse verlangte. Gott sei Dank war der Leiter ein solider und vernünftiger Mann und erlaubte dies nicht. Sie konnte sich vielleicht mit dieser persönlichen Niederlage nicht abfinden, weil sie ihren Ärger an ihm weiter ausließ.
Karl-Heinz war nach zwei Monaten in der Klasse eingewöhnt und das Lernen gefiel ihm. Das Miststück ließ ihn aber nicht in Ruhe. Einige Kinder in der Klasse hatten schwarze Vorderzähne, vielleicht weil sie genauso viel Angst vorm Zahnarzt hatten wie mein Sohn. Immer wenn ich Karl-Heinz zu dem Zahnarzt bringen wollte, versteckte er sich in einem geheimen Unterschlupf und kam erst dann heraus, wenn der Zahnarzt schon weg war. Deshalb konnten wir nicht verhindern, dass seine Schneidezähne verfaulten. Die Lehrerin nutzte dies aus und machte aus meinem Sohn eine Zielscheibe für Hohn, als sie ihm eines Tages befahl, den Mund aufzumachen, um den anderen Mitschülern als Vorwarnung zu zeigen, was passiert, wenn sie ihre Zähne nicht putzten. Sie kam zu ihm und brüllte:
„Mund auf!“
Mein Sohn zuckte vor Schrecken zusammen, lehnte aber ab, zu gehorchenund schüttelte den Kopf. Hierauf gab sie ihm eine Ohrfeige mit solcher Kraft, dass es ihn drehte und er fast vom Stuhl auf den Boden fiel.
„Ich sagte, Mund aufmachen!“ schrie sie ihn an.
Als er nicht einmal nach dieser eindringlichen Aufforderung gehorchte, raffte sie ihm das Haar auf dem Hinterkopf und lehnte sein Köpfchen nach hinten. Mit der anderen Hand öffnete sie kräftig seinen Kiefer und rief: „Seht mal dies an!“
Die Kinder rotteten sich um ihn zusammen und den Ekel in ihren Gesichtern sah mein Söhnchen Gott sei Dank nicht, weil seine Augen blind vor Tränen waren, die ihm vor Entwürdigung und Schmerz die Wangen hinunterliefen.
Mein Heinzi ist sehr liebevoller und zarter Mensch, er würde nicht einmal einer Fliege was zu Leide tun. Ich weiß nicht, ob er jemals ein Insekt überhaupt getötet hatte. Aber bei dieser Frau gestand er, dass er diese Person, die das Leben seines Bruders zerstörte und sich drückend auf Romans Psyche legte - worum sie sich auch bei meinem Jüngeren bemühte – fähig war, umzubringen. Sie hätte ihm gar nicht leidgetan. Und mir auch nicht. Wenn ich mir nur überlege, wie viele Kinder sie während ihrer Karriere als Lehrerin auf diese Art und Weise verletzt hatte.
Umso größer war für ihn das Wunder, als er endlich in der dritten Klasse eine neue Klassenlehrerin bekam. Diese war für ihn wie eine Belohnung für die entbehrungsreichen Jahre. Sie kam ihm wie ein Engel vom Himmel vor, sie war jung und wunderschön, eine moderne Frau, die ihre Arbeit wirklich liebte und nie böse Absichten hatte. Im Gegenteil, sie unterstützte die Kreativität der Kinder auch damit, dass sie ihnen oft die Aufgabe gab, sich Geschichten auszudenken. Für Karl-Heinz war das wie ein Schluck frisches Wasser in Sahara, denn so konnte er seine Fantasie entwickeln und seine Träume und eigene Ideen verwirklichen. Die Geschichten über Afrika und andere exotische Länder, die längst in seiner Fantasie lebten, las er dann vor der ganzen Klasse vor.
Und so wurde er einer der besten Schüler, so wie ich es von jeher vorausgesehen hatte. Dank der neuen Frau Lehrerin wollte er der Beste sein. Einmal gestand er ihr sogar verschämt, dass er, wenn er groß ist, sie heiraten wird. Und diese sympathische Person wurde rot wie niemals zuvor. Schade, dass es zur Verwirklichung dieses Plans nie kam.
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II. „Ich wollte immer alles im Leben mit Friedensmitteln lösen, am liebsten ohne Kampf.“ Karl-Heinz Semlitsch
Nach der Grundschule kam ich in die Hauptschule und freute mich darauf, was ich dort Neues lernen würde. Ein Vorteil war, dass die Schule nur eine Straße von meinem Haus entfernt war und ich dort von keiner Tyrannin mehr unterrichtet wurde, die mein Leben früher so unangenehm machte. Ich war gierig nach neuen Kenntnissen, sowie auch nach allen Formen des Entdeckens der Welt und ihrer Gesetzmäßigkeiten. Mein Freund Georg war für mich dabei wie mein Bruder. Wir waren unzertrennbar. An den Nachmittagen bauten wir ein Baumhaus oder fingen mit bloßen Händen Fische im Bach und platzierten sie in einen kleinen Teich, wo sie von Vögeln herausgefischt wurden.
Und außerdem liebten wir Fußball. Er war für uns unglaublich wichtig. Wir spielten jeden Tag, und so wurde ich, früher ein Mondkalb, endlich ein wenig kräftiger und stabiler. Auch dort versuchte ich der beste Spieler zu werden, wie immer. Mein Selbstbewusstsein wuchs allmählich auf normale Größe. Doch obwohl ich mit jedem gut auskommen wollte, was mir auch im Allgemeinen gelang, wurde ich manchmal für jemanden ein Dorn im Auge (es blieb mir bis zum Erwachsensein).
Ich hasste es, als sich die Älteren und Kräftigeren über die Jüngeren und Schwächeren erhoben und ihr Selbstwertgefühl durch die Aggressivität ihnen gegenüber festigten. Einen meiner Freunde suchte sich einmal Andreas aus. Er war ein riesiger, kräftiger und primitiver Bauernsohn, zwei Köpfe größer als ich, der ein perverses Hobby hatte. Jeder Mitschüler, der physisch weniger stark als er war, wurde von ihm als leichtes Opfer ausgewählt, damit er ihn erschrecken oder ihm wehtun und ihn schikanieren konnte. So ein Verhalten ärgerte mich sehr und so konnte ich mich einmal nicht mehr zurückhalten und mischte mich in einen Konflikt des Kräftigeren mit dem Schwächeren ein.
„Lass ihn in Ruhe!“ schrie ich Andreas an, als er gerade meinen kleinen Freund auf dem Flur in den Hintern trat. Meine Ermahnung war nicht unfreundlich gemeint, es war eher eine Bitte als eine Provokation. Er verstand es aber anders.
„Du willst den Helden spielen?!“ Sein spöttischer Blick beleidigte mich tödlich, denn auch ich hatte meine Würde, obwohl ich sichtlich schmächtiger war.
„Du hast mich beleidigt“ sagte ich ehrlich.
„Freitag, 15:00, auf der Wiese am Wald. Sei pünktlich,“ erwiderte er nachdrücklich und in diesem Moment musste ich mich sehr bemühen, damit niemand sah, wie weich meine Knien wurden. Andreas – „der Riese“ – wie wir ihn nannten, forderte mich gerade zum Duell heraus. Uff, ich tauchte gerade in einen riesigen Schlamassel ein! Dieser zahlt es mir heim und innerhalb einer Minute macht er mich zusammen mit meiner ganzen Würde fertig. Und die halbe Schule sieht dabei zu!
„Gilt!“ Ich legte meinen ganzen verbliebenen Mut in meine Stimme, damit niemand das schwache Röcheln im Hintergrund hörte. Scheiße! Ich unterschrieb gerade mein Todesurteil! Wenn ich in drei Tagen zu keinem Superheld würde, würde ich schlimm enden. Gleich als ich nach Hause kam und die folgenden zwei Nachmittage trainierte ich mit großer Mühe, um mich Bruce Lee anzunähern, und überlegte mir eine Kampfstrategie.
Als der Tag T und Stunde S kam, schleppte ich mich mit zusammengekniffenen Hintern an den Ort des Geschehens, wo außer mir ein zahlreiches Publikum zusammengerottet war. Mir war das Blut in den Adern gefroren und ich war nervös und halb erstarrt. Es war schon Dezember und das Wetter verbesserte meine Laune nicht. Nach einigen Minuten war der Riese immer noch nicht da und ich begann mich zu freuen. Als er nicht einmal bis um fünf kam, jauchzte ich fast vor Freude. Denn mir war klar, dass ich das Duell gewann, wenn mein Gegner nicht erschien.
Meine Freude dauerte aber nur bis zu dem Augenblick, als ich vom Busch her ein Knacken hörte. Nicht nur irgendein Knacken. Es klang, als ob ein riesiger Grizzlybär gekommen wäre. Unter seinen schweren Schritten brachen nicht nur Äste, sondern auch mein Wille. Nach dem Lärm folgte die stramme Figur meines Gegners, die aus dem Gebüsch wie ein wildes Tier stürzte. Nur noch das Gebrüll hat gefehlt und ich hätte mir in die Hose gemacht. Statt im letzten Augenblick zu verschwinden, stand ich dort wie festgefroren mit dem Matsch unter meinen Füßen. Ich spürte, wie es draußen immer kälter wurde, während in meinem Inneren noch ein Funken der Hoffnung glomm, dass sich es Andreas vor dem Messen unserer ungleichen Kräfte doch noch anders überlegte. Es war mir klar, dass ich nur gewinnen konnte, wenn Andreas einen Herzinfarkt bekommen würde. Auch die gelernten Techniken aus dem Kung-Fu-Film, den ich mir als Lektion vorher angeschaut hatte, waren wie aus meinem Kopf geblasen.
Der Riese war schmutzig und stank nach Mist. Er war sicher nur kurz vom Stall weggegangen, um mich zu beseitigen und den anderen zu zeigen, wer hier der Herr war. Es ertönte ein Gong wie bei einem richtigen Kampf und Andreas holte aus, um mich mit einem einzigen Schlag zu Boden zu schicken. Ich war aber wendiger und wich zur Seite aus. Die Situation wiederholte sich noch ein paarmal und es gelang mir immer ganz gut auszuweichen. Wer weiß, bis wann ich diese Strategie fortgesetzt hätte, wenn sich der Riese nicht geärgert hätte und zwischen die Zähne hervorzischte: „Hör endlich auf auszuweichen und beginne zu kämpfen!“
Er holte wieder aus und ich machte ein Meisterstück. Weil ich ihm kaum bis zur Brust reichte, kauerte ich mich schnell hin und lief zwischen seine Beine Richtung Freiheit durch. Wenn nicht Dezember gewesen wäre, und der Matsch und meine durchnässten Turnschuhe nicht so rutschig gewesen wären, hätte ich es vielleicht geschafft. Das Wetter spielte aber gegen mich. In dem Moment, als ich aufspringen und flüchten wollte, rutschte ich aus und plötzlich packte mich der Sumo-Kämpfer an der Jacke, zog mich in die Höhe und warf mich auf die andere Seite wie einen Kartoffelsack. Ich schaffte es nicht einmal, aufzustehen. Die riesige Hand hielt mich schon wieder fest und schmiss mich in die Mischung aus Matsch und Eis und dann wieder und wieder… Ich spürte, wie mir die nasse Hose an der Haut anfror. Wenn es weiter so gelaufen wäre, hätte es sich nicht einmal gelohnt, wieder aufzustehen. Ich wäre dort erfroren und zum Eisdenkmal des Muts und der Tapferkeit erstarrt.
Andreas hob mich genau fünfmal in die Höhe und schmiss mich wieder auf den Boden. Es war mir klar, dass dieses Duell eher als Warnung für alle Waghalsigen war, die ihm entgegentreten wollten. Der Riese war mir nicht böse, ich hatte ihm wirklich auch nichts Böses getan und ich sollte ihm nur als Beispiel dienen, um klar zu machen, wer hier der Chef war. Sonst hätte ich viel schlechter geendet.
Als ob es nicht gereicht hätte, wälzte er mich schließlich um und drückte mich mit seinem eigenen Gewicht in den Eismatsch. Ich wunderte mich, dass er mich nicht zermalmte (Gott sei Dank hatte ich damals schon festere Knochen). Ich spürte, wie mir die Feuchte allmählich in jede Zelle meines Körpers eindrang und es war mir furchtbar kalt. Wenn ich dort noch fünf Minuten länger gelegen hätte, wäre ich bestimmt erfroren. Diese Erkenntnis förderte in mir neue Kraft und in einem Moment seiner Unaufmerksamkeit konnte ich ihn von mir abschütteln und es gelang mir fast, zu entkommen. Weil ich aber verzweifelt ein bisschen Körperwärme brauchte um meine gefrorenen Muskeln bewegen zu können, hatte der Riese genügend Zeit für seinen letzten Schlag. Es blieb mir nichts anderes übrig als aufzugeben.
Den Erwartungen entsprechend und unter lautem Applaus des Publikums, der, wie ich glaubte, meiner Tapferkeit galt, verlor ich den Kampf. Andreas misshandelte weiter die Schwächeren und niemand wagte es sich mehr, ihm Widerstand zu leisten. Mein Kampf mit dem Übel endete mit meiner Schande und meine Niederlage bezahlte ich mit zehn Comics, die ich ihm widerwillig abgeben musste. Damit war die Sache erledigt.
Meine Comics liebte ich und hatte eine würdige Sammlung davon. Sogar solche kostbaren Stücke, für die ich heute tausend Euro bekommen würde. Ich kann sagen, dass auch sie mein Leben beeinflussten. Zum Beispiel lernte ich aus ihnen, wie schnell man nach oben kommen kann um dann noch schneller auf die Nase zu fallen. Am Anfang beginnt immer alles lustig, in der Mitte geht alles kaputt, um schließlich doch noch gut zu enden. Ich wollte auch wie meine Comic-Helden sein – Batman oder Supermann, aber nicht für das Heldentum selbst. Es faszinierte mich, was sie alles für die Menschheit tun konnten. Ich verehrte sie als Kind und gerade deshalb wollte ich wie sie sein. Ich wollte auch etwas Gutes für die Menschheit tun. Und am Beispiel von Dagobert Duck lernte ich, dass man trotz eines ganzen Tresors voller Geld nicht immer glücklich ist. Du kannst zwar viel kaufen, aber es reicht nicht dafür, dich glücklich und zufrieden zu machen.
Die Welt ist nicht die Beste. Aber auch nicht die Schlechteste, obwohl mir das manchmal so schien. Für die Entwicklung dieser Weltanschauung sorgte vor allem mein Vater. Er zeigte mir, wie viel Böses, Unsinn und Dummheit in einem Menschen stecken kann. Ich muss ihm auch dafür dankbar sein, dass er mich nicht der Gnade und Ungnade meiner eigenen Naivität überlies. Ich weiß nur nicht, ob mir das etwas half. Außer, wie leicht es ist, den Aufenthalt auf dieser Erde zu beenden. Es passierte eigentlich schon zum zweiten Mal. Und wieder stand mir die Liebe meiner Mutter bei oder wenn Sie wollen, die meiner Glücksgöttin.
Ich weiß nicht mehr genau, ob es in demselben Winter war. Es gab damals ziemlich viel Schnee und nicht weit von uns entfernt gab es einen Skilift. Das Gebiet, in dem wir lebten, war berühmt für Semmering. Dies war ein wunderbares Skizentrum. Ich war auch ein Sportler und freute mich sehr, als mein Vater mich und meinen Bruder zum Ski fahren mitnahm. Er selbst machte diesem Sport nicht, er sorgte nur für das Programm für uns, seine Kinder und sich selbst, denn gleich am Skilift gab es eine Pension mit der Möglichkeit, etwas Alkohol zu trinken. Mein Vater trank ständig und ich erinnere mich kaum, ihn in einem nüchternen Zustand erlebt zu haben. Ich hatte Angst vor ihm, denn dann war er unbeherrscht und widerlich, und misshandelte uns alle zu Hause. Umso mehr versetzte es mich in Schrecken, als wir, nachdem wir ein paar Mal den Berg hinab gefahren waren, anhand seiner schweren Artikulierung und schwerfälligen Bewegungen – es war für ihn kompliziert, das Gleichgewicht zu halten – feststellten, dass er wieder nicht nüchtern war.
Ich mochte nicht mit ihm ins Auto steigen. Obwohl ich nur zwölf Jahre alt war, ahnte ich, dass der vom frischen Schnee bedeckte Weg nicht einmal für nüchterne Fahrer ungefährlich war. Aber es blieb uns nichts anderes übrig, als uns von ihm fahren zu lassen. Und er zerbrach sich nicht den Kopf darüber – er wurde vom Alkohol so stumpf, dass er das Risiko nicht wahrnahm. Er trank ruhig, obwohl er uns zwei kleine Jungs am Hals hatte und uns gesund nach Hause bringen sollte. Aber auch das hielt ihn nicht auf, im Gegenteil, die Flasche spornte ihn an, und gutgelaunt gab er Gas, bis wir schlitternd bis zur nächsten Kurve kamen, wo wir uns zweimal um uns selbst drehten wie auf einem Karussell. Das Bergland hinter den Scheiben floss in eine weiße Masse zusammen und ich sah nur noch die Tiefe, die uns hinter dem steilen Abhang mit ihrem geöffneten Maul lockte. Ich sah schon, wie wir nach unten wie auf einem kosmischen Schlitten flogen. Ich stellte mir vor, dass, wenn wir nicht wie in einer meiner Märchengeschichten nach oben geflogen wären, hätte man uns irgendwo auf dem Boden des Tals in Stücke zerrissen gefunden.
Ich selbst zitterte wie Wackelpudding und drückte die Hand meines kleinen Bruders, der quietschte und kreischte und auch ich hatte wahnsinnige Angst. Es war mir nicht alles egal, als wir ins Rutschen gerieten. Ich erinnerte mich vielleicht an mein Erlebnis mit dem Kinderwagen aus den jüngsten Monaten meines Lebens weshalb ich glaubte und hoffte, dass wir wieder einmal Glück haben werden. Verdammt, wir waren doch noch so klein und hatten auf der Welt noch fast nichts erlebt. Ich wollte nicht sterben. Und Wolfgang auch nicht, der völlig blass blieb. Aus seinem Mund dampfte es, weil er so schnell im Schock atmete.
Vor uns erschien plötzlich wie aus heiterem Himmel nach zwei Umdrehungen ein hoher Schneeberg, der hier am Wegrand von einem Pflug hinterlassen wurde. Und dieser war unsere Rettung. Der Schneeberg öffnete seine Armen und wartete darauf, uns vor dem Fall in die Kluft zu retten. Unser Vater kam in dem Augenblick zu sich, befreite uns aus dem Wagen und plötzlich wurde er nüchtern.
Schade, dass das nicht lange Zeit anhielt. Fast jedes Wochenende wurde bei uns viel getrunken. Vater und Bruder. Roman war damals fast zwanzig und nach einem Wettbewerb, wer mehr vertragen wird, verwandelten sich beide in Wilde. Sie hatten mehr als nur den Namen gemeinsam, ebenso das Verlangen nach dem verdammten Alkohol und dessen Folgen waren gleich. Beide waren aggressiv. Vor den Augen von uns kleineren Kindern, und auch unserer Mutter – wir alle konnten nur hilflos zuschauen – begannen sie sich dann zu prügeln. Beide hatten eine Neigung zur Aggressivität, dass es oft nicht nur mit zerschlagenen Möbeln und zerbrochenen Gläsern endete, sondern auch mit einer blutigen Lippe. Ein paar Mal musste sogar ein Rettungswagen zu uns kommen. Zum Beispiel damals, als mein Bruder durch die geschlossene Tür rausflog. Es fehlte nicht viel und sie hätten sich gegenseitig die Zähne ausgeschlagen. Und ich rede lieber nicht über die regelmäßigen Besuche der Polizei bei uns nach solchen Exzessen. Für meine Mama war es schlimm, aber am schlimmsten beeinflusste es vielleicht mich. Ich war erst dreizehn und erlebte Sachen, die andere Kinder höchstens im Fernsehen sahen. Es war widerlich. Ich wollte und musste anders sein.
Sport war für mich wie ein Ventil. Was blieb einem Jungen in diesem komplizierten Alter und dieser Lebenssituation anderes übrig? Leicht war es nicht. Auch deshalb begann ich mit Karate. Ich sah oft, wie leicht man Prügel bekommen kann. Und das, zusammen mit den Kampffilmen, die wir mit meinen Freunden gerne sahen, motivierte mich, mich diesem herrlichen Sport zu widmen.
Ich träumte davon, dass ich einmal nach China fahre und Kung-Fu-Kämpfer werde. Ich trainierte viel und hart. Wir trafen uns dreimal pro Woche und gingen ohne Schuhe in den Wald, nur in Hosen, und wir mussten die Schläge von einem fünf-Zentimeter-dicken Stöcken auf unsere Rücken und unsere Brust ertragen. Der Sinn dieses Trainings war es, sich konzentrieren zu lernen, um den Schmerz nicht zu spüren. Es war aufregend und es war ein wunderbares Gefühl, als ich spürte, wie meine Muskeln langsam fester wurden und wuchsen – kein Wunder, ich stand morgens um fünf auf und machte jedes Mal hundert Liegestütze und zweihundertfünfzig Kniebeuge.
Und es motivierte mich auch, dass ich ziemlich oft aggressive und primitive Jungs aus dem Nachbardorf traf, die - ich weiß nicht warum - überzeugt waren, dass sie etwas Besonderes waren. Sie zeigten es auf eine merkwürdige Art und Weise: Einmal schlug mich einer von ihnen so sehr auf den Rücken, dass, wenn ich nicht trainiert und fähig gewesen wäre, mich zu beherrschen, wäre ich sicher komplett zerschunden gewesen. Der Schlag stürzte mich von einem hohen Podest. Eine Sekunde zuvor – ich konnte den Schlag seltsamerweise erahnen – spannte ich die Muskeln am ganzen Körper an und so spürte ich bei dem Hieb gar keinen Schmerz. Ich flog gute drei Meter weit und landete trotzdem auf meinen Beinen. Ich war wirklich stolz auf mich. Obwohl man aus mir einen Prügelknaben machte, hatte ich keine Angst.
Vielleicht nur einmal, als mich die drei Exoten aus einem fahrenden Zug warfen. Ich war fünfzehn und hatte wieder einmal ein riesiges Glück. Sie rangelten mit mir und noch bevor der Zug im Bahnhof anhalten konnte, schubsten mich die Irren und ich flog auf den Bahnsteig. Dort blieb ich wie ein Sack auf dem Rücken liegen. Es war ein Wunder, dass ich nur ein paar Kratzer davon getragen hatte, weil die Züge damals wie wild fuhren und erst kurz vor dem Bahnsteig bremsten. Ich weiß es genau, denn einmal, als ich die Haltestelle verschlief, an der ich aussteigen wollte, lief ich noch verschlafen zur Ausgangstür und wurde fast von einem Zug getötet, der gerade direkt an mir vorbei raste, obwohl wir nur einen Augenblick zuvor vom Bahnsteig abgefahren waren.
Schon damals begriff ich, dass, wenn ich in etwas gut sein will, muss ich dafür hart arbeiten. Und dabei ahnte ich noch nicht, dass mir außer meiner Glücksfee auch meine physische Tüchtigkeit einmal mein Leben retten wird.
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3.
Mein Söhnchen war sehr zielstrebig. Wenn er sich etwas in den Kopf setzte, brachte er es immer zu Ende. Ich ärgerte mich über mich selbst, dass ich für ihn keine genügende Unterstützung sein konnte. Ich weiß, dass ich ihn besser beschützen sollte. Sein Vater machte seine Kindheit nicht leichter. Ich will ihn nicht entschuldigen, Gott weiß, wie viel ich mich wegen den beiden quälte.
Romans Leidenschaft war der Wald. Wenn er nicht gerade hart arbeitete oder in der Kneipe saß, war er immer im Wald und bereitete das Holz für Winter vor. Wir hatten zwar so viel Holz, das es für zehn Winter reichen würde, aber er liebte es. Er ging gern auch den Wald säubern oder weitere Bäume fällen, damit es uns, wenn starker Frost kommen würde, nicht kalt war. An der ganzen Hausseite hatten wir das Holz schon bis nach oben zum Balken aufgestapelt, aber ich konnte gegen dieses Hobby nichts einwenden. Es war doch rührend, wie sehr er sich um die Familie kümmerte und wie sehr er sich bemühte, die Liebe zur Natur auch seinen Söhnen zu vermitteln. Sie wetteiferten mit dem jüngeren Roman immer darum, wer mehr Bäume fällte. Und danach auch, wer mehr Gläser zur Feier vertragen könnte. Was für ein Vorbild hatte also mein ältester Sohn? Wie konnte es da anders enden, als so, dass sie aneinander gerieten, wenn der Alkohol ihr Gehirn betrübte?
An die harte Arbeit im Wald wollte Roman auch meinen Jüngeren gewöhnen. Deshalb nahmen sie oft auch Karl-Heinz mit, obwohl ich ihm gleich ansah, dass ihm diese Arbeit nicht besondere viel Freude machte. Er war nicht so ein Kraftpaket wie die beide Romans. Aber er war gehorsam.
Wenn ich nur geahnt hätte, was für eine Gefahr auf ihn an diesem Tag lauerte, hätte ich ihn nicht gehen lassen, mein Engelchen. Er wollte doch nicht gehen, als ob er gewusst hätte, dass ihm etwas passieren könnte. Auch ich war ganz nervös und einige Stunden nachdem sie das Haus verlassen hatten war es als wäre ich vom Blitz getroffen. Ich hatte eine so schlimme Vorahnung, dass ich mich an unserem Küchentisch festhalten musste, um nicht hinzufallen. Mein Heinzi und ich waren schon immer stark miteinander verbunden und ich spürte jedes Mal, wenn etwas mit ihm nicht in Ordnung war. Es erschreckte mich so sehr, dass ich am liebsten sofort zu ihnen laufen wollte, wenn ich nur gewusst hätte, wo sie waren. Plötzlich war mir schwarz vor Augen und als ich sie schloss, sah ich meinen Jungen… tot! Ich hörte auf zu atmen, rannte auf den Hof und lief hilflos zum Wald. Die Minuten vergingen zu langsam und ich dachte, ich werde verrückt. Ich war zwar in meinem Leben bisher alles Mögliche gewohnt, musste auch schon manche schwere Momente überwinden, aber damals, als ich zuerst nur die zwei Romans sah, wie sie nach Hause zurückkehrten, hörte mein Herz auf zu schlagen. Mein Mann war es nicht gewohnt, seine Gefühle zu zeigen. Wenn ich etwas darüber wissen wollte, musste ich ihm tief in die Augen schauen, und dann konnte ich dort etwas lesen. So war es auch damals. Sein Blick war finster und verstört und seine Hände, mächtig und schwarz vom Dreck, zitterten. Ich hielt mir die Hand vor dem Mund und erwartete die schreckliche Nachricht. Meinem Kleinen ist etwas passiert! Och, er war doch erst vierzehn…!
Plötzlich erschien er am Ende der Straße. Er kam mir wie ein Schatten vor, wie eine Erscheinung, die sich mein Herz einbildete. Atemlos lief ich meinem Jungen entgegen.
„Was ist passiert, Heinzi?“ Ich beobachtete sein Gesicht, das sehr blass war und spürte, wie seine Knie zitterten und wie schwer seine Schritte waren. Trotzdem kam er von selbst bis zu mir, lehnte seinen Kopf an meine Brust und ich musste ihn lange an mich drücken. Ich wurde fast wahnsinnig vor unvorstellbarer Angst. „Im Wald ist etwas passiert, nicht wahr?“ Er schwieg, wollte mich nicht erschrecken. „Erzählt schon!“ rief ich und sah alle meine Männer an. „Bist du in Ordnung, Söhnchen?“
Ich sah, dass niemand Lust hatte, etwas zu erklären. Dann küsste mich Karl-Heinz und lächelte ein bisschen.
„Alles ist OK, Mami. Keine Angst,“ überzeugte er mich. Aber ich musste Roman nicht einmal ansehen, um zu spüren, wie nervös er war. Ich hörte, wie stark er seine Kiefer zusammenpresste, um nicht mit den Zähnen zu knirschen. Seine Finger schloss er fest in die Handflächen, als er sagte:
„Wir hatten einen kleinen Unfall, aber alles ist in Ordnung. Karl-Heinz ist nichts passiert, du siehst doch, er ist da und in einem Stück. Also dramatisieren wir es bitte nicht.“ Er sprach steif und verhielt sich dabei wie ein Kind, das sich bewusst war, einen Fehler gemacht zu haben und es lehnte ab, es sich einzugestehen, weil es Angst vor der Strafe hatte.
„Erzählt doch! Roman... erkläre! Was ist dort passiert? Ich weiß, dass Heinzi nicht ganz in Ordnung ist. Ich sehe, ihr alle seid wie aus Stein gemeißelt und blass. Sagt mir also jemand die Wahrheit?!“ Ich sah einen nach dem anderen an und es war mir nicht alles egal. Dann betrachtete ich noch einmal meinen kleinen Jungen und er kam mir zwar verschreckt vor, aber er weinte nicht, wie damals am ersten Tag in der Schule. Trotzdem hätte ich ihn am liebsten wie damals auf meinen Schoss gesetzt und geschaukelt, bis er sich ganz beruhigt hätte.
„Er hatte ein kleines Rendezvous mit einem Baumstamm,“ verriet der jüngere Roman vorsichtig.
„Es war eine Strafe dafür, dass er nicht mit uns in den Wald gehen wollte.“ scherzte sein Vater gezwungen und ich hätte ihn am liebsten geschlagen. „Er wird ja nicht mehr mitkommen müssen.“ fügte er beschämt hinzu.
„Wirklich?!“ Karl-Heinz wurde ein bisschen heiterer. „Wenn ich das gewusst hätte, dass so wenig reicht, wäre ich schon längst geflogen.“
„Geflogen? Sagt mir endlich jemand, was in diesem verdammten Wald passiert ist? Ich bin vor Angst fast gestorben!“ schrie ich sie alle an.
„Wie konntest du wissen, dass er fast den Geist aufgegeben hat?“ fragte mich sein älterer Bruder und ich hatte Lust ihm eine Ohrfeige zu geben. Er war gefühllos.
„Ich scheuer dir gleich eine...“ sagte sein Vater und holte aus.
„Was... wie? Geist aufgegeben?“ entsetzte ich mich. „Er war also doch in Gefahr...“
„Ich bin ein bisschen hingefallen, nichts Schlimmes Mama, keine Angst. Ich bin doch ein Mann, oder?“
„Das bist du doch auch, mein Sohn.“ betonte mein Mann einsichtig. „Ich war wohl zum ersten Mal im Leben stolz auf ihn. Wie er mit dem Baumstamm zurechtgekommen ist! Und ich sage dir, als ich ihn zehn Meter über dem Boden gesehen habe, und wie er nach unten flog, war es mir nicht egal. Ich dachte, es ist aus mit ihm. Mein Sohn, warum hast du dich dem Stamm in den Weg gestellt?“
„Ich? Ich habe ja nur dort gestanden, wie du mir befohlen hast. Kann ich etwas dafür, dass sich der Baumstamm quergelegt hat?“
„Wie quergelegt hat?“ fragte ich, weil ich nichts verstand.
„Wir haben die Stämme nach unten gleiten lassen, in den Rutschen, wie immer. Karl-Heinz war unten und sollte aufpassen. Aber ein Holz, so ein zwanzig-Meter-langes Stück, ist mir nichts dir nichts von der Rutsche geschossen. Das hättest du sehen sollen. Wie es geflogen ist, scher ihn zum Teufel!“ rief der ältere Bruder aufgeregt. „Und es war nicht irgendeiner Stamm! Er war mindestens fünfzig Zentimeter dick!“
Bei dieser Vorstellung stockte mir der Atem. „Und... dann...“ Ich konnte es nicht aussprechen.
„Verflixt, er hat mich getroffen,“ erzählte Karl-Heinz zu Ende. „Er hat mich genau hier getroffen.“ Er zeigte auf seine Brust. „Er hat mich aufgespießt, wie einen Fisch am Haken, dann hat es sich verklemmt und wir sind zusammen in die Luft geflogen. Ich bin ungefähr zehn Meter in die Höhe geflogen und hielt mich dabei fest daran. Es waren ein paar Sekunden. Aber dann… dann, Mama...“ Mein Sohn schilderte mir gierig sein Todeserlebnis, während sich meine Augen mit Tränen füllten. „Weißt du, wie geistesgegenwärtig ich war? Ich habe mir gesagt, wenn ich den Stamm nicht loslasse, wird er mich sicher erschlagen und wie einen Frosch zerquetschen, wenn wir zusammen auf den Boden fallen. Es war wie in Zeitlupe. Und der Stamm war wie eine Rakete. Er ist in riesiger Geschwindigkeit geflogen, kannst du es dir vorstellen? Aber ich wusste, was zu tun ist. Es war mir klar, dass ich ihn loslassen muss, auch wenn ich dann zu Boden falle. Auch wenn es wehtun wird, habe ich nur diese eine Chance, es zu überleben. Nur wenn ich ihn loslasse.“
„Du... du hast ihn also losgelassen?“ fragte ich entsetzt. „Und bist du nach unten gefallen?“
„Na, es hat ein bisschen wehgetan, aber...“
„Und dann, stell dir den Aufprall vor! Ich habe es von oben beobachtet, Mama,“ setzte Roman fort. „Vater ist schon zu ihm gelaufen und ich stand da wie angewurzelt und hab gesehen, was kommt. Ich war mir sicher, dass ihn das Ungeheuer zerquetscht. Und jetzt sag nicht, dass er nicht alle Heiligen bei sich hatte, verdammt! Wie ist es dann möglich, dass der Riesenbalken fünf Zentimeter von seinen Kopf entfernt aufgeprallt ist? Verstehst du das? So ein Stückchen! Er muss dort oben nicht nur einen, sondern eine ganze Truppe von Schutzengeln haben!“
„Er ist neben ihn gefallen? Och, mein armer Kleiner!“
„Ich erinnere mich nicht daran, Mami, ich war vielleicht ohnmächtig. Das Letzte, was ich noch weiß, ist, dass der Boden immer näher kam und ich dachte, dass es mit mir vorbei ist. Dann nichts mehr.“ erzählte Heinzi, als ob es sich um eine komische Geschichte gehandelt hätte. Unter meinen Füßen bewegte sich der Boden.
„Als ich zu ihm gelaufen bin, ist er langsam zu sich gekommen,“ tätschelte ihn sein Vater auf dem Schulter, stolz auf seinen Sohn. „Zuerst dachte ich, er ist tot. Dass ihn das Holz erschlagen hat. Ich habe gesehen, wie er darauf aufgespießt in die Luft geflogen war und dann war er zu Boden gestürzt, wie ein getroffener Vogel. Und ich hatte riesige Angst, zum Teufel!“
„Och, mein armer Junge! Wie ist es möglich, dass du nach so einem Fall noch laufen kannst? Und… dir ist wirklich nichts passiert? Ich kann es nicht glauben... Ach, Maria, heiliger Josef, du bist mir fast gestorben, Herzchen!“ Ich drückte ihn so fest an mich wie ich nur konnte.
„Und dann ist dieser Herkules wieder aufgestanden wie nichts. Er wollte nicht einmal, dass ich ihm helfe. Ich habe ihn untersucht und es schien mir, dass er meiner Meinung nach wirklich in Ordnung ist. Er ist ja ein Semlitsch! Ja, er ist ein Semlitsch!“ erklärte mein Mann stolz und schüttelte ihn. „Er ist ja kein Waschlappen!“
„Und muss ich nun wirklich nicht mehr mit euch in den Wald gehen?“ fragte Heinzi. Das war das Einzige, was ihn nach diesem grausamen Unfall interessierte.
„Es ist unglaublich...“ schüttelte sein Bruder den Kopf. „Er krepiert fast und es interessiert ihn nur, dass er nicht mehr im Wald schuften muss.“
„Es hätte auch einen Bär getötet, Junge. Und du, mein Sohn, hast es wie nichts überlebt und bist nicht einmal verletzt. Du warst nur ein paar Minuten außer dir. Du musst nicht mehr gehen, verzeih mir, lieber Gott, dass ich dich überhaupt mitgenommen habe.“ sagte mein Mann triumphierend. „Darauf müssen wir einen trinken! Gevatter Tod ist wieder an uns vorbeigegangen, aber hat mit seiner Sense daneben getroffen! Ha-Ha!“
Es war ein riesiges Glück. Aber wenn mein Sohn keinen kühlen Kopf bewahrt hätte, hätte ich ihn nicht mehr gehabt. Ich weiß nicht mehr, zum wievielten Male ich dem lieben Gott für seine Rettung dankte. Und ich betete, um hier auf der Erde möglichst lange bleiben zu können, weil ich mich nicht gesund fühlte und ich mich fürchtete, dass ich ihn zu früh verlassen werden müsse.
Das trübselige, von grausamen Szenen und oft auch von Blut erfüllte Leben bekam meiner Gesundheit nicht. In unserer Familie geschahen immer häufiger böse Sachen. Ich verstehe nicht, woher es bei meinem Ältesten kam, die Wut, die Gewalt und die Brutalität. Er machte mir oft Sorgen. Und nicht nur mir, sondern auch seinen Geschwistern. Er konnte sich nicht beherrschen. Sicher war auch ich daran schuld. Ich hätte ihn vor der Schlange verteidigen sollen, als sie meinen kleinen Roman in diese Spezialklasse zugeordnet hatte genauso wie sie es auch bei Karl-Heinz versucht hatte. Ich dachte, für ihn war es richtig, deshalb ließ ich ihn dort. Ich glaubte, dass die in der Schule besser beurteilen konnten, welches Kind eine spezielle Fürsorge brauchte. Er war vielleicht nicht klug genug für eine normale Klasse, vielleicht hätte er sich nicht in ein Kollektiv aus normalen Kindern einordnen können, deshalb hatte ich nichts dagegen. Damals fiel mir nicht ein, dass die Lehrerin einen anderen Grund für ihr Handeln gehabt haben könnte. Dass sie die „unreinen“ Österreicher hasste. Ich glaube, dass sich diese Tatsache auf sein Verhalten ausgewirkt hat. Seitdem war er ein Rebell. Er kämpfte gegen alle und nutzte dafür oft auch ungesetzliche Mittel.
Ich wusste, dass er eine Waffe hatte, obwohl sein Zimmer immer verschlossen war und ich nie sah, was er dort alles versteckte. Er war zurückhaltend, in sich gekehrt und dann, wie aus heiterem Himmel, explodierte es in ihm, es brannte ein Feuer in ihm und er, mein Sohn, machte grausame Sachen. Darüber, dass er in einer Disco mit der Flinte um sich schoss, erfuhr ich erst, als uns die Polizei anrief. Danach setzte man ihn ins Gefängnis. Es war grausam. Ein wirkliches Leid für eine Mutter, die ihre Kinder liebte. Aber ihn hatte ich nicht im Griff. Nicht einmal sein Vater konnte ihn retten. Wir verloren vollkommen die Kontrolle darüber.
Und dann kam es zu der katastrophalen Szene. Bis heute weiß ich nicht, was genau passierte. Ich war vielleicht einen Augenblick neben mir, als er anfing sein Unwesen zu treiben. Ich flüchtete zu den Nachbarn und wartete dort, bis der Schrecken vorbei war. Oder aber bis ich sterbe.
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III. „Ich kam mir wie in einem Horror vor. Überall war Blut. Und niemand war zu Hause.“ Karl-Heinz Semlitsch
Ich liebte Laufen. Es gab mir ein Freiheitsgefühl und mein Körper und Geist reinigten sich dabei. Ich musste nicht über alle die bösen Sachen nachdenken, die bei uns zu Hause geschahen, über das Leiden, über den Vater und Bruder und die brutalen Szenen, bei denen ich oft Zeuge war. Ich hatte damals so eine gute Kondition, dass ich ruhig von einem Dorf bis zu dem anderen und zurück laufen konnte. Es waren ungefähr fünfunddreißig Kilometer, die ich mit meinem Freund Georg und seinem Bruder Franz zurücklegten. Auf manchen Strecken überholten wir sogar Radfahrer und die letzten fünf Kilometer schafften wir ohne Probleme in fünfzehn Minuten. Dabei fühlten wir uns unsterblich und superstark. Und vor allem, als ich Sport trieb, sah ich gut aus. Ich hatte einen Waschbrettbauch, der sich über die Jahre –in einen Waschbärbauch verwandelt hat.
Der Lauf machte mich gierig. Ich wollte der Beste sein und immer gewinnen. Ich hatte sogar Pläne, Europameister zu werden. Erst dann, mit vierundzwanzig, als ich meine erste Firma gründete, begriff ich, dass das nicht funktionieren konnte. Ich hatte zuerst große Pläne, dass ich neben dem Unternehmen auch meinen Sport schaffen werde und weil ich mein eigener Herr sein würde, konnte ich mir meine Zeit dazwischen einteilen. Ich hatte schon einige Medaillen, obwohl ich keinen eigenen Trainer hatte und allein trainierte. Ich musste mich aber entscheiden: entweder werde ich ein Spitzenathlet und muss meine Firma schließen, oder ich widme mich nur ihr. Weil ich schon in meiner Kindheit eine klare Vorstellung von meiner Zukunft hatte, war es keine schwierige Entscheidung. Die Firma war das, was ich schon immer wollte. Und so verzichtete ich auf das Laufen. Also auf das Professionelle. Ich nutzte es nur als Ventil für meine Probleme, die nicht wenig waren.
Es war bei uns oft unruhig. Und nicht selten hatte neben meinem Vater auch mein Bruder Roman seine Finger im Spiel. Ich mochte ihn und achtete ihn, obwohl er schwierig von Natur aus war. Ich denke, dass sein Leben grundsätzlich von der Lehrerin beeinflusst war. Sie nahm ihm die Chance auf ein normales Leben. Erst mit der Zeit begriff ich, dass die Wurzeln seiner psychischen Probleme darin lagen, das er als geistig Invalider behandelt wurde.. Ganz nach dem Motte „Wenn ihr aus mir einen Debilen macht, dann werde ich auch debil.“
Es war seine Rache an der Welt dafür, dass er nicht mit normalen Kindern leben und so lernen konnte, dass aus ihm in seinem Leben auch etwas wurde. Man steckte ihn gleich in eine Schublade, und das nur wegen unseren slowenischen Familiennamen. Dabei war er gar nicht dumm. Er war so geschickt wie unser Vater. Als er später arbeitete, ging es ihm nicht schlecht. Nur unser Tal wirkte auf ihn wie eine Krankheit. Während er in der Welt draußen war, arbeitete und lebte er auf ehrliche Art und Weise. Aber als er zu seinen alten Kumpanen nach Hause zurückkehrte, setzte er sich mit ihnen gleich in eine Kneipe und vertrank alles Geld, das er nicht für Schlampen, teure Wagen und Schulden ausgab. Und so ging es immer wieder. Er konnte nicht mit Geld umgehen, deshalb behielt er es nie für längere Zeit. Aber nüchtern war er völlig in Ordnung. Im Kern war er kein böser Mensch. Zum Beispiel kaufte er für uns jüngere Brüder Fahrräder. Wir himmelten ihn dafür an. Er war herzlich, dankbar und freigiebig und verschenkte etwas, wenn er etwas hatte. Hätte er das Minderwertigkeitsgefühl nicht gehabt, das er oft auf böse Weise ausließ, hätte vielleicht auch sein Leben nicht so tragisch geendet.
Ich war damals nicht einmal fünfzehn alt, als ich eines Tages nach Hause kam und schon vom Weiten die Blaulichter erblickte. Vor dem Haus standen drei Polizeiwagen und blendeten die ganze Straße – es war mir klar, dass wieder etwas passierte. Unsere Nachbarn freuten sich über uns, denn wir bekamen mindestens einmal pro Monat so einen Besuch. Dank Roman waren wir nicht nur auf unserer Straße bekannt, sondern auch im ganzen Dorf. Auch jetzt sorgte er gerade er für diese Aufregung.
Ich stand dort wie angewurzelt, als ich ihn erblickte, wie er aus der Tür mit der Pistole in der Hand schoss. Ihm hinterher liefen drei Polizisten und weitere stiegen schreiend aus den Wagen aus. Ich wusste nicht, wo ich mich verstecken sollte, also stand ich nur wie verblödet auf der Stelle und mein Hals war trocken. Sie alle drängten von meinem Rücken her auf die Szene ein, und plötzlich war es, als ob hier jemand einen Sack mit Schaben ausgeschüttelt hatte. Alle waren bewaffnet, aber am schlimmsten war, dass es auch mein Bruder war. Er fuchtelte mit der Pistole nach allen Seiten, einen Augenblick zielte er sogar auf mich.
„Johny, ich schieße sie alle tot!“ schrie er mich an und ich sah fast, wie in der Dunkelheit die Blitze aus seinen Augen schossen. In diesem Augenblick war ich sicher, dass er dazu fähig war. Und zugleich fiel mir auf, dass, wenn er als erster zu schießen begann, es mit ihm schneller aus war, als ich atmete.
„Leg die Waffe zum Boden!“ schrie der Polizist an meinem Ohr so laut, dass ich fast taub wurde. Er kam hinter meinem Rücken hervor, wobei er sich langsam meinem Bruder annäherte. Ich wusste nicht, was ich machen sollte. Ich war völlig verängstigt. Ich zitterte wie ein kleiner Knabe und hätte mir fast vor Angst in die Hose gemacht.
„Nicht,... mach das nicht, Roman,“ sagte ich leise. Es war eher ein frommer Wunsch. Ich wusste, wenn er in Rage war, nahm er die Welt um sich herum nicht wahr. Er hörte mich sicher nicht.
Zwei Polizisten hinter ihm versuchten ihn zu beruhigen und sprachen ihm zu. Ich hörte nicht, was sie sagten, aber es musste auf ihn wirken. Er bückte sich plötzlich Richtung und holte aus. Er ließ dabei die Waffe fallen, und sie schlitterte genau vor meine Füße. Ich stand verblüfft da und starrte die Pistole an, als ob es eine Granate gewesen wäre, die jede Minute explodieren könnte. Mit einem Reflex stoppte ich sie mit meinem Fuß. Dann beugte ich mich und hob sie auf. Ich weiß nicht, was ich damit machen wollte, vielleicht wollte ich sie nur gehorsam den Polizisten abgeben. Einer von denen deutete dies offensichtlich falsch – von dem Bruder eines Gewalttäters erwartete man anscheinend nichts Gutes – denn er redete vorsichtig auf mich ein: „Kind, ich bitte dich, lass die Pistole los.“
Ich hatte nicht vor, etwas zu machen. Alles geschah so schnell. Und doch hatte ich das Gefühl, dass ich mitten in den Dreharbeiten zu einem Krimifilm steckte und nicht im realen Leben, und dass der bewaffnete Verrückte doch nicht mein Bruder war. Als Roman sah, dass ich die Pistole hatte, brannte eine Sicherung in seinem Kopf durch. Vielleicht machte es ihn übermütig, denn er zog plötzlich eine andere Pistole und richtete sie wieder auf die Polizisten. Er grinste und hätte abgedrückt, wenn ich ihn nicht angeschrien hätte:
„Roman, bitte, hör auf damit!“ Ich schloss meine Augen und befürchtete das Schlimmste. Als ich sie wieder öffnete, hatte mein Bruder die Pistole nicht mehr in der Hand. Drei Polizisten stürzten sich gerade auf ihn wie wütende Hunde. Sie schlugen auf ihn ein, bis er zu Boden ging. Er fiel in den Matsch und sie prügelten ihn wie ein Schwein. Ich sah noch, wie einer von denen ihn in den Bauch trat. Mein Bruder krümmte sich wie ein Wurm, den gerade jemand zertrat. Dann zerrten sie ihn hoch, warfen ihn in den Wagen und nahmen ihn ohne ein einziges Wort mit.
Mein Bruder wurde in den Knast gesteckt. Er war dort bereits zweimal gewesen. Nach dem ersten Mal kam er nicht gebessert wieder heraus. Er war nur faul und selbstzufrieden, als ob er von einem langen Urlaub zurückgekehrt wäre. Beim zweiten Mal musste dort etwas passiert sein. Er wollte nicht darüber sprechen. Er erklärte nur, dass, bevor er noch einmal einsitzen sollte, würde er sich lieber töten. Ich befürchte, dass es dort zu abartigen Situationen gekommen ist, von denen ich zu dieser Zeit noch keinen blassen Schimmer hatte.
Erst dann wurde mir unter Schock bewusst, dass das ganze Haus wie eine riesige Laterne hell erleuchtet war. In jedem Fenster brannte ein Licht und der Schein durchbohrte die Dunkelheit wie ein Blitz. Wie im Traum näherte ich mich dem Haus. Als ich schon ganz nah dran war, begriff ich es. Jedes einzige Fenster unseres Hauses war ausgeschlagen. Kein einziger Fensterrahmen mehr hatte eine Glasscheibe. Jedes Fenster war von meinem Bruder eingeschlagen worden - mit seiner Hand, seiner Pistole oder seinem Fuß. Ich kam mir vor wie in einem Horrorfilm. Überall war Blut. Und niemand war zu Hause.
Ich wurde von Panik überwältigt. Wo waren alle? Was ist mit Mama? Vielleicht hat Roman… vielleicht hat er ihr wehgetan? Nein, das glaubte ich nicht. Aber ich konnte nicht ahnen, was passiert war. Ich ging in das Geisterhaus hinein, das in diesem Augenblick nicht mehr mein Zuhause war, sondern nur ein Schlachtfeld. Ich vermutete, dass die Verursacher des Chaos die beiden Romans waren und ich betrachtete jedes Zimmer. Überall türmten sich Möbel und Scherben. Alle Sachen aus Glas im Haus waren zerbrochen.
Ich wusste, was Roman in seinem Zimmer versteckte. Er zeigte mir einmal sein Königreich, denn er wusste, dass ich ihn nicht verraten würde. Er hatte dort ungefähr fünfzig verschiedene Waffen: Schwerter, Messer, Pistolen, Gewehre und eine Peitsche. Jetzt war das Zimmer leer. Es blieb dort nur eins – die Peitsche für Sadomaso. Die hielt man wohl für keine gefährliche Waffe, sonst hätte man sie ihm nicht gelassen.
Bestürzt rannte ich zu den Nachbarn, wo ich meine Mama vorfand. Sie lag auf ihrem Rücken wie tot. Als ob sie hundert Jahre älter geworden wäre. Ich erkannte sie fast nicht. Ihr bleiches Gesicht kam mir wie eine Maske vor. In dem Augenblick erschrak ich zum ersten Mal. Ich hatte Angst, dass ich sie verlor. Sie bekam angeblich eine Beruhigungsspritze, weil sie einen Nervenzusammenbruch erlitten hatte. Als sie mit dem Rettungswagen wegfuhr, dachte ich, dass ich sie nie mehr sehen werde.
Zum ersten Mal wurde mir klar, dass sie krank war. Und das, was sich vor einer Weile vor ihren Augen abspielte, war ein zu großer Schock für sie. Es hinterließ bestimmt Spuren an ihr. Seit diesem Tag wurde sie immer schwächer. Aber für mich blieb sie für immer unsterblich. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass sie mich einmal verlassen würde. Ich sah nicht, wie schwer krank sie war, denn ich liebte sie so sehr. Und in Wirklichkeit starb sie auch nie für mich.
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4.
Als es so weit war, war ich nicht überrascht. Alle warteten schon darauf. Also alle, außer mein Heinzi. Er glaubte nie, dass er mich verlieren wird, und das war das Schlimmste. Die Gewissheit, dass ich meine Kinder auf dieser Welt alleine zurücklassen muss.
Aber es musste so sein. Der Herr rief mich zu sich und er machte das sicher deshalb, damit ich über meine Kinder von oben wachen kann. Mein kleiner Junge war schon von klein auf so verletzlich. Er hatte ein unglaublich großes und gutes Herz. Deshalb wusste ich, dass ihn das Böse auf dieser Welt komplett zerstören konnte. Dass er sich vor dem Hass der Menschen, vor Neid und vor Schadenfreude nicht schützen kann. In gewissem Sinne war er immun dagegen, denn er hätte nie zugegeben, dass die Welt wirklich so war. Und die Menschen, oft auch seine Nächsten, werden ihn meistens enttäuschen. Er war ein Freigeist und war unfähig, jemandem weh zu tun - nicht einmal einer Fliege. Deshalb konnte er sich nicht vorstellen, dass es jemand gab, der ohne mit der Wimper zu zucken, dies täglich schafft.
Als ich starb, war es für ihn ein unglaublicher Schlag. Er war gerade in dem Alter, in dem die Kinder in einem Zweispalt sind – einerseits brauchen sie ihre Eltern sehr und sind verletzlich wie nie zuvor. Andererseits wollen sie schon erwachsen sein. Etwas Neues geschieht mit ihnen, Sie sehnen sich danach, das Leben auszuprobieren, die Welt kennen zu lernen und selbstständig zu werden. Mein Sohn war genauso. Er litt sehr. Er war auf seine Freunde neidisch, dass sie ein warmes Essen, Mamas Umarmung, ein Zuhause hatten. Und er selbst musste schnell erwachsen werden, um dem jüngeren Bruder eine Stütze sein zu können. Und um ihm mich zu ersetzen, denn ihr Vater war viel zu hart. Roman bemühte sich, er begann sogar zu kochen und warme Abendessen für die Kinder zuzubereiten. Aber weil das Einzige, was er kochen konnte, aus Schweinefleisch war – gebraten, geschmort oder gekocht, mit Kartoffeln, Reis oder Brot, war der Magen meiner armen Kindern schon beim bloßen Anblick wie zugeschnürt. Auch unsere Nachbarn bemühten sich sehr, die Situation unserer Familie zu erleichtern. Sie brachten ihnen Kuchen. Ich denke, zu dieser Zeit war in unserem Haus mehr Kuchen, als ich je in meinem ganzen Leben gebacken hatte. Sie hofften vielleicht, dass sie ihr bitterliches Leben damit ein bisschen süßer und erträglicher machen könnten.
In meinem Sohn blieb für lange Jahre eine katastrophale Leere. Er wusste nicht, wie er sich mit meinem Tod abfinden sollte, woher er die Kraft nehmen sollte, für seinen Bruder Wolfgang zu sorgen. Er verschloss sich in sich selbst und wollte lange niemanden sehen. Er war ein bisschen erleichtert, als das Begräbnis vorbei war. Mein Junge verabschiedete sich von mir auf seine Weise – er sang sein Lieblingslied von Wolfgang Ambros. Ich dachte, er würde nicht einmal auf Drängen seines Vaters aus dem Wagen steigen. Er saß dort und sang für sich - für mich. Als ob er gewusst hätte, dass ich ihn hörte. Dass ich bei ihm war und auch für immer bleibe . Er war nicht wie sein Vater. Ich behaupte nicht, dass er nicht litt. Aber er kämpfte gegen den Schmerz auf seine eigene Art. Niemand konnte in sein versteinertes Herz hineinsehen, auch Karl-Heinz warf ihm seine Gefühllosigkeit vor. Nur ich wusste, wie sehr er mich geliebt hatte. Er selbst kam zu meinem Kleinen in die Fabrik mit der traurigen Nachricht und damals hatte auch er Tränen in den Augen.
Als schließlich auch mein Heinzi dazu fähig war, einzusehen, dass es zu Ende war, begriff er auch, dass er eine Halbweise geworden war. Aber zugleich wurde ihm bewusst, dass ich auch hier war, ständig bei ihm. Bis heute sprechen wir miteinander, leise, geheim. Ich wurde zu seinem Beschützer und eigentlich sorgte ich auch ein bisschen dafür, dass meine Jungen wenigstens in den schlimmsten Zeiten zusammenhielten, zusammen waren und sich gegenseitig darum kümmerten, dass sie irgendwie weiter leben konnten.
Ich bewunderte und liebte immer seine innere Kraft, die ihn antrieb. Wenn er sich etwas vornahm, musste er der Beste sein. So war es sowohl im Sport und als auch in der Arbeit. Mein Sohn rannte viel. So hielt er sich in guter Kondition. Er lief über fünftausend Kilometer in seinem Leben. Es half ihm. Und Fußball, den liebte er. Er spielte Fußball schon seit dem achten Lebensjahr. Mit zwölf musste er damit aufhören, weil ihn die Jungen im Club misshandelten. Sie waren sehr aggressiv und dumm. Ich war besorgt, als er manchmal geschunden nach Hause kam. Ich verfluchte sie, denn ich wusste, dass sie ihn schikanierten. Mein Engelchen. Sie mochten ihn nicht, weil er besser war als sie. Diese Bälger, eine Handvoll primitiver Schufte, die sich ihre Kraft durch ihre Bosheit beweisen mussten. Sie schlugen ihn ins Gesicht, traten ihn in den Bauch, einmal schupsten sie ihn sogar nackt aus der Dusche auf eine Wiese und stahlen ihm alle seine Sachen, um ihn zu demütigen. Und ihr Trainer war genauso ein Strauchdieb. Statt mit den unerzogenen Knaben kurz Tacheles zu reden, hatte er sogar riesigen Spaß an der Qual meines Sohnes und unterstützte sie. Es waren Primitive, aber ich sorgte dafür, dass es ihnen vom Leben zurückgezahlt wurde. Bis heute sind sie die Dümmsten im Dorf und kamen nie weiter als bis zur nächsten Kneipe.
Deshalb machte Heinzi Schluss mit dem Fußball und begann mit Athletik. Und dort öffnete sich für ihn ein neuer Horizont. Er wurde kräftiger und größer und ich war unendlich stolz auf ihn. Schon mit siebzehn wurde er österreichischer Meister. Und je besser er wurde, desto mehr glaubte er an sich und desto besser machte alles. Es betraf nicht nur den Sport, wo er exzellent sein wollte. In der Arbeit schaffte er auch verblüffende Ergebnisse. Deshalb war ich mir sicher, dass er gut zu Recht kommen würde. Aber weder ich, noch er ahnten, wie sehr ihn seine Andersartigkeit in Gefahr bringen würde.
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IV. „Österreich war immer Spitze in der Ausbildung. Dank Kasernenhofdrills in der Fabrik lernte ich schon nach zwei Wochen das, was die anderen nach einigen Jahren.“ Karl-Heinz Semlitsch
Als ich die Hauptschule abschloss, musste ich mich entscheiden, was ich weiter machen soll. In die Mittelschule wollte ich nicht gehen. Dorthin gingen die protegierte Kinder – nur die der Bürgermeister- und der Postleiter, der Lehrer; kurz gesagt eine geschlossene Gruppe, in die ich nicht passte. Zur Auswahl standen noch die Ausbildungsstätte oder die technische Schule. Ich war nicht dumm. Als einziger im Jahrgang löste ich ja schon in der sechsten Klasse ein physikalisches Problem, mit dem keiner der Generation der sechsten Klassen vor und nach mir zurechtkam. Dank dieses Umstandes erinnert sich mein Lehrer bis heute an mich, obwohl es schon fast vierzig Jahre her ist.
Ich wollte am liebsten nach der Schule weiter studieren, aber mein Vater machte mir schnell einen Strich durch die Rechnung. Er hatte kein Geld für mein Studium, deshalb war es klar, dass ich möglichst schnell eine Arbeit finden musste. Und so wählte ich das kleinere Übel – die Technik. Dort konnte ich wenigstens interessante Sachen erlernen und mich zum Elektriker oder Mechaniker ausbilden lassen, was mir ziemlich gefiel. Soweit würde es noch kommen, dass ein Semlitsch an der Hochschule studieren würde! Es war notwendig, auf ehrliche Weise meinen eigenen Lebensunterhalt zu verdienen, um möglichst schnell die Eltern von einem hungrigen Magen zu befreien.
Österreich war schon immer Spitze in der Ausbildung. Heute weiß ich, dass wenn ich diese Schule nicht absolviert hätte und Elektrik nicht gelernt hätte; wenn ich nicht den Drill in der Fabrik durchgemacht hätte, der mir das Praktikum näher brachte, wäre aus mir nichts geworden. Und nie hätte ich meine eigene Firma gehabt. Ich musste lernen, mit verschieden Materialien umzugehen, wissen, was woraus bestand, musste schleifen und bohren. Es machte mir Spaß, vier Stunden wie ein Sklave zu schleifen, denn ich lernte dabei etwas und schließlich entstand dadurch etwas, was von meinen eigenen Händen geschaffen wurde,. Ein Produkt. Und das freute mich. Es war super, dass wir unsere Kenntnisse gleich an den Maschinen anwenden konnten. Ich kam in eine Fabrik mit Spitzentechnologie und den neuesten Maschinen, und das faszinierte mich. Vor allem, als ich nach zwei Jahren in eine Dosenfabrik versetzt wurde, waren meine absolute Gründlichkeit und Genauigkeit entscheidend. Oftmals ging es bei den Maschinen um Millimeter damit sie so funktionierten, wie sie sollten. Die Toleranz war gleich null. Es war für mich ziemlich leicht und schon nach zwei Wochen beherrschte ich alles, wofür die anderen viele Jahre brauchten.
Ich hatte die Hose voll, als wir uns jeden Tag Punkt sechs Uhr in einer Reihe so aufstellen mussten, dass keine Schuhspitze auch nur einen Zentimeter hervorragte, denn der Meister stampfte sonst darauf mit seinem ganzen Gewicht. Ich musste um fünf aufstehen, um pünktlich um sechs die Arbeit zu können anzutreten. Und die Disziplin war nichts für mich. Ich träumte lieber.
Als ich zum ersten Mal in die Gruppe der Männer kam, die alle zweimal so alt wie ich waren, passte ich in diese gar nicht. Ich war doch erst sechzehn und im Vergleich zu ihnen wie eine Ameise. Sie waren riesig, kräftig und ziemlich primitiv. Ich wunderte mich also nicht, dass ich manchmal zum Ziel ihrer Späße wurde.
Zum Beispiel damals, als sie mich zum Kaffee einluden. Ich freute mich, dass sie mich vielleicht endlich akzeptieren würden. Also ging ich gerne mit. Ich ahnte nicht, was für ein Treffen sie für mich vorbereitet hatten. Sie hatten ein Weib mitgebracht. Aber nicht nur irgendeins. Die Frau hatte riesige Brüste, die ihr aus dem Ausschnitt quellten. Sie war mehr aus- als angezogen und wirkte grob und vulgär auf mich. Ich dachte, dass es eine der Gespielinnen meines Kollegen Franz. Deshalb widmete ich ihr zuerst keine Aufmerksamkeit. Aber mein Blick ließ sich nur schwer von ihrer prallen Oberweite ablenken, die ihr Büstenhalter kaum zügeln konnte. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Und genau darum ging es diesen Rüpeln. Einer stupste mich: „Na, Karl-Heinz, das ist eine Maschine, nicht wahr? Die haben wir für dich aufgetrieben. Damit wird aus dir endlich ein Mann!“
Ich sah sie an, ob sie vielleicht spaßten und ich schüttelte nur mit dem Kopf.
„Na komm,“ pflaumte Franz und die anderen schupsten mich auch an: „Fass ihr an die Brüste, Milchbubi, trau dich!“ Bei diesen Worten öffnete er ihre Bluse und die Ballons kullerten aus ihrem Gefängnis. Ich schämte mich so sehr wie nie zuvor. Vor mir stand eine halbnackte Frau und bot sich wie in einem Schaufenster an, wobei sie an der ganzen Situation verdammt viel Spaß hatte.
„Nein, ich will nicht,“ erwiderte ich und wollte gehen, weil dieses obszöne Spiel mir gar nicht gefiel. Die Frau baute sich vor mir auf und rieb mir ihre riesigen Brüste wie Melonen unter die Augen. Ich wendete meinen Blick ab und machte mich auf die Flucht, aber die vier stellten sich mir in den Weg.
„Na los, Karl-Heinz, bist du ein Kerl?!“ spornten sie mich an. „Wann wirst du je wieder so eine Gelegenheit haben?“ Bei diesen Worten schlug einer auf ihren Hintern und sie lachte laut, als ob daran etwas witzig gewesen wäre. Es schien, als ob alle einen riesigen Spaß an mir hätten.
„Entschuldigen Sie, ich möchte lieber gehen“, erwiderte ich höflich. Plötzlich spürte ich, wie mich drei Mann an meinen Haaren packten. Ich schaffte es nicht einmal einzuatmen und plötzlich wurde mein Kopf zwischen die zwei riesigen Dinger gedrückt. Es war eine maßlose Schande. Die Frau war widerlich und ich verachtete sie, aber dennoch habe ich mich gedemütigt gefühlt. Ich wäre fast erstickt und alle um mich herum wieherten wie verrückt, während ich verekelt flüchtete, sobald ich losgelassen wurde. Es war eine Schande. Aber damals ahnte ich eigentlich noch gar nicht, mit was für einer riesigen menschlichen Niederträchtigkeit ich in der Fabrik konfrontiert werde.
Was Frauen betraf, war mir klar, dass von den Zweihundert, die in der Fabrik arbeiteten, ich jede hätte haben können. Neunzig Prozent von ihnen schliefen mit jedem der zwanzig Männer in der Fabrik. Es waren Huren. Und auch ich war nicht hässlich, was ich aus ihren Blicken lesen konnte. Aber ich war schüchtern und nach diesem Erlebnis verschloss ich mich noch mehr in mich selbst. Und von Frauen wollte ich nichts mehr wissen.
Zumindest bis zu dem Sommer, als ich mit Georg und fünf weiteren Freunden an den See fuhr. Wir hatten kaum Geld. Wir mussten mit fünf Schilling pro Tag auskommen. Für uns war es wichtig, dass wir wie Erwachsene zum ersten Mal alleine weg von zu Hause in den Urlaub zum See fahren konnten. Wie es der Zufall so wollte, traf ich dort meine erste Sommerliebe. Obwohl es nicht direkt Liebe genannt werden kann, es war rein platonisch. Ich hatte ja nichts mit ihr. Sie war eine Schwedin und dank ihr vergaß ich mein unangenehmes Erlebnis mit der vollbusigen Hexe. Sie hatte nämlich niedliche Knospen, die ich gern im Geheimen bewunderte.
Als ich nach zwei Wochen Plantschen, Scherzen, Baden und Zelten nach Hause zurückkam, verstand ich nicht, warum mich die anderen Männer fragten: „Semi, warst du an Starnberger See? Und hast du Zeitung gelesen?“ (Semi ist mein Spitzname, so nennen mich bis heute meine engsten Freunde.) Sie sprachen von unserer Zeitung, die 1,6 Millionen Bewohner der Steiermark lasen. Die Frage verwunderte mich, bis sie mir die Seite mit den Zeitungsanzeigen zeigten. Dort stand: Ich suche den Jungen namens Sem mit der roten Badehose und mit dem Lockenkopf.
Wie schrieben uns die nächsten fünf Jahre Briefe und nach weiteren fünf Jahren schickte sie mir ein Foto. Obwohl sich mein Vater immer sehr gewünscht hatte, dass ich nach Schweden ziehe und dort ein gutes Leben führe, bin ich sehr froh darüber, dass unsere Beziehung rein platonisch blieb. Denn mit der Zeit bekam sie eine doppelt so große Ausstattung wie die Hexe aus der Fabrik und ihr Hinterteil wurde zentnerschwer. Schon in meiner Jugend war ich sehr international, was schließlich in meiner Liebe fatal wurde.
Ich hatte gar keine Erfahrung in der Liebe – wenn ich den einzigen Kuss nicht mitzähle, den ich mit dreizehn bekam. Als wir sechzehn wurden, beschlossen wir, dass es an der Zeit wäre, einige zu gewinnen. Der See war dafür wie gemacht. Wir waren ungefähr acht Jungs und zwei Mädchen. Am Tag badeten wir und am Abend gingen wir ins Kino. Georg wählte die Schielende, wer weiß warum sie ihm gefiel. Die Andere hatte feuerrotes Haar und ich war ihr sichtlich nicht gleichgültig. Sie ging mit mir nach dem Kino ziemlich bereitwillig in mein Zelt. Georg hatte sich wenigstens etwas vorbereitet – sein Bruder besaß eine enorme Sammlung an Pornozeitschriften, es waren sicher Hunderte – aber mich interessierten diese Sachen nie. Und trotzdem wusste ich, was zu tun war. In diesem Zelt erlebte ich mein erstes Mal und es wäre ein unglaublich schönes Erlebnis gewesen, wenn ich nicht gleich nach dem Ende den schallenden Applaus der Anderen gehört hätte. Ich war wütend, als ich ganz rot und frisch der Jungfräulichkeit erlöst aus dem Zelt schaute und dort ungefähr zwölf Jungen erblickte, die die ganze Zeit gespannt hatten. Zwei Tagen später wusste das ganze Dorf, dass Semi und Georg Männer geworden waren. Georg war das egal, er schlug mir sogar nach einigen Tagen couragiert vor: „Hei, Karl-Heinz, wie wäre es mit Gruppensex?“
Die Zeit an den Seen war für mich immer schicksalhaft. Ich weiß nicht, ob ich schon siebzehn Jahre alt war, als wir wieder zusammen mit Georg in den Urlaub fuhren. Und ich weiß nicht mehr, warum es gerade nach Ungarn ging. Vielleicht deshalb, weil dort alles so billig war. Da das Land von einem totalitären Regime beherrscht wurde und die Bewohner die Waren aus dem Westen offiziell nicht kaufen durften, brachten wir einige Kartons Zigaretten und Feinstrumpfhosen mit. Es war etwas Besonderes für sie. Wir mieteten für eine Woche ein Haus, in dem wir jeden Tag wunderbare Partys feierten. Und weil wir den Besitzer mit Zigaretten bestachen, gewannen wir ihn für unsere Seite. Gleich am nächsten Tag klingelte er an unserer Tür mit seinen zwei Töchtern, denn es kam ihm offensichtlich darauf an, dass sie österreichische Freunde bekamen. Die zwei waren entzückt von uns. Ich kann nicht sagen, dass das auf Gegenseitigkeit beruhte. Eine von ihnen – die, die hinter mir her war – stank nämlich schrecklich. Nach Schweiß und Schmutz, als ob sie sich viele Wochen nicht gewaschen hätte. Auf einer Party wollte sie sehr intensiv mit mir tanzen, aber ich konnte einfach nicht. Sie schloss uns sogar im Bad ein und schaute mir tief in die Augen… Das Vieh.. Ich dachte, ich müsste aus dem Fenster springen. Schließlich begnügte sie sich, Gott sei Dank, auch mit ein paar neuen Strumpfhosen anstatt eines Heiratsantrags.
Meine Erlebnisse mit Mädchen waren leider nicht nur lustig. Einmal verlor ich wegen einem Solchen die Hälfte meiner Freunde und dachte, dass ich meine Reputation nicht mehr wiederherstellen werde. Wenn ich mich wirklich verliebte, meinte ich es immer ernst und wollte definitiv niemand wehtun. Ich war nicht der Typ. Als ich dieses eine Mädchen kennen lernte, verliebte ich mich in sie. Ich wusste, dass sie sich von ihrem Freund getrennt hatte und bald kam es zu unserer ersten gemeinsamen Nacht. Ich war nicht besonders begeistert von diesem Erlebnis, denn sie lag dort wie eine Puppe und bewegte sich gar nicht. Ich kam mir wie der größte Tollpatsch vor. Gleich danach ging sie nach Hause. Ich verstand es nicht und war auch sehr überrascht, als ihr Freund am nächsten Tag zu mir kam und mich als Schwein beschimpfte. Angeblich hätte ich ihr so wehgetan, dass sie wegen mir ins Krankenhaus gehen musste. Ich sah ihn begriffsstutzig an und wusste noch nicht, dass mich alle für einen Mistkerl hielten. Es war meine erste Beziehung über einen Monat und sie endete kläglich. Woher hätte ich wissen sollen, dass sie sich bei einem Fahrradunfall ein halbes Jahr zuvor am Unterleib verletzt hatte und diese Verletzung noch nicht komplett ausgeheilt war? Sie hatte mir nie ein Wort darüber erzählt. Es tat mir sehr leid, aber ich konnte nichts mehr tun.
Zwei Monaten später lernte ich dann Monika kennen. Alle Namen der Frauen in meinem Leben begannen mit einem M. Also zumindest der Frauen, die später an ihrer Wichtigkeit verloren. Aber damals war ich davon überzeugt, dass sie die Richtige für mich war. Sie war perfekt: groß, schlank und hübsch. Sie war eine Verkäuferin. Und ich war von ihr hingerissen. Ich war kein Cowboy-Typ in Lederjacke und Spitzenstiefeln. Im Gegenteil, ich hatte eine Romantiker-Seele und war deshalb leicht verletzbar. Sie hatte einige Beziehungen hinter sich. So kam es, dass, als Monika und ich bereits zusammen waren, auch ihr Ex-Freund auf einer Silvesterparty war. Ich hatte mich sehr auf den Abend gefreut, denn ich hatte vor, dass, nachdem ich nach der Feier alle nach Hause gebracht hatte, könnten wir endlich alleine zusammen sein. Weil die Hütte, wo wir mit dreißig Freunden das neue Jahr begrüßten, in den Bergen war, hatte ich mich bereit erklärt, alle anderen nach und nach mit meinem Motorrad ins Dorf zurück zu fahren. Monika ließ ich bis zum Schluss in der Hütte. Als ich für sie zurückkam, kam es irgendwie komisch vor, dass nirgendwo Licht brannte. Im ganzen Haus war es dunkel, außer in einem Zimmer – dem Schlafzimmer. Dort erblickte ich ein kleines Licht. Ich ging zu ihr in der Hoffnung, dass sie schon sehnsüchtig auf mich warte und… die Tür war abgeschlossen. Ich begriff, dass sie dort drinnen nicht alleine war. Noch klarer war mir, wer ihr dort Gesellschaft leistete.
Ich war angeekelt. Ich vertraute ihr und sie… Ich wusste, dass ich sie verlor. Völlig niedergeschlagen ging ich nach Hause und verfluchte alle Frauen der Welt, bis etwa gegen drei Uhr morgens jemand an der Tür klingelte. Es war Monika. Sie weinte und hätte sich um meinen Hals geworfen, wenn ich es ihr erlaubt hätte. Sie versuchte mich davon zu überzeugen, dass sie es nur deswegen gemacht hatte, weil sie mit ihrem Ex-Freund nie Sex hatte aber von ihrer Freundinnen gehört hatte, dass er im Bett ein Gott wäre. Deshalb musste sie es versuchen. Sie tat mir Leid. Aber mehr auch nicht. Wenn mich mein Vater damals nicht gezwungen hätte, sie reinzulassen, hätte ich sie nicht mehr empfangen. Sie ekelte mich an. Sie musste sich sehr bemühen und mich unendlich überzeugen, bis mein Zorn etwas nachließ. Schließlich widerstand ich ihren Reizen nicht, denn sie wusste, wie man einen Mann verführt. Aber ich fühlte nichts mehr ihr gegenüber. Ich konnte sie nicht lieben. Ich schätzte sie nicht. Aber Monika wusste es nicht. Noch eine andere Sache entging ihrer Aufmerksamkeit. Ihre ältere Schwester versuchte es ebenfalls, mich zu verführen. Einmal an dem Abend, als Monika irgendwohin ausging und erst an die nächste Morgenfrüh zurückkehren sollte, versuchte sie es. Aber ich war nicht so. Immer befolgte ich einen ethischen Kodex. Das war sehr wichtig für mich. Es bedeutete auch, dass ich nie die Frau meines Freundes berührte, die Schwester meiner Frau und so weiter. Und Monika, als ob sie es geahnt hätte, kam diese Nacht früher zurück.
Und seitdem wollte sie mich nur für sich haben. Sie bemühte sich so intensiv, dass sie mich sogar heiraten wollte. Ich war noch nicht einmal achtzehn und erschrak bei der Vorstellung einer Heirat. Dazu kam auch noch die Tatsache, dass ihr Hinterteil, einmal so hübsch und reizend, sich mittlerweile verdoppelte und sie zwanzig Kilo zunahm. So gut ging es ihr bei mir die zehn Monate. Ich kann nicht sagen, dass es umgekehrt genauso war. Als wir einmal zusammen im Bett lagen, und ihre Mutter ins Zimmer kam, durchsuchte sie das Bett und fragte dann: „ Ist Karl-Heinz nicht da?“
In dieser Nacht fiel ihr ein, dass das beste Mittel zur Besiegelung unserer Liebe ein Kind wäre. Ich erschrak so sehr, dass ich Migräne, Bauchschmerzen, Durchfall, Krämpfe und alle anderen Krankheiten dieser Welt bekam, nur damit ich nicht mit ihr schlafen musste. Als ich am nächsten Morgen aus dem Bett kletterte, setzte ich mich auf mein Motorrad und brauste davon. Es war mir klar, dass ich mich für immer und ewig von ihr verabschiedete.
Ich hatte erst einmal genug von Frauen und dachte, ich bleibe lieber allein. Ich hielt es gerade einmal zwei Wochen aus. Genau bis zu dem Tag, als ich Manuela in der Disco traf. Meine zukünftige Frau.
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V. „Es war ein absoluter Wahnsinn. Sie haben mich nach Hause geschickt, denn, wenn ich sterbe, geschieht es wenigstens nicht in der Firma.“ Karl-Heinz Semlitsch
In dieser Zeit erlebte ich außer meinen ersten Erfahrungen mit Mädchen, die mein Leben süßer machten, auch die prägenden Augenblicke der Betrübnis nach dem Tod meiner Mutter. Und auch mein erstes Treffen mit wahnsinniger und wilder Bosheit der Menschen. Das Erlebnis ritzte sich tief in mein Herz und wurde zu einem der intensivsten Momente meines ganzen Daseins.
Es war halb acht, ein gewöhnlicher Arbeitstag, der mir wie jeder andere vorkam. Umso seltsamer wurde es, als plötzlich ungefähr sechs Männer zu mir kamen und sagten, dass ich sie begleiten soll. Sie wollten mir etwas zeigen und ich ging, von Natur her neugierig, mit ihnen in den Nachbarraum. Ich ahnte wirklich nicht, was sie vorhatten. Ich erschrak erst dann, als plötzlich zwei von ihnen meine Beine packten, zwei meine Armen und zwei mich festhielten, damit ich mich nicht losriss.
„Was macht ihr? Spinnt ihr?“ schaffte ich noch zu fragen, denn ich dachte, dass sie für mich wieder einen von ihrer Scherze vorbereiteten. Erst als ich erblickte, was einer von ihnen in der Hand hatte, packte mich Angst und ich begann, wie ein angestochenes Schwein zu zappeln.
„Hei! Seid ihr verrückt?!“ schrie ich machtlos, als ich sah, wie einer meiner Kollegen die Luftpistole packte und sie auf meinen Kopf richtete. Sie ignorierten mein Entsetzen und den Schrei. Die Irren wieherten sogar wie wild und ich wusste, dass wenn er den Abzug drücken würde, wäre es aus mit mir. Wenn man nämlich einem Menschen mit einer Luftpistole fünfzig Liter Luft zum Beispiel direkt in den Darm geschossen hätte, wäre sein Körper explodiert. Mit Graus beobachtete ich, wie ihre Augen immer mehr von Wut getrübt wurden, wie sich mit jeder Sekunde die Aggressivität und Lust zum Morden steigerten und der Mut zu einer solchen unmenschlichen Tat entstand. Ich fühlte mich, als ob ich an einer Mauer gestanden hätte und beobachten würde, wie ein rasender Zug direkt auf mich zufahren würde, der mich in nächster Sekunde wie einen Wurm zerquetschen würde. Ich war mir dessen bewusst, dass wenn kein Wunder geschehen würde, würden sie es wirklich tun., Wenn sie mir die sieben Bar Luft durch das Ohr ins Gehirn blasen würden, wie sie es wirklich vorhatten, wäre ich in der nächsten Sekunde tot. Mein Leben würde in diesem Augenblick enden.
Ich konnte trotzdem nichts tun. Nichts, das sie daran hinderte, mich zu töten. Das Letzte, was ich noch weiß, war das schallende Lachen meines Mörders, als er mir wirklich den Pistolenlauf ins Ohr steckte und den Abzug drückte. Weiter nichts. Schwarze Dunkelheit. Mein Körper lebte nicht mehr, ich war weg. Ich weiß nicht, wie es möglich ist und alle meine befreundeten Ärzte können es sich auch nicht erklären, aber… ich kam wieder zu mir. Ich verstand nicht, wo ich war und wer ich war, nichts ergab einen Sinn. Als ob mein Kopf gerade explodiert wäre. Und trotzdem war ich immer noch da. Lebendig. Und, obwohl ich wie eine Leiche auf einer Art Seziertisch lag, war ich sogar imstande, mich langsam aufzurichten und auf den Boden hinzustellen. Nicht gleich, aber allmählich spürte ich, wie das Leben in mein Gehirn zurückkehrte, als ob meine getöteten Gehirnzellen wieder Verbindungen herstellten und mich antrieben, etwas zu tun. Eine Weile drehte sich noch die Welt mit mir, aber ich konnte schon ziemlich klar sehen. Als ich das Gleichgewicht zurückgewann, sah ich mich um. Ich war allein in dem Raum. Ich ging vorsichtig in Richtung des Ausgangs. Ich war in einem Raum mit großen Fenstern und gleich darunter an der Fabrikmauer floss ein Fluss. Ich hörte das Geräusch einer Maschine aus der Werkstatt und als ich mich der Tür näherte, auch Stimmen.
Ich stand hinter der Wand, hinter der sie mich nicht sehen konnten. Aber ich sah sie gut.
„Das ist eine Katastrophe, Mensch! Was machen wir jetzt?“
„Er ist tot, Scheiße, definitiv tot!“
„Ich habe versucht seinen Puls zu ertasten. Da war nichts. Er hat nicht geatmet. Es ist aus mit ihm, Mensch…“
„Kommt zu euch, Jungs und nehmt Vernunft an! Wenn man uns erwischt, sitzen wir absolut in der Patsche! Wir müssen ihn loswerden.“
„Spinnst du? Wie willst du es machen? Man wird uns sowieso entdecken...“
„Warte mal, überleg doch mal. Vor einem Monat ist seine Mutter gestorben, nicht wahr?“
„Na und?“
„Denk nach! Er war deswegen so fertig, dass es ihn völlig ´runterriss, er wollte sich töten...“
„Deshalb schoss er sich die Luft in den Kopf und sein Gehirn explodierte wie ein Luftballon? Du Arschloch...“
„Schau mal... Da unten ist doch der Fluss. Wir werfen ihn hinein und es wird wie ein Selbstmord aussehen...“
Plötzlich verstand ich. Sie wollten mich beseitigen. Meinen Körper in den Fluss werfen, um die Spuren zu verwischen. Es interessierte sie nicht, ob ich wirklich tot wäre oder ob sie mir vielleicht noch hätten helfen können, indem sie beispielsweise den Notarzt angerufen hätten. Sie interessierten sich nur dafür, wie sie aus der Sache unbeschadet herauskommen könnten. Diese Mörder.
„Ich lasse mich nicht ins Wasser werfen,“ sagte ich laut und kam hinter der Mauer hervor. Ich betrachtete ihre bleichen Gesichter, die Ausdrücke auf den umnebelten Gesichtern all derer, die mich ohne mit der Wimper zu zucken ermordet hatten und jetzt glaubten, dass mein Geist aus dem Schattenreich zum Spuken käme. „Ihr werft mich nicht ins Wasser,“ wiederholte ich wie einen Zauberspruch und sie zuckten alle zusammen. In dem Moment verwandelten sie sich in kleine aufgeschreckte Soldaten, die unter Androhung der Maximalstrafe auf jedes Wort gehorchten. Einige schrien sogar vor Schreck. Sie waren überzeugt, dass ich aus Jenseits zurückgekehrt war. Alle waren verstört, noch mehr als ich, als sie mich mit ihren blutgierigen Händen packten.
„Du... bist tot...“ sagte einer, um auch andere davon zu überzeugen.
Dann begannen sie sich zu entschuldigen. Ich weiß nicht, wie sich ein Mensch fühlt, der gerade jemanden tötete. Ich konnte nicht einmal eine Mücke töten. Ich kann das nicht. Und sie… sie taten mir eigentlich Leid. Sie waren so primitiv, dass sie nicht die Folgen ihrer Handlungen bedachten. Sie wussten sicher in dem Augenblick nicht, was sie taten. Sie ahnten vielleicht gar nicht, dass sie mich töten konnten und ich glaube, dass sie es auch nicht vorhatten. Ich hatte ja mit ihnen auch nie schlimme Absichten gehabt. Wieso sollten sie mir also wehtun?
Mein Meister ließ mich nach Hause gehen. Sie schickten mich nicht zum Arzt und holten auch keinen zu mir. Ich bekam nur großzügigerweise frei. Heute weiß ich, was passiert wäre, wenn ich innere Blutung bekommen hätte. Ich wäre in dieser Nacht gestorben. Und sie haben mich nach Hause geschickt. Damit sie ihre Hände in Unschuld waschen konnten und mit meinem eventuellen Tod nichts zu tun hätten. Niemand hätte Schuld an meinem Tod gehabt.
Es war einer der prägendsten Augenblicke meines Lebens. Mir wurde bewusst, dass ich deshalb nicht gestorben bin, weil meine Mama es nicht erlaubte. Sie behütete mich und obwohl mein Herz für einige Sekunden oder Minuten stehen geblieben war, bin ich zurückgekehrt. Denn ich hatte hier noch Pflichten. Sie hielt meine Hand und ich spürte es. In den wichtigsten Momenten meines Lebens stand sie mir immer bei.
Einer von ihnen, Franz, war ein genauso guter Läufer wie ich. Fünfundzwanzig Jahren nach diesem Ereignis trafen wir uns bei einer Feier und saßen an einem Tisch. Er wich meinem Blick aus und ich hatte das Gefühl, dass er nicht mit mir sprechen wollte. Ich sprach ihn ruhig an:
„Erinnerst du dich noch an den Unfall?“ fragte ich ihn.
In diesem Moment wurde sein Gesicht erst purpurrot, dann bleich und er begann, sichtlich zu schwitzen.
„Ich schwöre dir bei Gott, dass ich noch immer das Bild vor meinen Augen habe. Nachts werde ich wach, schwitze und habe Angst um mein Leben, denn stets habe ich das Gefühl, dass wir dich… dass du wirklich gestorben bist. Wenn du damals wirklich tot gewesen wärest, hätte ich mir das nie verziehen, Karl Heinz. Ich verstehe nicht, wie es möglich ist, dass du zu dir gekommen bist. Du warst weg. Wir alle haben deinen Puls geprüft. Ich weiß von meinem Training sehr gut, wie das zu tun ist. Ich weiß, wo ich ihn ertasten kann… aber dort war keiner.“ Er schüttelte den Kopf und vergrub ihn in seinen Händen.
„Franz... Ich verzeihe dir. Denke nicht mehr daran,“ sagte ich ihm und tätschelte ihn auf die Schulter. „Und genieße dein Leben.“
Franz brach in Tränen aus. Dem alten Kerl flossen die Tränen über die Wangen und er tat mir leid. Er büßte schon genug für seinen Fehler. Und ich – an diesem Tag geschah etwas mit mir. Es gab einen Bruch in mir, in meiner Auffassung. Ich begann wachsamer zu sein. Manche Sachen konnte ich erahnen, noch bevor die anderen sie sahen. Dies wurde schließlich sehr nützlich für mich. Auch in der Arbeit begann mich man mehr zu respektieren, als ob sie ihren Fehler korrigieren wollten. Ich gab ihnen eine Chance. Und mein Schutzengel – Mama – erinnerte mich wieder daran, dass sie hier stets bei mir war.
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VI. „Der Sinn meines Lebens kann doch nicht sein, vierzig Jahre in einer Fabrik auf die Rente zu warten. Nichts ändern zu können und sich nicht entwickeln zu können. Und zu der Entwicklung der Menschheit nicht beizutragen.“ Karl-Heinz Semlitsch
Schließlich wurde die Firma Vogel&Noot für lange Jahre zu meinem Heim. Ich wurde dort beliebt. Nicht nur bei den Kollegen, die sich nach dem Unfall vorbildlich verhielten, sondern auch bei den Chefs. Ich war gut und sie konnten tüchtige Menschen schätzen. Auch bei den Abschlussprüfungen, die aus einem theoretischen und einem praktischen Teil bestanden, holte ich das Maximum aus mir heraus. Es war nicht umsonst. Als sie die Ergebnisse bekannt gaben, waren wir alle gespannt. Auch deshalb, weil einer der Chefs, der die Lehrlinge betreute, uns eröffnete, dass nach fünfzehn Jahren die Firma endlich zwei Studenten hatte, die die Ausbildung mit Auszeichnung abschließen
Zuerst glaubten alle, dass einer von ihnen Andreas war, der Sohn des Bürgermeisters. Er erhob sich wie ein Truthahn, als man den Namen des Ausgezeichneten verlesen wollte. Und genauso schnell setzte er sich wieder, denn der Name war: Karl-Heinz Semlitsch! Er kochte fast vor Wut. Und ich vor Stolz. Es war angenehm, das Gefühl zu erleben, dass man gut war dies von jemandem geschätzt wurde. Es gefiel mir. Nach allen diesen Kummerjahren, in denen ich den grausamen Schmerz nach dem Tod meiner Mutter durchleben und wieder zur Besinnung kommen musste, spürte ich, sie plötzlich wieder bei mir zu haben.
Nach dieser Prüfung wurde ich der technologischen Abteilung zugeordnet, worüber ich wirklich begeistert war, denn es machte mir den größten Spaß von allem. Einer der Besitzer schätzte mich auf dieser Position so sehr, dass er immer wieder mit zu mir kam, wenn es fachliche Probleme gab. Meine Aufgabe war, die Erodiermaschine zu bedienen. Ich absolvierte einen Kurs in Wien, wo ich vieles über diese Maschinen lernte. Das alles begeisterte mich so sehr, dass ich die Maschine auch programmieren können wollte. Aber wie es nun mal so läuft, trifft man überall auf eine Ratte und dass passierte mir auch bei Vogel&Noot. Um die Maschine programmieren zu lernen, musste ich noch eine weitere Schulung absolvieren. Die zwei Mitarbeiter namens Hans und Karl, schlossen mich aus der Partie aus. Sie sagten, sie seien die Konstrukteure und ich bräuchte deshalb keine Schulung. Ich weiß, dass sie es aus Eifersucht machten. Sie hatten Angst, dass ich besser als siewerden könnte, denn ich wusste meinen Kopf zu gebrauchen. . Deshalb sorgten sie dafür, dass ich nicht teilnehmen konnte.
Ich hatte also die Maschine, aber wusste nichts damit anzufangen, denn mir fehlte das Programm. Als die zwei zurückkamen, wurde Karl krank und Hans war der einzige, der die Schulung absolviert hatte und es machen konnte. Aber als ihn der Chef darum bat, antwortete er frech: „Ich? Lasst mich in Ruhe! Wen interessiert schon irgendeine Saumaschine! Ich bin hier Konstrukteur und habe nie gesagt, dass ich programmieren werde!“ und schlug die Tür zu. Damals seufzte auch mein Chef, der mich mochte und der mich mit der Zeit noch lieber gewann: „Siehst du, Semi, wir hätten dich hinschicken sollen. Wir haben auf ein schlechtes Pferd gesetzt.“
Es war ein Problem. Es gab keinen, der die Maschine programmieren konnte und es war nötig, mit der Herstellung zu beginnen, denn der Meister verlang. die Arbeit innerhalb von drei Tagen zu erledigen. „Semi, tu etwas, damit es funktioniert!“
Ich hatte keine Ahnung von Programmieren. Ich hatte das doch noch nie in meinem Leben gemacht. Und so konnte ich mich nur auf meine Intuition und meinen Kopf verlassen. Ich hatte drei Tage, um mich durch Selbststudium zum gewünschten Ziel zu arbeiten. Ich begann, das Manual zu lesen. Ich verbrachte damit fünfzehn Stunden pro Tag und am Montag kam zu mir der Chef und sagte: „Hier hast du zwei Platten. Die eine kannst du kaputt machen. Aber die andere muss fertig sein.“
Ich hatte keine Wahl. Bei der ersten machte ich noch Fehler, ich machte ja so was zum ersten Mal im Leben. Aber bei der zweiten – klappte alles! Ich lernte die Maschine selbst zu programmieren und sie funktionierte! Ich war auf mich mindestens so stolz wie der Chef. Und dabei stellte ich fest, dass es mich faszinierte. Ich gewann damit die Achtung der Oberen und der Schuft Hans tobte vergeblich, wer ich denn sei, dass ich programmierte! Der Meister schrie ihn gleich an, dass er hier der Chef sei und darüber entschied, dass ich programmieren werde. Er platzte fast vor Wut, aber er musste nachgeben. Ich fühlte mich in der Firma aber nicht mehr wohl. Und das obwohl ich die Leitung völlig von mir überzeugt hatte, nachdem ich mir eine Neuerung ausgedacht hatte, die den amerikanischen Besuch bezaubert hatte. Anschließend schüttelte sogar der oberste Chef herzlich meine Hand. Aber solche Menschen, wie Hans und Karl es waren, erinnerten mich bei jeder Angelegenheit daran, dass das doch eigentlich „jeder kann“.
Der Schlüsselmoment, der meinen Entschluss über meine weitere Zukunft entschied, war die Äußerung eines dreißigjährigen Kollegen, der eines Tages seufzte: „Super, ich freue mich schon, nur noch siebenundzwanzig Jahre und ich gehe in Pension!“ In diesem Moment traf es mich wie ein Blitz. Ist das hier also wirklich alles? Das ganze Leben in einer Fabrik schuften, sich nicht weiterentwickeln und jahrzehntelang auf die Rente warten? Soll das schon das ganze Leben sein? Nein. Es war mir klar, dass dies nicht der Sinn meines Lebens war. Ich wollte mehr. Und so ließ ich mich auf ein Gespräch mit meinen drei besten Freunden ein. Sie waren geschickt, klug und tüchtig, und uns allen war klar, dass wir allein nie die eingefrorenen Strukturen in der Firma ändern könnten. Obwohl unsere Ideen gut waren, wurden sie von den angestaubten Mechanismen zermürbt. Wir wussten, dass wir hier in dieser Riesenfirma mit ihrer Tradition nichts verändern können. Dafür waren wir zu kleine Fische.
Also blieb uns nur eins übrig: wir gründen unsere eigene Firma. Wir waren zu viert und übernahmen das Risiko zu gleichen Teilen. Nach ein paar Wochen entschieden wir uns. Ich dachte, dass es jetzt ernst wurde und deshalb begann ich auch zu handeln. Wir gingen in die Wirtschaftskammer, um uns zu informieren, wie wir vorgehen mussten. Es gab in unserem Tal neben den riesigen Wirtschaftskonzernen nur ein paar einzelne kleine Schlosser – alles Alleinverdiener, aber nichts dazwischen. Und selbstständig zu sein – das war damals fast eine Beleidigung. Jeder musste stolz darauf sein, wenn er bei einem großen Brötchengeber schuften und alt werden konnte – und jeder machte es auch so: gleich nach der Schule tritt er in eine der Fabriken ein und blieb dort bis zum Tod.
Wir wollten es dennoch versuchen. Dafür war nur noch eine Kleinigkeit notwendig – ein Abschluss an der Unternehmensschule. Es bedeutete ein Jahr lang dreimal pro Woche nach Graz fahren zu müssen, um dort zu lernen. Keiner außer mir hatte Lust dazu. Und so entschied ich mich dafür und begann die Schule zu besuchen. In der Firma fragte man mich, wofür ich das denn bräuchte und ich sagte ihnen, dass ich mich auch in den Handelsbereich weiterentwickeln wollte. Somit hatten sie nichts dagegen.
Ich war begeistert von unseren Plänen und sehr motiviert. Und dann kam Paul – einer von uns vier – und begann sich zu drücken. Er hatte angeblich keinen Mut mehr und hatte Frau und Kind - er überlegte es sich anders. Wir blieben zu dritt. Aber nicht lange. Im nächsten Monat kam Peter zu mir. Er hatte vor zu heiraten und konnte sich das Risiko nicht mehr leisten. Wir waren also nur noch zu zweit – ich und Christian. Ich war ein bisschen enttäuscht, aber immer noch entschieden. Nach weiteren zwei Monaten begannen wir mit dem Businessplan. Es war uns beiden klar, dass wir unsere Firma auf etwas Neuem aufbauen mussten. Es hatte keinen Sinn uns in die hundertjährigen Traditionen einzureihen. Wir mussten uns etwas ausdenken, zu dem es in ganz Österreich nichts Vergleichbares gab. Und das konnte uns nur mit High-Tech gelingen. Zu dieser Zeit steckten 3D-Programme und die Konstruktionen noch in den Kinderschuhen und wurden in den Schulen nur die ersten zwei Semester unterrichtet. Niemand hatte Erfahrungen mit dreidimensionalen Computerprogrammen. Und das war das Entscheidende für uns. Ich wusste, dass ich einer der ersten im ganz Österreich sein werde, der das machen wird. Und dieser Gedanke begeisterte mich.
Und dann – in dem Augenblick dieser wunderbaren Idee– kam Christian zu mir. Der letzte von den drei. Schon als ich seinen betrübten Gesichtsausdruck erblickte, war mir alles klar. Er wollte sich auch nicht mehr selbstständig machen. Er erschrak vor einer solchen Verantwortung. Und so blieb er lieber bei Vogel&Noot oder wenn ich ihn angestellt und ihm das gleiche Geld gegeben hätte, wäre er zu mir als Angestellter gekommen. Ich war nicht überrascht. Ich hatte ein halbes Jahr des Studiums in der Unternehmensschule hinter mir und war mir aller Risiken bewusst, die der Status eines neuen Unternehmers auf dem Markt mitbrachte. Wenn du in Österreich eine Firma gründest und Pleite gehst, bist du für dein ganzes Leben aus dem Markt. Es ist also aus mit dir.
Dieses Risiko war mir bekannt. Trotzdem hatte ich keine Angst davor. Obwohl ich alleine blieb. Ich benötigte als Anfangskapital sieben Millionen Schilling. Ich hatte davon fünfhunderttausend. Es war mir über die Jahre in der Arbeit in der Firma gelungen zu sparen, weil ich bei meinem Vater wohnte und fast keine Lebenshaltungskosten hatte. Und deshalb hatte ich beim Treffen mit der Wirtschaftskammer Erfolg. Sie boten mir von sich aus an, dass sie mir eine Arbeitskraft zur Verfügung stellen, die für mich einen gründlichen Unternehmungsplan für die Bank so ausarbeiten wird, dass ich die restlichen sechseinhalb Millionen bekommen werde. Es faszinierte mich. Ich hatte vom Staat eigentlich gar keine Hilfe erwartet. Sie wollten im Gegenzug von mir nämlich gar nichts. Nur meine Idee, aufgrund der sie berechneten, dass ich nach den ersten drei Jahren einen Gewinn von einer Million Schilling erreichen könnte. Es war wie eine Bombe! Ich konnte es mir kaum vorstellen. Ich konnte nicht verstehen, warum sich nicht auch alle anderen selbstständig machten, wenn es so leicht ist. Ich hatte ja bis dahin nur hundertfünfzigtausend Schilling netto pro Jahr verdient und plötzlich könnte ich in drei Jahren eine Million erwirtschaften?! Ich kontrollierte immer wieder den Businessplan, ich verstand nicht einmal die Hälfte davon. In der Schule lernte ich zwar etwas darüber, aber es war nur Theorie. Die Schule weiß nichts von der Realität, kennt kein Risiko und alles sieht anders aus, wenn du rauskommst und das Risiko eingehst. Es ist dabei völlig egal, welche Ausbildung du hast.
Nervös machte ich mich auf den Weg zur Bank, wo ich einen Termin für die Besprechung meines Plans bekam. Mit meiner Entscheidung zur Selbstständigkeit traf ich glücklicherweise gerade die Zeit, in der in Österreich die Meinung herrschte, dass das Land neue Impulse brauchte, neues Blut und junge Unternehmer. Und mein Vorhaben entsprach genau diesem Konzept. Es war perfekt, dass auch der Staat neue Projekte mit dreißig Prozent Kapital unterstützte.
Die Bank unterstützte meinen Plan. Und ich konnte für meine Firma Räume suchen. Ich wollte möglichst nah an meinem Zuhause bleiben, und so ging ich zu unserem Bürgermeister. Ich war niedergeschlagen, als ich spürte, wie die Wichtigtuer im Stadtrat über mich lachten. Ich - ein Unternehmer? Wie viel Angestellte möchte ich denn haben? Einen, zwei im nächsten Jahr, drei im Übernächsten? Ich wurde zu ihrem Gespött. Sie glaubten mir nicht und waren arrogant. Sie hatten kein Interesse an so kleinen Fischen wie mir. Es gab hier große Firmen und die Dummköpfe hatten keine Ahnung, wovon ich eigentlich redete. Ich wollte eigentlich nur einen Platz – ein Gebäude oder ein Grundstück, wo ich meine Pläne verwickeln konnte. Ich hätte nicht im Geringsten erwartet, was das für ein Problem sein könnte. Ich durchquerte die benachbarten Dörfer, aber alle Gebäude waren entweder in einem desolaten Zustand, oder sie wollten eine so hohe Miete, die ich mir nicht leisten konnte. Von den acht Dörfern in der Umgebung waren sechs nichtfähig, mir zu helfen. Sie nahmen mich nicht ernst. Ich war nur dreiundzwanzig, ein Meter achtzig groß und nicht einmal siebzig Kilo schwer. Ich sah gar nicht wie ein Unternehmer aus.
Ich entdeckte schließlich das richtige Gebäude. Es war ein ehemaliger Konsum – ehemals das größte Lebensmittelnetz in Österreich, von dem nur eine Menge verfallener Häuser übrig blieb. Dieses Gebäude war auch in einem ziemlich desolaten Zustand. Es sah so aus, als ob es bald einstürzen würde. Auch deshalb wollte man von mir für das ganze Gebäude mitsamt Grundstück nicht einmal fünfundsechzigtausend Schilling, was für so eine Fläche ein ziemlich guter Preis war. Ich entschied mich, es zu kaufen. Und bald war es wirklich meins. Mein erstes Gebäude. Es war zwar jede Menge Arbeit damit verbunden, aber mit Hilfe meines Vaters, meiner Brüder und meiner Schwester reparierten wir schon bald das Dach und das Interieur. Es war eigentlich ein Gebäude mit einem Stockwerk und einem Dachgeschoss, aber man konnte nur das Erdgeschoss nutzen.
Und so kündigte ich bei Vogel&Noot. Ich hatte dabei Tränen in Augen. Sie waren für mich wie eine Familie und der Abschied war schwer. Aber niemand legte mir Steine in den Weg. Der Chef unterstützte mich und machte mir keine Vorwürfe. Er selbst hätte dasselbe gemacht, wenn er jünger gewesen wäre. Und obwohl ich mich von ihnen verabschiedete, blieben wir auch weiter im Kontakt und ich half ihnen, wenn ich die Gelegenheit dazu hatte. Die Strategie der Firma war es, dass alle gemeinsam auf ein Ziel hinarbeiteten. Und das wollte ich auch erreichen. Ich wollte, dass die Leute, die in meiner Firma arbeiten werden, das Gefühl haben, dass wir alle zusammen gehören. Ich wusste aber noch nicht, dass, damit es so funktionieren kann, noch viele, viele Jahre vergehen mussten.
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VII. „Eine Sekretärin ist immer besser alt und hässlich als jung und schön.“ Karl-Heinz Semlitsch
Ich liebte Manuela wirklich. Wir waren schließlich sechs Jahre zusammen und ihre Familie war für mich wie meine eigene. Sonst hätte ich nicht jedes Wochenende in der Pension im Skicenter geschuftet, die ihr Vater gekauft hatte. Jedes Wochenende arbeitete ich dort freiwillig und ohne Vergütungsanspruch, um ihrer Familie zu helfen. Und ich konnte es wirklich gut. Ich hatte immer den größten Umsatz und erreichte für den alten Herrn – meinen zukünftigen Schwiegervater – einen beachtlich guten Gewinn. Wie ein Pferd rannte ich von morgens bis abends, aber es machte mir Spaß und ich wollte kein Geld dafür. Ich wollte einfach helfen. Nach vier Jahren bekam ich für meine Mühe dann doch ein Entgelt – dreizehntausend Schilling, heute ungefähr tausend Euro. Als ich es zusammenrechnete, kam ich dazu, dass allein das Benzin, das ich für die Fahrt nach oben und zurück in all den Jahren verbraucht hatte, mich zweimal so viel kostete. Aber es war in Ordnung. Manuela half mir ja auch, als wir meine Firma umbauten. Sie brachte uns Essen und Trinken. Damals hätte ich nicht einmal im Traum daran gedacht, dass sie das aus irgendwelchen berechnenden Gründen machen könnte. Und ich hätte nie davon geträumt, dass ich fünfzehn Jahre später selbst Eigentümer eines solchen Skiortes sein könnte.
Ich war schon immer ziemlich naiv und hatte mich von anderen ausnutzen lassen. Deshalb überraschte es mich ein bisschen als mein zukünftiger Schwiegervater eines Tages zu mir kam und sich zu beschweren begann, dass er im Restaurant da oben viel zu viel Arbeit hatte und Leute suchen musste, die ihm an den Wochenenden helfen kamen. Mein Unternehmen war gerade zwei Jahre alt und ich schuftete damals zwanzig Stunden pro Tag. Und trotzdem erinnerte er sich an mich und fragte, ob ich ihm an den Wochenenden vielleicht helfen kommen könnte. Zuerst blickte ich ihn an und dachte, er mache einen Spaß, aber nein, es war sein voller Ernst. Ich entschuldigte mich höflich, dass es mir leidtue, aber dass ich es wahrscheinlich nicht schaffen werde.
Es war mir schon immer peinlich, den Schwiegereltern etwas abzulehnen. So war das auch mit der Hochzeit. Ich meinte es mit Manuela wirklich ernst, aber ich war noch ein Junge und fühlte mich noch nicht bereit zu heiraten. Deshalb erschrak ich, als eines Abends bei einer gemütlichen gemeinsamen Familienrunde meine zukünftige Schwiegermutter plötzlich fragte: „Na und wann wollt ihr beide endlich heiraten?“
Ich fuhr zusammen und erwiderte diplomatisch: „Selbstverständlich heiraten wir irgendwann einmal.“ In ihrer Sprache aber bedeutete das wahrscheinlich etwas anderes, denn meine zukünftige Schwiegermutter rief plötzlich ganz begeistert: „Habt ihr das alle gehört?! Das war ein Heiratsantrag! Und wir nehmen ihn an!“
Ich wurde ganz blass und wusste nicht, was ich sagen sollte. Also akzeptierte ich leise: „Na gut, heiraten wir also.“ Und unter dem Druck der Familie war ich aus heiterem Himmel verlobt. Ich sagte lieber nicht, dass ich mir das alles ein wenig anders vorgestellt hatte, ich, ein Romantiker. Und ich war überhaupt nicht davon überzeugt, dass wir das Richtige taten.
Mein Traum war seit jeher, meine Hochzeit in einem Schloss zu feiern. Wenn es schon bei der Verlobung nicht nach meinen Vorstellungen lief, hoffte ich, dass es wenigstens mit der Hochzeit anders sein wird. Und dank meines Vaters wurde es auch anders. Es war ein Schloss in Mitterdorf und mein Vater bezahlte sogar alles. Es war eine schöne Hochzeit und alles klappte wie geplant.
Ich war ein glücklicher Mann. Nicht nur deshalb, weil ich die Hochzeit in einem Schloss feierte und dort die Frau heiratete, die ich wirklich liebte, sondern auch weil es in der Firma gut lief. Es zeigte sich, dass der Unternehmungsplan ziemlich gut eingehalten werden konnte und die wirtschaftlichen Zahlen nah an der Theorie waren. Nach drei Jahren erreichte ich wirklich einen Umsatz von 1,3 Millionen Schilling und dieser erste kleine Erfolg motivierte mich sehr. Weil ich zusätzlich auch die Buchhaltung selbst machte, widmete ich der Arbeit meine ganze Zeit außer ein paar Stunden Schlaf. Ich schaffte es jedoch nicht mehr, fünfzehn bis zwanzig Stunden täglich zu arbeiten. Und so kam ich zu der Entscheidung, dass ich eine Sekretärin brauchte.
Ich kannte eine Steuerberaterin, eine sehr tüchtige Frau, die eine einundzwanzigjährige Tochter hatte und ich kam zum Schluss, dass sie ebenso tüchtig sein könnte wie ihre Mutter. Nach einer Woche stellte ich fest, dass sie noch viel zu lernen hatte, aber ich entschied, ihr noch eine Chance zu geben. Sie lernte vielleicht schnell in der Praxis. Sie sah sehr anziehend an, eine gefärbte Blondine mit langen Haaren und Beinen. Sie war sich ihrer Reize sehr bewusst. Ambitiös und strebsam, obwohl sie mir ein bisschen töricht vorkam, aber das konnte ich ihr verzeihen. Sie war ziemlich extrovertiert, mit einem sehr liberalen Verhalten und sie präsentierte sich gerne. Beispielsweise fragte sie selbstbewusst, nachdem sie aus dem Sommerurlaub mit ihrem Freund zurückgekommen war: „Wollen Sie meine Urlaubfotos sehen, Chef?“ Ich hatte keine Zeit für solche Sachen und so nahm ich an ihrer Präsentation nicht teil. Als ich in mein Büro zurückkam und meine Angestellten, unfähig zu arbeiten, in die Leere starrten, verstand ich im ersten Augenblick nicht, was hier geschehen war.
Bis mir einer von ihnen die pikanten Details der Fotos beschrieb, die die Sekretärin stolz gezeigt hatte. Gewöhnlich fotografiert man im Urlaub interessante Sachen, wie Sehenswürdigkeiten, Berge, das Meer… Auf ihren Fotos war aber nur sie zu sehen. Von vorne, von hinten, von links und rechts, aus allen möglichen und unmöglichen Winkeln und hauptsächlich… ohne überschüssige Kleidung. Nachdem sie den Kollegen die schönsten Seiten ihres Körpers wie aus einem Erotikkalender gezeigt hatte, schafften sie es noch einige Stunden danach nicht, wieder zu ihrer üblichen Arbeit zurückzukehren. Ich begann zu zweifeln, dass diese Sekretärin die richtige Wahl war. Ich ahnte dabei noch nicht, was mich in nächsten Monaten erwarten wird.
Christian, einer meiner Kollegen aus der Branche und ein guter Freund, und ich wollten mit unseren Firmen an einer internationalen Messe teilnehmen, die für uns sehr wichtig war. Wir vereinbarten, dass sich unsere Sekretärinnen an unserem Stand nach drei Tagen abwechseln. Und so begleitete mich meine Sekretärin, um dort ihre Arbeit anzutreten. Aber noch an demselben Abend fuhr sie ins Hotel – sie wohnte woanders als wir – und behauptete, dass sie starke Kopfschmerzen habe und vielleicht krank werde. Es geschah genau das, was ich nicht wollte. Als wir uns am Morgen treffen wollten, war sie nicht da. Sie war krank und konnte nicht einmal das Bett verlassen. Wir mussten also ohne sie zurechtkommen. Am letzten Tag der Messe, als wir unseren Stand aufräumten, rief ich sie an und bot ihr an, sie nach Hause zu bringen. Wir fuhren also ins Hotel und ließen sie von der Rezeption aus anrufen. Sie kam jedoch nicht. Angeblich sollte man ihr mit dem Koffer helfen. Also ging ich nach oben wie ein richtiger Gentleman. Ich kam in das Zimmer und musste mir meine Augen zweimal reiben. Das kann nicht wahr sein! Träume ich?
Sie lag auf dem Bett. Aber nicht in Reisekleidung. Sie trug nur ein schwarzes Negligé und wartete in einer koketten Pose darauf, dass ich ihren reizenden Blicken nicht widerstehen und mich auf sie stürzen würde. Wie eine Katze auf die Maus. Es wurde mir heiß. Ich bin doch auch nur ein Mann. Und einer hübschen Frau, die sich so sexy ausgestattet anbietet, widersteht man nur schwierig.
„In zehn Minuten brechen wir auf,“ sagte ich kühl und drehte ihr heldenhaft meinen Rücken zu. Ich schlug die Tür hinter mir von draußen zu. Auf dem Flur bekam ich schwache Knie und atmete tief durch. Ich war rot wie ein Truthahn. Das kann sie doch nicht ernst meinen! Sie hatte doch einen Freund und ich Manuela! Und trotzdem wollte sie mit mir Sex?! Es ging mir nicht in den Kopf. Und es war ein kompletter Widerspruch zu meinen moralischen Prinzipien. Ich fand so etwas widerlich. Oh, Gott! Sie muss verrückt sein!
Als sie zehn Minuten später nach unten kam, schauten wir uns kaum an. Wir setzten uns nur in den Wagen und fuhren los. Ich konnte immer noch nicht ahnen, wozu sie fähig war. Ich musste mir nicht nur zwei Stunden ihr Gequatsche anhören – sie laberte nur dummes Zeug – sondern sie griff auch zu härteren Mitteln. Das Weib hatte keinen Funken Stolz. Und nicht einmal mein offensichtliches Desinteresse genügte ihr. Ich schwitzte und meine Handflächen klebten am Lenkrad. Als sie verkündete, dass sie den Männern gerne „ihren kleinen Freund“ küsste und wollte sich zu Meinem beugen. Ich dachte, dass ich sie in diesem Moment aus dem Auto hinauswerfen müsste. Sie hatte wahrscheinlich schon lange keinen Sex mehr gehabt, wenn sie fähig war, sich so zu erniedrigen – im wahrsten Sinne des Wortes! So eine entwürdigende Situation hatte ich in meinem Leben noch nicht erlebt. Ich dachte, dass so eine Klischee – Chef und Sekretärin –mir nicht passieren könnte! Ich forderte sie auf, sich anständig zu verhalten, aber es kostete mich viel Überwindung, ihr nicht gleich nach der Ankunft zu kündigen. Ich verschwand sofort, nachdem ich sie vor ihrem Haus abgesetzt hatte. Ich wollte nichts von ihr. Ich hatte meine Manuela, die ich liebte und die ich in drei Monaten heiraten sollte. Ich hätte es meiner Freundin beinahe gesagt, aber schließlich hatte ich keinen Mut dazu.
Als ich nach dem Wochenende zur Arbeit kam, erwartete mich ein weiterer Schock. Alle Sachen von meinem Tisch lagen auf dem Boden verteilt. Und nicht nur das. In der Kasse, die ich in meinem Büro hatte, fehlten zweitausend Schilling. Verwundert informierte ich meine Kollegen darüber, denn ich verstand es nicht. Ich sah den Zusammenhang mit meiner Sekretärin bis zu dem Augenblick nicht, bis sie sich selbst meldete. Ohne Umschweife teilte sie mir mit: „Ich war das.“ Ich sah sie verständnislos an und sie setzte fort: „Ich war zweimal hier. Am Samstag und am Sonntag.“
Ich starrte sie entgeistert an: „Warum, um Gotteswillen?!“
„Das war meine Rache, Chef. Nachdem du mich nicht vögeln wolltest, ging ich in die Disko. Dort traf ich einen Jungen mit langen Haaren und guter Ausstattung und nahm ihn mit. Wir machten es hier auf deinem Tisch. Danach nahm ich tausend Schilling aus der Kasse und wir vertranken es. Am Sonntag machte ich dasselbe. Nur diesmal machten wir es zweimal.“
„Was?“ fragte ich. „Sex oder Geld?“
„Sex nur einmal,“ erwiderte sie souverän. „Das zweite Mal waren wir schon zu Hause. Dort haben wir ein Bett.“
Das einzige, was ich wollte, war meinen Tisch vom Dreck sauber zu machen. Dasselbe hatte ich mit dem Kollektiv meiner Mitarbeiter vor. Es war mir klar, dass sie geistig nicht in Ordnung war. Und so kündigte ich ihr schließlich ohne schlechtes Gewissen. Ihre Mutter, die Arme, konnte das nicht begreifen. Wie konnte ich das ihrer unschuldigen und anständigen Tochter nur antun. Ich konnte es ihr nicht erklären. Ich war erleichtert, als sie nach einigen Monaten in die Schweiz fuhr, um neue kleine Freunde zu beglücken.
Das Problem war aber darin, dass ich wirklich eine Sekretärin brauchte. Zum Glück konnte ich es bald lösen. Ich fand eine, die außergewöhnlich tüchtig war, bereits einige Erfahrungen hatte und was am wichtigsten war - sie war nicht hübsch. Und zudem noch fünfzehn Jahre älter als ich.
Das Pech mit den Frauen lag bei uns vielleicht in der Familie. Und die Fähigkeit, verschiedene schamlose Exemplare der holden Weiblichkeit anzuziehen, hatte ich bestimmt von meinem Vater geerbt. Nach dem Tod meiner Mutter wusste ich, dass mein Vater nicht lange allein bleibt. Auch während unsere Mama noch lebte, schaffte er es nicht einmal, auf andere Frauen zu verzichten. Als sie starb, hielt er ein Jahr aus bevor er gestand, dass er sich noch zu jung fühlte, um allein zu sein. Er war nur sechsundfünfzig Jahre alt und wolle jemanden finden, mit dem er alt werden konnte. Weder ich, noch mein Bruder warfen es ihm vor und wir verstanden ihn. Und so gab er eine Anzeige in der Zeitung auf und seitdem ging er oft aus.
Es überraschte uns, als er eines Tages mit einer Dame aus Graz bei uns zu Hause erschien. Sie sah anständig aus und unser Vater benahm sich vor uns wie ein Pfau, ganz stolz, dass er sie uns vorstellen konnte. Wir fanden sie ziemlich gut, bis zu dem Augenblick, als sie einen Gedenken aussprach: „Eines ist klar: Wenn ich hierher einziehe, dann wird dieses Holz weggeschafft!“
Wir wussten, wie stolz unser Vater auf den Stapel Holz war, der perfektionistisch gelagert und zugedeckt das Haus entlang lag, vorbereitet für die nächsten zehn Jahre. Ich dachte, dass die Dame mit dieser Äußerung ihr Todesurteil unterschrieben hätte. Deshalb überraschte es mich, dass er ihr diese mitleidlosen Worte nicht nur verzieh, sondern so tat, als ob er sie gar nicht gehört hätte. Sie hatte unbestreitbar einige Qualitäten, die sein Interesse für das Holz übertrafen, denn hinterher zogen sie sich gemeinsam aus der Küche zurück. Sie waren noch nicht ganz draußen und wir zwei hörten ziemlich deutlich die Wörter der anständigen Dame: „So, und jetzt schauen wir, ob bei dir noch die Bettfedern funktionieren!“ Und genauso konnten wir den Geräuschen nicht entkommen, die die Lebensfähigkeit der Bettfedern mit lautem Knarren bestätigten. Und unser Vater bewies sich selbst und der Dame, dass er noch nicht zum alten Eisen gehörte. Weder er, noch die Federn in der Matratze.
Sie kam noch ein halbes Jahr lang zu uns, ersetzte aber nie unsere Mama. Und unserem Vater auch nicht. Denn genau nach dieser Zeit gestand er uns, dass er eine neue Freundin hatte. Für uns war sie keine Unbekannte, denn sie kam zu uns zweimal pro Woche zum Aufräumen. Sie hatte eigene Kinder, war zehn Jahre jünger als unser Vater und sie schien, ziemlich lieb zu sein. Bis zu dem Zeitpunkt, als ich erkannte, dass unser Vater nicht zufrieden war. Er begann wieder zu trinken und als er einmal betrunken war, rief er mich zu sich:
„Karl-Heinz, ich muss dir etwas sagen. Am Anfang war alles schön. Aber jetzt… jetzt will sie Geld, wenn sie mit mir schläft. Aber ich bezahle sie, weil wir eine Frau im Haus brauchen. So eine, die sich um das Haus kümmert, aufräumt, kocht...“
Ich war erschüttert. Und er tat mir leid.
„Vater,“ sagte ich ihm, „wir können doch ins Restaurant gehen.“
„Wirklich? Wäre das kein Problem für euch?“
„Sicher nicht.“
„Und was soll ich dann machen?“
„Vor allem finde eine Frau, die du nicht dafür bezahlen musst, dass sie mit dir schläft.“
Ein paar Tage später verabschiedete er sich von ihr und ich entspannte mich. Seitdem kauften wir das Essen im Restaurant und ich war froh, dass sich unser Vater wieder zusammennahm. Niemand konnte meine Mama ersetzen. Und ihre Kochkunst auch nicht. Niemand konnte so kochen wie unsere Mama. Nur sie machte den besten Strudel der Welt. Ich beobachtete sie immer fasziniert, wie sie den Teig über den ganzen Tisch spannte, darauf Äpfel mit Zimt schmierte und ihn langsam wieder aufrollte… Es war für mich wie ein Kunstwerk. Dann aßen wir den ganzen Kuchen auf einmal, so ausgezeichnet war er.
Wir freuten uns, als unser Vater eines Tages damit nach Hause kam, dass er eine Frau aus einer eine Stunde entfernten Stadt fand und sich dazu entschied, zu ihr zu zieht. Wir wussten, dass das seine einzige Chance war, sein bisheriges Leben zu ändern. Dass er entweder mit dem Trinken aufhört, oder sie ihn hinauswirft. Oder dass er sich zum Tode trinkt. Deshalb freuten wir uns, als er uns fragte, ob wir damit ein Problem hätten, wenn er umzieht und uns das Haus alleine überlässt. Es war eine neue Hoffnung für ihn. Wir lernten sie kennen und bald gewannen wir sie lieb. Sie passte auf unseren Vater auf und wurde zu einem Bestandteil seines Lebens.
Unser Vater, obwohl er oft trank und dann diverse unvernünftige Sachen machte, war nie ein böser Mensch. Wir waren ihm wichtig, er kümmerte sich um uns, interessierte sich für uns. Er war stolz auf mich, als ich die Schule mit Auszeichnung beendete und als ich meine Firma gründete. Und das obwohl er nicht verstand, warum ich so gerne zur Schule ging, und warum ich mich immer ausbilden lassen wollte. Es war ihm fremd und entfernt, aber er war immer für uns da. Deshalb konnte ich ihm eigentlich nie böse sein.
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VIII. „Ich konnte nicht begreifen, wie so ein kleines Kind so lieb sein kann. Ich vergesse nie das Gefühl, als ich die Kleine zum ersten Mal auf dem Arm gehalten habe. Es war wahnsinnig, als ich in ihre Augen sah und mich selbst gesehen habe.“ Karl-Heinz Semlitsch
Nach einiger Zeit war Manuela schwanger. Ich konnte es mir nicht vorstellen, ich war ja selbst noch ein wenig ein Kind. Sie hatte einen so kleinen Bauch, dass ich nicht glaubte, dass drin wirklich ein Mensch versteckt sein konnte. Als ob sie die ganze Zeit nur im vierten Monat schwanger gewesen wäre. Sogar vor der Geburt. Als meine Tochter geboren wurde, war ich unendlich stolz und glücklich. Ich lud meine Freunde ein und wir feierten viele Stunden und suchten nach einem passenden Namen für sie. Wir nannten sie Kristina.
Ich hatte viel zu viel Arbeit in der Firma. Aber ich fand immer Zeit für meine zwei Frauen. Es gefiel mir, wenn ich sie zusammen sah. Es war das Schönste, was ich im Leben erleben durfte. Seitdem ich mit sechzehn meine Mama verloren hatte, wünschte ich mir sehr, einmal eine Tochter zu haben. Und jetzt erfüllte sich dieser Wunsch.
Eines Tages sagte mir Manuela plötzlich:
„Karl-Heinz, wir haben ein Problem. Unsere Tochter ist nicht ganz gesund.“ Ich verstand nicht, was sie damit meinte. „Sie hat einen Herzfehler. Wir wissen es noch nicht genau, aber es sieht so aus, dass sie in ihrem Herzen ein oder zwei Löcher hat, die ihre Schwierigkeiten beim Atmen verursachen. Aber man sagt, dass es alles gut wird.“
Zuerst erschrak ich, aber als mir meine Frau versicherte, dass das Problem gelöst wird, beruhigte ich mich. Aber ab diesem Moment spürte ich, dass mein Mädchen anders war. Als ich in ihr Gesicht schaute, schien sie mir erwachsen zu sein. Sie war nur drei Monate alt und sie blickte mich mit diesen klugen Augen an. Ich hatte plötzlich Angst. Es war unbeschreiblich schönes Gefühl, als ich sie auf dem Arm hielt oder sie auf meinen Bauch legte. Es war mir klar, dass es nie mehr durch etwas anderes ersetzt werden kann.
Zu Weihnachten begann es schlechter zu werden. Wir mussten ständig zu verschiedenen Untersuchungen und warten nur noch auf den Tag der Operation. Wir waren ruhig, weil wir den Eindruck hatten, dass sie alles unter Kontrolle hatten. Sie versicherten uns, dass unser Mädchen nach der Operation in Ordnung sein wird. Der Tag wurde jedoch stets verschoben. Im Januar, ein Monat vor der Operation, wurde ihr Zustand so schlecht, dass sie nicht mehr auf dem Rücken liegen konnte. Sie drohte zu ersticken, weil sie keine Luft in die Lunge bekam. Ihr Arzt erklärte uns, dass ihr Herz wegen der zwei Löcher keine ausreichende Blutmenge in die Lungen pumpen konnte, weshalb Kristina nicht richtig atmen konnte. Aber wenn ich sie hochnahm und an meine Brust drückte, spürte ich, dass sie besser atmen konnte und zur Belohnung schaute sie mich wunderschön an. Je mehr ich mich mit meiner Tochter beschäftigte, desto mehr liebte ich sie. Obwohl es zu wenig Zeit gab, in der ich sie in den Armen halten konnte, die Momente, in denen ich in ihre Augen sah und mein eigenes Bild darin erblickte, waren wahnsinnig.
Nach zwei Wochen bekamen wir endlich den Termin der OP. Kristina war schwach. Wir fuhren in die Kinderklinik in Graz. Im zweiten und dritten Stockwerk befand sich unsere Abteilung. Ich sah dort viele Kinder – zwei oder drei Jahre alt, und ich hatte plötzlich das Gefühl, dass im nächsten Stock schon der Himmel beginnt. Die Kinder hatten alle denselben Blick – genauso wie meine Kristina. Ich konnte es nicht glauben. Ich fühlte mich, wie ein einem Horrorhaus zu sein. Es war unglaublich schwer. Die Ärzte versicherten uns, dass wir uns keine Sorgen zu machen brauchen. Es war die beste Kinderklinik Österreichs und es passierte sehr selten, dass sie ein Kind verloren. Nach einer Stunde Gespräch mit dem Arzt gingen wir hinaus und ich fragte meine Frau:
„Hast du die Kinder gesehen?“
„Ja. Sie waren zwei und vier Jahre alt und alle werden diese Woche operiert.“
„Wie funktioniert es eigentlich, wenn man Kinder operiert?“ Das kann ich mir gar nicht vorstellen.
„Zuerst wird das Kind auf eine niedrige Temperatur abgekühlt, denn bei offenem Herzen kann man nur dann operieren, wenn der Blutstrom niedrig ist.“ Es hörte sich so seltsam an, irgendwie fantastisch. Wir konnten doch nicht so über unsere Tochter reden.
„Ich weiß, dass du viele Pflichten hast, Karl-Heinz,“ sagte Manuela.
„Nein. Ich bin hier für Kristina. Es ist wichtig für mich. Wir sind doch eine Familie.“
In dieser Nacht war es in der Wohnung ganz still. Wir waren wach, aber wir sprachen nicht miteinander. Sondern wir beteten zu Gott. „Ich hatte meine Mama verloren, Gott, lass es bitte nicht wieder passieren!“ Betete ich immer wieder.
Am nächsten Tag ging ich zur Arbeit, aber ich konnte mich nicht konzentrieren. Ich dachte nur daran, wann unser Kind operieren wird. Es sollte am Abend sein, gegen neunzehn Uhr. Wir saßen im Wohnzimmer, unfähig etwas zu sagen. Ich schaute krampfhaft auf die Uhr. Wir wollten bei ihr sein, aber die Ärzte wollten keine Eltern im Krankenhaus haben.
Um 22:00 Uhr klingelte das Telefon. „Die Operation verlief gut, alles ist in Ordnung.“
Ein riesiger Stein fiel mir vom Herzen. Obwohl einem ständig versichert wird, dass sie gesund wird, dass das eine Routineoperation ist, hat man trotzdem Angst. Aber alles war gut. Kristina hat es geschafft, Gott sei Dank!
In der Nacht gingen wir endlich ruhig schlafen. Ich schlief zum ersten Mal seit Wochen die ganze Nacht durch. Ich war glücklich und erleichtert.
Um 5:30 Uhr klingelte das Telefon. Ich sprang aus dem Bett.
„Hallo?“
„Sind Sie Herr Semlitsch?“
„Ja.“
„Hier ist Krankenhaus.“
„Ja, bitte?“
„Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Kind vor einer Stunde gestorben ist.“
Manuela stand nicht auf, sie sah nur vom Weiten meine Augen und in dieser Sekunde wusste sie ganz genau, was die Frau gerade sagte.
„Das muss ein Irrtum sein. Der Arzt hat gesagt, dass sie die Operation geschafft hat...“
„Ja, aber Komplikationen sind aufgetreten, die wir nicht voraussehen konnten.“
„Ich will meine Tochter sehen.“
„Rufen Sie in einer Stunde an und vereinbaren Sie ein Termin mit dem Arzt.“
Ich wusste nicht, wie ich meine Frau davor beschützen soll.
Es passierte das, was ich niemandem auf dieser Welt wünsche.
Meine kleine Tochter Kristina starb nach der Operation.
Wir brüllten vor Schmerz. Meine Frau und ich weinten nicht. Wir brüllten wie wilde Tiere. Selbst stundenlang danach konnten wir die Anfälle des unmenschlichen Geheuls nicht beenden. Als ob man mir das Herz und die Seele aus dem Körper gerissen hätte. Meine Frau lag dann nur im Bett und weinte bis zum Mittag. Später riefen wir den Arzt an und fuhren ins Krankenhaus.
Ich wollte in diesem Moment sterben. Ich spürte zwar, wie das Blut in meinem Körper weiterlief, aber ich hasste es. Ich wollte mich zu ihr legen und tot sein. Ich hasste all die Ärzte, die uns belogen hatten, die uns versichert hatten, dass alles gut werden würde., Ich glaubte ihnen nicht mehr, sie hatten keine Ahnung vom Leben, sie retteten weder das meiner Mama, noch das meiner Tochter: Sie sind nichts anderes als Mechaniker in weißen Mänteln und mit lauter hohlen Phrasen im Mund.
Ich konnte nicht mehr weinen vor Erschöpfung. Wir gingen zu ihr ins Krankenhaus. Wir kamen in den weißen Raum, es gab dort die mit den Vorhängen abgetrennten Betten. Sie lag dort. Ruhig, als ob sie geschlafen hätte. Während der Arzt mit meiner Frau sprach, ging ich zu Kristina. Es musste ein Irrtum sein. Meine Tochter lebt doch!
„Manuela! Schau, sie lebt doch! Alles ist in Ordnung!“ rief ich. Der Arzt wollte mich vom Gegenteil überzeugen. Er erklärte mir etwas, aber ich hörte ihm nicht zu. Ich war fähig, nur mein Kind zu sehen. Sie war ein bisschen blass, aber sie war nicht kalt. Als ich sie berührte, war ihr Händchen warm. „Aber... sie ist nicht kalt,“ sagte ich dem Mann in Weiß, der uns ständig anlog. Ich streichelte sie vorsichtig. Ich musste dort einige Minuten gestanden haben, denn erst nach einer längeren Berührung ihrer Haut spürte ich, dass sie kühl war. Kalt. Tot. Ihre Augen bewegen sich wirklich nicht. Sie schauten in die Leere. Die Gewissheit ihres Todes drang in mich wie ein Blitz. Ich knickte um. Sie ist nicht mehr da! Sie ist wirklich nicht mehr da! Ich küsste sie auf die Stirn und wandte mich langsam ab. Meine Frau kam auch zu unserer Tochter, und ich ging aus dem Raum voller Tot hinaus. Es lag dort noch ein Mann, er konnte achtzig oder neunzig sein… und neben ihm mein kleines Mädchen…
Die Tür wurde hinter mir geschlossen und mein Körper hörte in dem Moment auf, mir zu gehorchen. Er spannte sich wie ein Bogen und krachte auf dem Boden zusammen. Ich, der tausende Kilometer gelaufen war, fiel jetzt um, stürzte zu Boden wie vom Blitz getroffen und für ein paar Sekunden war ich weg. Mein Bewusstsein lehnte die Wirklichkeit ab. Und dann weinte und schluchzte ich bitterlich. Ich konnte einfach nicht akzeptieren, dass meine Tochter nicht mehr bei mir war. Meine Mutter, meine Tochter… der Schmerz war unvorstellbar.
Wir gingen zu einem Pfarrer: Es war derselbe, der meine Mama beerdigt hatte. „Gott gibt, Gott nimmt,“ seufzte er. Ich hatte Lust, mich auf ihn zu stürzen. Was redet er hier? Verärgert antwortete ich: „Reden Sie nicht so einen Unsinn, bitte! Es kann doch nicht der Wille Gottes sein, dass ein unschuldiges Kind stirbt! Gott half mir weder als meine Mutter gestorben war, noch jetzt als meine Tochter gestorben ist. Reden Sie hier also nicht so einen Quatsch über Gott!“
Der Pfarrer schämte sich: „Lieber Karl-Heinz, liebe Manuela, es tut mir Leid. Es gibt Momente im Leben, wenn auch ich als Pfarrer, ein Bestandteil der Kirche, nicht weiß, wie ich euch helfen könnte. Das Einzige, was ich kann, ist euch zu bitten, nicht aufzugeben.“ Diese Worte kamen von seinem Herzen. Ich spürte, dass er sie aufrichtig meinte, und deshalb halfen sie mir. Sie waren liebevoll und zärtlich, und das brauchte ich, um mich ein bisschen zu beruhigen
Bei dem Begräbnis waren sehr viele Leute. Verwandte, Freunde. Aber niemand hatte Lust auf die Leichenfeier. Nach dem Tot meiner Mutter trank und aß man viel. , Man erinnerte sich und erzählte Geschichten. Aber jetzt wollten wir nur nach Hause gehen.
Ich verstand nicht, warum es passieren musste. Warum unser Kind? Nach einigen Tagen kam noch ein weiterer harter Beweis dieser Tatsache: ein Brief vom Finanzamt, in dem stand, dass unser Anspruch auf Elterngeld auf Grund des Todesfalls wegfällt. Erst als ich es Schwarz auf Weiß sah, wurde mir bewusst, dass es nicht nur ein Alptraum war, aus dem wir erwachen können.
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IX. „Eine meiner stärksten Seiten ist die Fähigkeit, mich mit dem Material zu verbinden und mit ihm zu kommunizieren. Nach einer Nacht weiß ich plötzlich, was zu tun ist.“ Karl-Heinz Semlitsch
Nach dem grausamen Ereignis waren wir beide wie paralysiert. Wir fühlten uns die nächsten Monate verletzt und konnten uns davon nicht erholen. In der Arbeit gelang mir nichts, auf einmal funktionierte nichts mehr. Die Kunden betrogen mich um viel Geld, denn man vergaß mir zu sagen, dass die Firma, für die ich einen Auftrag ausführte, Konkurs ging. Und so verlor ich wegen einer bereits bestehenden Zusammenarbeit mit deutschen Firmen siebzigtausend Mark . Trotzdem wollte und musste ich meiner Frau helfen.
Manuela brauchte Beschäftigung nach dem Tod unserer Tochter und freute sich, als ihre Eltern vorschlugen, dass sie im Gasthof ihres Vaters, den sie liebte, arbeiten konnte. Ich wusste, dass es ihr wirklich helfen könnte. Es war eine Chance auf ein neues Leben und sie sah vor sich die Möglichkeit, später den Gasthof übernehmen zu können. Ich war stolz auf sie. Sie hatte Pläne und begann wieder zu leben.
Bis ich sie eines Tages Tränen überströmt zu Hause fand. Die Eltern hatten ihr zwar eine Arbeit bei ihnen in der Pension versprochen, aber schließlich hatten sie etwas anderes im Sinn als sie erwartete. Sie schlugen ihr vor, dass sie zu Hause Kuchen für die Gäste backen und diese im Restaurant verkaufen kann. Das hätte bedeutet, dass sie außerhalb der Saison, vielleicht einmal pro Monat eine Torte verkaufen könnte und dabei kaum einen Groschen verdienen könnte. Da sie verheiratet war, waren ihrer Eltern der Ansicht, dass sich ihr Ehemann um sie kümmern sollte. Ich war unglaublich wütend und hatte große Lust, meinem Schwiegervater meine Meinung direkt zu sagen. Es war genauso schamlos von ihm wie damals, als er sich auf meine Kosten bereicherte. Und so entschloss ich mich dazu, sie anzustellen, obwohl ich noch nicht genau wusste, was sie bei mir machen konnte und wie ich ihre Stelle finanzieren sollte, denn ich hatte kaum Geld fürs Überleben der Firma.
Und dann kam der erste große Auftrag. Ich wollte Erfolg haben und war entschlossen, alles zu tun, damit es funktioniert. Ich arbeitete viel und reiste von einem Kunden zum anderen innerhalb von Österreich und Deutschland, bis es mir gelang, sie für mich zu gewinnen. Und die Firma begann zu wachsen. Ich kaufte weitere Maschinen und begann etwas zu machen, was ich vorher noch nie gemacht hatte. Ich sollte die komplette Entwicklung eines Dachs für einen Cabriolet übernehmen, obwohl ich vorher noch nie ein Auto konstruiert hatte. Dem Kunden gefiel unser Konzept und ich bekam einen Check über dreihundertfünfzigtausend Mark. Es war eine riesige Summe, denn damals hatte ich kaum fünfunddreißigtausend Schilling. Und mit einem Schlag war mein Konto im Plus. Wir mussten aber viel schneller arbeiten, denn der Kunde verlangte immer mehr und mehr. Es gelang mir auf einmal alle Rechnungen und meine mittlerweile acht Angestellten zu bezahlen. Bis dahin hatten wir nur Dienstleistungen verkauft, wir schrieben Programme für andere Firmen. Wir entwickelten uns ständig weiter, aber wir konnten daran nicht viel verdienen.
Und plötzlich kam ein Auftrag über eine Produktion von viertausend Dächern, was für mich eine utopische Zahl war. Ich wusste, dass sich damit meine Firma vergrößert. Und ich kam auch zu einer anderen Idee: die bestellten Dächer werden weder aus Kunststoff, noch aus Aluminium oder Stahl hergestellt, sondern…
Gerade zu dieser Zeit bekam ich ein außergewöhnliches Material in die Hand und sobald ich es berührte, wurde mir klar, dass es DAS Material ist! Karbon. Ich war nie zufrieden mit dem, was schon erfunden wurde. Ich hatte immer die Neigung, extrem innovativ zu denken – also nicht nur neue Wege zu suchen, sondern auch aus schon existierenden Technologien und Maschinen neue Lösungen zu entwickeln und neue Verwendungsmöglichkeiten zu entdecken. Sobald ich zum ersten Mal die Karbonplatte anfasste, war ich von dem Stoff fasziniert. An diesem Tag ergriff mich die Faszination für das Karbon und ließ mich nicht mehr los. Es war sehr wertvoll und teuer. Und es hatte Eigenschaften, die bis dahin keinem anderen Material gleich kamen – eine Reißfestigkeit viermal so groß wie Stahl und gleichzeitig viermal so leicht wie Stahl. Ein Stab, der aus Stahl fünfzig Kilo gewogen hätte, würde aus Karbon nur zehn wiegen. Ich begriff, dass es das Material der Zukunft ist. Dass bald daraus alles hergestellt werden wird, was in der Luft fliegt und auch was sich auf dem Boden bewegt. Ich hielt es und spürte, wie ich es zu lieben begann – es wurde zu meinem Herzen, meiner Seele, meiner Vision.
Ich brauchte nicht, der größte Unternehmer im Bereich der Karbonproduktion zu sein – obwohl es natürlich kein schlechtes Gefühl war, Geld zu verdienen. Aber es ging mir vor allem um Visionen. Das war das, was ich wollte. Es war kein Businessmehr, sondern eine Idee und deren Realisierung. Ich wusste, dass ich noch Vieles erfinden werde. So viele Sachen, die man daraus herstellen kann. Und dazu neue Methoden entwickeln sowie neue Prozesse definieren können. Immer wieder dieses Material und seine unbegrenzten Möglichkeiten entdecken.
Ja, es war teurer als andere Materialien, es hatte seinen Preis. Aber bald verstand ich auch, dass wenn ich die Technologie richtig verwende, komme ich auf das gleiche Niveau mit anderen Materialen - auch aus ökonomischer Sicht. Und gleichzeitig kommt kein anderes Material mit seinen Eigenschaften diesem gleich. Es war nur notwendig zu lernen, dass die Karbonfasern eine spezielle Fürsorge brauchen. Denn damit sie ihre einzigartigen Eigenschaften erreichen, dürfen sie nicht beschädigt werden und müssen deshalb ständig in Bewegung bleiben. Es war diffizil. Nachts kamen mir häufig neue ausgezeichnete Ideen, die ich gleich aufschreiben musste, damit ich sie bis zum Morgen nicht vergesse. Ich lebte für Karbon und wusste, dass es eine dauerhafte Beziehung war.
Leidenschaftlich überzeugte ich die Kunden davon, dass wir die Dächer der Cabriolets aus Karbon fertigen sollten. Es war mir klar, dass Karbon in Österreich unmöglich zu produzieren war. Es war eine zu teurere Angelegenheit. Aber es gab eine andere Möglichkeit – eine Verlagerung der Produktion nach Thailand oder China. Ich erinnerte mich an die Geschichten meiner Kindheit, in denen ich die Welt entdeckt hatte und über alle Kontinente gereist war. Und ich berechnete, dass mich die Produktion in Thailand ein Zehntel des Aufwands kosten würde als in Österreich. Und so nahm ich begeistert diese Chance wahr und entschied mich nach Bangkok zu fliegen. Ich wollte die Automobildächer und Fahrradlenker aus Karbon herstellen, was in der Zeit vor fünfundzwanzig Jahren fast eine exotische Idee war.
Ich mochte das Reisen und von jeher sehnte ich mich danach, die Welt kennen zu lernen. Der riesige Flughafen Bangkoks faszinierte mich, sowie auch die ganze gigantische Metropole, von der ich mir nie hätte träumen können. Durch das Zentrum der Stadt führte eine zehnspurige Autobahn. Mein Gott! Was ist das für eine Stadt? Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn – draußen waren fünfunddreißig Grad. In der Luft lag so viel Schmutz, dass das Taschentuch schwarz geworden war. Die Fahrt zur Firma dauerte eineinhalb Stunden, da sie ungefähr fünfzehn Kilometer von Bangkok entfernt war.
Sobald ich die Produktionshalle betrat, stellte ich fest, dass die Wirklichkeit völlig anders war als meine Erwartungen. In der Halle arbeiteten fünfhundert Menschen und keine einzige Maschine – alle arbeiteten mit den Händen. Gegen die Hitze konnte man sich nur mit Wasser vom Dach abkühlen. Es war, als ob ich fünfzig Jahre in die Vergangenheit gereist wäre. Ich kam aus einer Welt, wo alles mit Maschinen und Computern gemacht wurde und hier… blieb die Zeit stehen. Deshalb brauchte man hier fünfhundert Leute! Es wurden in meine Abteilung zwei Männer zugeteilt, denen ich mit meinem schwachen Englisch erklären musste, was sie tun sollten. Alles dauerte in der Hitze schrecklich lange. Außerdem kamen meine Arbeiter häufig nicht zur Arbeit, weil sie krank waren oder lediglich keine Lust hatten. Der Anfang meines thailändischen Unternehmens war wirklich schwer.
Das Land scheute ich mir kaum an. Ich hatte keine Zeit, weil ich früh morgens um sieben Uhr aus dem Hotel gehen musste und meist erst im Dunkeln nach sieben Uhr abends zurückkehrte. Also sah ich nur das Hotel und die Firma. Mit meinem Zimmer war ich aber zufrieden – es war sauber und günstig. Ich war froh, als mich nach einiger Zeit der Generaldirektor der Firma zum Abendessen einlud. So hatte ich endlich die Gelegenheit auch mal etwas anderes außer Arbeit zu erleben.
Ich war wieder von dem allgegenwärtigen Maximalismus fasziniert – man brachte mir eine Platte Sushi, die für eine ganze Familie gereicht hätte. Es war unmöglich alles aufzuessen. Ich schaffte kaum mehr als zehn Stück davon zu essen und noch halb voll wurde die Platte wieder weggetragen. Gegen elf Uhr abends gingen wir nach Hause, aber ungefähr hundert Meter vor dem Hotel sagte mir mein Kollege plötzlich, dass wir noch etwas trinken gehen sollen. Ich war einverstanden, und so hielten wir vor einer Bar mit dem Namen Babylon. Sobald wir hereinkamen, fühlte ich mich seltsam, denn ich war dort der Einzige mit weißer Haut. Außer der Masse von Männern befand ich mich plötzlich in einer Unmenge an blauen und roten Kleidern, die kaum Kleider waren, sondern eher durchsichtige Negligés bis zum Hintern, die die jungen koketten Frauen kaum verhüllten. Mein Kollege erklärte mir, worin der Unterschied zwischen den blauen und roten Kleidern bestand: Die Frauen in Rot dienten dem Spaß und der Unterhaltung während die blauen Frauen für Sex da waren. Es schüttelte mich vor Ekel beim Gedanken an Sex mit irgendeiner dieser Frauen. Aber mein Begleiter wollte mich dazu überreden. Manuela und ich waren nach dem Verlust unserer Tochter eher wie Geschwister. Seit einem halben Jahr schliefen wir nicht mehr zusammen und haben uns kein einziges Mal berührt.
Wir tranken zwei Drinks und mein angeheiterter Kollege ging danach durch eine Tür mit einem der blauen Mädchen. Er war ungefähr fünfzig und das Mädchen kaum zwanzig. Ich war angeekelt. Wie ich erwartet hatte, kam er zurück, sobald das Lied zu Ende war. „Jetzt suchst du dir eine aus!“ bot er mir an. „Nein, das kann ich nicht.“, lehnte ich ab. „Ich habe eine Frau und ich bin katholisch. Ich kann sie nicht betrügen.“ Dann bestellte er uns noch eine Flasche. Es kam auch eine Interessentin, die mich wollte. aber ich gab nicht nach.
Wie ich später feststellte, hatte Bangkok auch eine abgewandte unmoralische Seite. Einerseits war ich vom liegenden Buddha und auch vom Zentrum der riesigen Stadt fasziniert. Endlich kam die Gelegenheit und ich konnte mit meiner Sekretärin und ihrem Freund die Stadt kennenlernen. Die beiden nahmen mich zu einer Besichtigung mit und auch zum Mittagessen. Danach setzten wir uns in ein Taxi und wollten weiterziehen, als der Unfall geschah. Vor unserem Taxi stürzte ein Motorradfahrer. Ich war es gewohnt, Menschen in Not zu helfen. Also sprang ich blitzschnell aus dem Taxi und achtete nicht auf die Schreie meiner Freunde: „Johny, bleib im Auto!“ Ich verstand nicht, warum ich dem Menschen nicht helfen sollte. Ich wollte ihn von unterhalb des Motorrads herausholen, aber in diesem Augenblick bekam ich einen Schlag auf die Schulter und gleich danach auf den Nacken. Ich fiel auf den Kerl mit dem Motorradhin. Sie waren zu zweit. Der eine schlug mich mit einem Holzstab und der andere schlich sich zwischen meinen Beinen durch und floh. Ich rappelte mich vom Boden auf und lief zurück ins Taxi, schlug die Tür hinter mir zu und wir fuhren davon. Ich war gewohnt, dass sich die Menschen in Not helfen, zumindest bei uns in Österreich war es üblich, aber hier… hier funktionierte es so nicht. Es waren Verbrecher und sie hätten mich wegen ein paar Dollar ohne weiteres getötet.
Ich dachte darüber nach, warum das Verbrechen hier so blühte. Die Menschen verdienten hier wenig und zudem mussten sie auch hohe Zollgebühren für gelieferte Ware zahlen. Das ganze System hier war korrupt. Wenn du dir zum Beispiel etwas aus dem Ausland schicken lassen wolltest, musstest du fünf Prozent des Warenpreises an die Mafia bezahlen, die schwarz den Zoll abkassierte. Andernfalls hattest du keine Chance, dein Paket zu erhalten. Das heißt, wenn ich mir ein Paket im Wert von viertausend Dollar zuschicken ließ, musste ich zwei hundert Dollar der Mafia bezahlen, um es zu bekommen. Es gab keine Chance, dies zu vermeiden – entweder zahlst du, oder du hast nichts.
Auch andere Sachen waren für mich kaum zu verstehen. Zum Beispiel die mit dem Vergnügungspark. Ich wusste, dass es in der Stadt so etwas gibt, aber es war mir nicht ganz klar, um was für einen Spaß es dort ging. Ich ahnte nicht einmal, dass es eines der größten Bordells in Asien ist. Als wir ankamen, uns setzten und ein Bier bestellten, sagte ich meinem Freund Swen und seiner Freundin, mit denen ich dort war, dass mir die Bar komisch vorkam. Es war dort gerammelt voll und vor uns war ein langes Podium, auf das gerade zwei halbnackte Frauen kamen.
„Das ist thailändische Kunst, schau mal“, sagte Swen und ich konnte kaum atmen, als ich begriff, was die zwei machten. Die Eine tanzte auf dem Podium, wobei sie sich nackt auszog, eine Kugel in ihre Vagina schob und diese dann in die Ferne schoss. Also das ist thailändische Kunst! Ich ahnte nicht, was diese Frauen alles mit ihrem Körper tun konnten. Dann kam die zweite zu mir – ich hatte gerade eine Flasche Cola in der Hand – und deutete mir an, dass ich sie nach oben halten sollte, damit sie mir die Flasche öffnen konnte. Ich dachte, OK, vielleicht wäre nichts dabei. Mein Gott, ich wurde fast starr vor Staunen, als sie sich so hinstellte, dass sie mit ihrem Schambereich den Stöpsel erreichen und ihn mit ihrer Vagina aus der Flasche ziehen konnte. Ich hatte das nicht erwartet und starrte sie an so dass ich sogar vergaß zu trinken. Dann fiel mir auf, dass diese Wunder nicht die einzige Kunst waren, die sich hier vor Augen aller abspielten. Ein Deutscher, der ein Stück von mir entfernt saß, hatte so einen komischen Ausdruck im Gesicht. Er zitterte am ganzen Körper, als ob er Schüttelfrost gehabt hätte, dann hörte er plötzlich auf und wurde ganz rot und für einen Augenblick verharrte er wie in einem Krampf. Ich begriff erst, worum es hier ging, als ich die Thailänderin erblickte, die gerade unter seinem Tisch hervorkletterte und ihr Mund mit ihrer Handfläche abwischte. Oh, Gott! Ich hatte genug davon. Und ich ahnte noch nicht, was alles noch dort auf mich wartete. Auf jeden Fall war es davon meilenweit entfern, was ich mir unter dem Begriff „Spaß“ vorstellte. Genauso als sich wenig später auf dem Podium vor der ganzen Öffentlichkeit ein rauer Verkehr zwischen einem Mann und einer Frau abspielte. Sie wurden dabei von allen beobachtet. Ich war davon angewidert und wollte gehen, bevor mein Eindruck von Thailand endgültig verdorben wurde. Wir stiegen die Treppe zum Ausgang hinauf, als wir auf der Treppe ein Paar trafen – einen Mann, fast zwei Meter groß war und eine Frau, die mich aus dem Nichts anschrie:
„Hei! Du schuldest mir Geld!“
Ich drehte mich fragend um, und schaute, wen sie meinte. Dann begriff ich, dass sie wirklich mich anschaute und fragte ich: „Warum?“
Sie antwortete souverän: „Du hattest Sex mit mir und hast nicht bezahlt!“
Ich starrte sie wie eine Erscheinung an. Sind hier alle geisteskrank?! „Ich hatte nie Sex mit dir. Ich kenne dich nicht.“ Auf einmal packte mich der zwei- Meter-große Mann am Hemd. Mir wurde klar, dass, auch wenn ich ihn mit einem Schlag ausschalten könnte, wäre er sicher nicht allein. Deshalb fischte ich einen Zwanzigdollarschein aus meiner Hosentasche heraus und gab ihn ihr.
„Danke, du Arschloch,“ bedankte sie sich höflich und schließlich ließen sie mich in Ruhe.
Uff, ich hatte genug. Ich musste etwas trinken. Ich beschloss, noch einen Gin-Tonic zu bestellen und danach zu gehen. Ich stand an der Bar, als mir auffiel, dass mich jemand aus der Ferne anstarrte. Es war eine Frau, aber keine Thailänderin. Sie war groß, mit extrem langen, lockigen Haaren. Sie sah sehr gut aus. Sie gefiel mir. Unsere Sympathien waren offenbar beidseitig, denn nach einer Weile stand sie auf und kam auf mich zu. Ich verstand nicht, was sie von mir wollen könnte. Sie stellte sich vor und forderte mich zum Tanz auf. Ich war einverstanden, denn ich tanzte leidenschaftlich gern. Nach zwei oder drei Tänzen fiel mir auf, dass sie harte Brüste hatte, denn sie lehnte sich ein paar Mal gegen mich. Und ihre Schultern waren auch fest und sportlich. Ich tippte, dass sie aus Afrika stammte, sie war von ihrer Figur her kein Bisschen den schmächtigen thailändischen Frauen ähnlich. Ich dachte, dass die Frauen in Afrika wahrscheinlich etwas kräftiger sind als die europäischen. Sie haben festere Muskeln. Ich lud sie zu einem Drink ein und sie gestand mir ohne Umschweife, dass ich ihr gefiel. Dann tanzten wir weiter. Sie war wunderschön, vollkommen. Ich hatte Angst vor der Reaktion meines Körpers, als sie versuchte mich zu überreden, dass ich bei ihr bleiben sollte. Sie lud mich zu sich ein. Ich wollte nicht mit ihr gehen, ich hatte sie ja gerade erst kennen gelernt. Und außerdem hatte ich kein gutes Gefühl bei so einer kurzen Bekanntschaft, geschweige denn von Manuela, die ich ständig im Kopf hatte. Ich lehnte das Angebot ab, obwohl es mich viel Überwindung kostete, denn sie gefiel mir wirklich.
Ich setzte mich zu Swen und zuckte zusammen, als mir mein Freund sagte:
„Johny, das ist keine Frau.“
„Was redest du da?“ ich starrte ihn an. Ist er etwa auch schon verrückt geworden? An diesem Abend war wirklich alles möglich.
„Ich sage dir, das ist ein Mann.“
Die Schönheit, die bei mir stand, hörte es und fragte: „Sieht so vielleicht ein Mann aus?“
Ich sah sie wieder an. Sie hatte vollkommene Brüste und eine perfekte Figur.
„Nein. Du kannst kein Mann sein.“ Ich war davon überzeugt, dass Swen sich irrte.
„Er geht heute mit mir nach Hause,“ proklamierte sie.
„Nein,“ reagierte ich kraftlos. Aber sie hörte mich nicht.
„Doch,“ sagte sie.
„Es ist ein Mann,“ wiederholte Swen nachdrücklich. „Er hat operierte Brüste und einen operierten Schambereich. Das ist ein Ladyman.“
Ich sah das Wesen genauer an. Mein Gehirn, von ihrer Schönheit vernebelt, lehnte ab zu funktionieren, aber auf der anderen Seite begann ich erste Zweifel zu spüren. Ich war nur sicher, dass ich mit ihr, wer immer es sein mochte, nicht mitgehen werde. Ich entschuldigte mich und lehnte ihr Angebot höflich ab.
Plötzlich schrie sie etwas, dass ich wegen der lauten Musik nicht verstand. Ich war angeekelt und hatte genug. „Gehen wir nach Hause,“ schlug ich meinen Freunden vor.
„OK, wir bezahlen und gehen“, stimmte Swen zu. Wir erhoben uns gerade vom Bar-Stuhl, als ich in unserer Nähe einen weiteren Ladyman erblickte. Im Schein der Reflektoren blitzte plötzlich etwas auf. Ein Gegenstand in seinen Händen. Er hatte zwei Metallflächen. Im diesem Augenblick begriff ich, dass es die Klingen eines zweiseitigen Messers waren. Der Mann holte mit ganzer Kraft aus und hätte mich mit dem mörderischen Gegenstand getroffen, wenn ich nicht im letzten Augenblick ausgewichen wäre. Statt meiner traf der Angreifer aber Swens Freundin, die bei uns saß. Beide Messerseiten drangen in ihren Arm mit solcher Kraft ein, dass das Blut aus ihrer Wunde wie aus einem Geysir sprudelte und sie ohnmächtig zu Boden fiel. Es war ihm gelungen, die Ader zu treffen und das Messer durch ihren Arm bis auf die andere Seite zu stoßen.. Es war mir klar, dass ich sofort handeln musste, sonst würde sie verbluten. Das Blut strömte aus ihr heraus, sie war blass und ich wusste, dass ich die Wunde mit meinem Finger zudrücken musste. Ich beachtete die anderen Ladymen nicht. Mittlerweile waren mindestens zehn von ihnen da und alle hatten vor, den Racheakt zu beenden.
Irgendwie musste ich sie aber retten. Der Ausgang war nicht weit von uns entfernt. Wir hatten keine Waffe. Auf einmal fiel mir eine Flasche ins Auge, die auf dem Tisch stand. Ich schnappte sie, schlug ihren Hals ab und vertrieb die blutgierigen Ungeheuer, die sich um uns wie blutgierige Vampire zusammengerottet hatten. Auf einmal sprangen die komischen Figuren erschrocken weg. Sie waren sich wohl bewusst, dass sie vor sich einen wirklichen Mann hatten und sie keine Männer mehr waren. „Swen! Gehen wir!“ schrie ich ihn an und seine Freundin stützend kamen wir endlich zum Ausgang.
Sobald wir auf der Straße waren, riefen wir einen Rettungswagen und sie wurde ins Krankenhaus gebracht. Sie war lebensgefährlich verwundet, aber sie wurde gerettet. Sie überlebte es, musste aber noch vier Wochen im Krankenhaus bleiben und es dauerte noch einige Monate, bis sie wieder völlig genesen war und wieder normal laufen konnte.
Bangkok hatte zwei Gesichter: ein herrliches, bezauberndes, mit goldenen Buddhas, Palästen und wunderbarem Essen… Aber auch eine andere, abgewandte, ekelhafte: die Transvestiten, die tausende Frauen zum Verkaufen, alte Männer, die Sex mit viel jüngeren Frauen für Geld hatten, Verdorbenheit und Unmoral, Elend und Schmutz, das blühende Verbrechen… Das Übel war überall und trachtete nach den Menschen auf jedem Schritt. Es war mir klar, dass ich nie wieder nach Bangkok zurückkehren wollte.
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X. „Ein Unternehmen ist eine harte und brutale Angelegenheit. Im Endeffekt ist man niedergeschlagen, verletzt, beleidigt, ohne etwas davon zu wissen.“ Karl-Heinz Semlitsch
Wie es sich später herausstellte, war Bangkok nicht die einzige Stelle auf der Welt, die mich übers Leben belehren und mir meine Illusionen nehmen sollte. Damals träumte ich von Reisen, dem Entdecken neuer Städte und neuer Kontinente, und so war ich von der Möglichkeit einer Unternehmung in Südafrika genauso begeistert wie von Indien.. Meine ersten Schritte dahin wurden von Albert geführt.
Als er das erste Mal zu mir kam, kannte ich ihn kaum. Ich hatte gerade ein gut angelaufenes Projekt mit speziellen keramischen Bestandteilen, die wir zu zehntausend pro Jahr herstellten. Außerdem jagte ich ständig nach neuen Aufträgen, was mir ganz gut gelang. Und dann erschien Albert und sagte zu mir: Komm, wir modellieren zusammen Flugzeuge. Meine Firma gefiel ihm und er wollte bei mir ein Modellflugzeug entwickeln und konstruieren lassen, was mir als Idee gefiel. Ich hatte mich bisher nur mit anderen Dingen beschäftigt und wäre nie auf die Idee gekommen, einmal Flugzeuge zu konstruieren. Aber Albert erschien mir wie ein vernünftiger Kerl und so war ich damit einverstanden, dass jeder auf seinem eigenen Gebiet arbeiten wird. Ich sollte mit der Produktion der Karbonfahrradlenker weitermachen und -entwickelte sogar die ersten kompletten Karbonfahrräder, die nach mir niemand anders mehr herstellte. Gleichzeitig sollte er sich seinen Flugzeugmodellen widmen. Er stimmte diesem Deal zu.
Albert überraschte mich jeden Tag mit neuen Ideen, die mir erstaunlich und progressiv vorkamen. Und so freundete ich mich mit ihm an und wir stimmten uns ab. Er wollte sogar an seinem Projekt in Thailand arbeiten, und so flogen wir zusammen dorthin. Wir teilten unsere Arbeit, denn ich wusste über Flugzeuge fast nichts. Albert war ein Ingenieur mit der Spezialisierung auf Flugzeugmodelle. Und er ließ es mich spüren, dass ich es nicht war. Bald wurde mir klar, dass er ziemlich eitel war und immer Recht haben wollte. Ich ließ mich aber nicht vergraulen und stritt mich mit ihm nicht. Ich widmete mich der Entwicklung der Geräte und er konzentrierte sich auf die Produktion.
So ging es den ersten Monat. Dann fuhr ich nach Hause. Meine Frau teilte mir nämlich eines Tages mit, dass sie schwanger war. Es war ein Schock für mich. Seitdem wir Kristina verloren hatten, konnten wir nicht einmal nebeneinander schlafen und hatten auch nur einmal Sex. Ein umso größeres Wunder war es, dass es uns gelang, in dieser einen Nacht ein Kind zu zeugen. Einerseits war ich sehr glücklich und voller Erwartungen, andererseits aber hatte ich Befürchtungen. Nach dem Tod unserer Tochter lebte ich in permanentem Stress, dass sich mit diesem Kind alles wiederholen könnte, dass wieder so etwas Böses geschehen könnte. Aber wir freuten uns und ich wollte möglichst viel bei Manuela sein.
Auch deshalb ließ ich Albert allein. Zurückblickend weiß ich schon, dass ich ihm nicht so viel Freiheit hätte lassen sollen und schon damals vorsichtiger hätte sein sollen. Aber meine Gutgläubigkeit gegenüber Menschen hatte mich wieder eingeholt. Nach einem Monat begann er sich zu beschweren, dass in Thailand nichts so funktionierte, wie es sein sollte, dass ihm nichts gelingt und wir die dortige Produktion schließen werden müssen. Ich ahnte schon, dass egal ob Gott oder Albert dafür verantwortlich war, war Bangkok tot für mich. Es war verblüffend, dass es mir mit meinem thailändischen Freund Loraban gelang, aus dem Nichts die ganze Produktion aufzubauen und es Albert schaffte, diese in nur zwei Monaten komplett zu ruinieren. Nach seiner Rückkehr kam er aber mit einer neuen Idee zu mir und gab mir keine Chance darüber nachzudenken:
„Ich habe eine Idee, Karl-Heinz.“ Wie ich schon gesagt hatte, seine Ideen waren mir meist sympathisch. Deshalb war ich auch diesmal neugierig. „Ich habe Bekannte in Südafrika. Dort könnten wir von vorne beginnen. Dort sind die Kosten niedrig und alles könnte super funktionieren. Südafrika ist ein perfekter Schritt auch mit Blick auf Amerika und den asiatischen Markt.“
Es klang logisch. Außerdem war da meine Faszination vom „schwarzen Kontinent“, und so war ich wieder begeistert.
„OK. Check das und wir machen das. Wir können unser Unternehmen nach Afrikaverlagern.“
Zudem bestärkte mich das gerade abgeschlossene Geschäft mit einem Kunden, dem unsere Flugzeugmodelle so sehr gefielen, dass er nicht nur die zwei kaufen wollte, die wir schon gefertigt hatten. Die außergewöhnliche Qualität hatte ihn überzeugt und so bestellte er zusätzlich noch weitere zweitausend Stück, die wir im Laufe von höchstens zwei Jahre herstellen sollten. Ich errechnete, dass es für uns einen Auftrag in Höhe von siebzehn Millionen Schilling bedeutete, also 4,7 Millionen Euro. Dies war eine sehr schmeichelhafte Zahl für uns.
Dieser Auftrag motivierte nicht nur mich, sondern auch meinen so genannten Freund. Auf dem Weg zurück von der Firma, wo wir gerade dieses außergewöhnliche Geschäft abgeschlossen hatten, machten wir eine Pause in Frankfurt, wo wir in einem Hotel übernachteten. Am Abend gingen wir etwas trinken und nach dem dritten Glas Gin wurde Albert redselig und sagte: „Ich bin gut, Mensch! Der Beste! Absolut vollkommen! Wofür brauche ich dich eigentlich?“
Ich schaue ihn erstaunt an, ob ihm der Gin den Sinn vernebelt hatte, aber es sah so aus, als ob er es ernst meinte. „Albert, ich weiß nicht, ob es dir aufgefallen ist, aber… Du hattest zwar die erste Idee, aber die ganze Konzeption und die Detailabstimmung erledigten wir in meiner Firma. Außerdem, den größten Teil bezahle ich, nicht du,“ wandte ich ein.
Aber Albert überhörte meinen Einwand. Er war so zufrieden mit sich selbst, dass es egal war, wie ich argumentierte. Er malte sich nur das seine aus: „Ja, ja, ich bin der King!“ Es schien, dass ihm die Vision von Geld total das Gehirn benebelte. Aber ich gebe zu, dass es vielleicht auch bei mir so war, denn in diesem Augenblick packte ich nicht mein Zeug zusammen und schickte den Kerl möglichst weit weg von mir. Ich war mir dessen bewusst, dass wir uns gegenseitig brauchen werden. Beim Frühstück sprach er schon ein wenig nüchterner und er sagte sogar: „OK, wir haben das Projekt bekommen, aber wir brauchen Geld, um in Südafrika investieren zu können.“
Das war mir klar und so ging ich zur Bank, um die Situation zu überprüfen. Der Bankdirektor musste ein absoluter Narr sein, denn es machte ihm gar nichts aus, dass ich keine Ahnung von Flugzeugen hatte aber plante, Modellflugzeuge zu konstruieren. Er gab mir 1,2 Millionen Euro unter einer Bedingung: Ich musste mit meiner Firma mit achtzig Prozent haften und Albert nur mit zwanzig. Ich war nicht begeistert, aber stimmte zu.
Und so mieteten wir eine Halle, richteten sie ein und eröffneten unsere Firma in Südafrika. Das Land war wirklich faszinierend. Ebenso herrlich, ruhig und zugleich wild wie in meiner Fantasie aus der Kindheit, aber nur am Tag. In der Nacht verschwanden alle Leute von den Straßen und man kam sich vor, wie auf einem verlassenen Planeten. Wir wohnten in einem Haus, das zu einer Gruppe von Häusern gehörte, die mit einem fünf-Meter-hohen Zaun umrandet war. Es war ein verschlossenes Areal, in das man nur mit einem Schlüssel hineinkommen konnte. Alle Häuser hatten auf in jedem Fenster Stahlgitter und der Ausblick war wie aus einer Gefängniszelle. Das Land war wunderschön, aber bald sollte ich auch dessen angewandtes Gesicht kennen lernen.
Es war in der Stadt, wo wir einkaufen wollten. Ich hatte gar nicht erwartet, dass gerade diese Reise zum Erlebnis meines gesamten Lebens wird. Aber nicht nur im positiven Sinn. Das Gebäude sah nicht aus wie ein gewöhnliches Einkaufszentrum. Ich war erstaunt über die Schönheit, die in diesem Einkaufszentrum steckte. Man kam sich dort vor wie in einem Schloss. In einem riesigen Schloss, das auf einen Felsen über dem Meer aufgeklebt worden war. Hinter einer Glaswand bot sich der Ausblick auf die See in hundert Meter Tiefe. Ich war von dieser teuren Eleganz und Prunk fasziniert. Alle Flächen waren aus feinstem Marmor, weiß und makellos. Kristall, Marmor, monumentale Maße… Schon die Treppe ins Souterrain war nahezu dreizehn Meter breit und wenn man nur kurz die Toiletten benutzen musste – wie ich damals – kam man ich vor wie bei einem Besuch bei einem reichen Scheich. Ich musste also die Toiletten auffinden, und das war für mich eine unerwartete Belehrung über die abgewandte Seite dieses Landes.
Als ich die Tür öffnete, stellte ich fest, dass auch die Toilettenräume riesig und leuchtend weiß waren. Genauer gesagt, die Wände waren mit Marmor getäfelt und richtig sauber. Aber der Boden… Darauf wälzten sich Körper. Es waren noch Menschen, wenn man ignorierte, um wie viel menschliche Würde sie sich selbst beraubt hatten. Sie waren fast keine Menschen mehr. Ich staunte, und wenn ich nicht dringend das Pissoir hätte benutzen müssen, hätte ich die Hölle nie betreten. Der Marmorboden war voll von Körpern, berauscht und unbeweglich, alle voll von Kokain. Ich geriet in ein Lager von Strauchdieben, die diese schwere Droge fixten, damit sie überhaupt überleben konnten, obwohl sie sich langsam dem Rand ihres Lebens näherten und sich in ihr Verderben stürzten.
Ich stieg über einige Körper, die sich auf dem Boden in Agonie oder Euphorie krümmten. Ich hatte keine Zeit darüber nachzudenken, denn ich musste dringend zum nächsten Pissoir. Als ich endlich ankam und verekelt meine Hose öffnete, fühlte ich, wie der Druck langsam nachließ. , Gleichzeitig wurde ich mir mit Schrecken bewusst, dass ich nicht allein war. Da unten, zwischen meinen Füßen lag jemand und beobachtete mich. Er betrachtete mich, wie ich Wasser lassen wollte und ich konnte nicht anders, obwohl ich mich sehr ekelte. Die Augen des Mannes waren fast schon überdreht und er hatte einen unzurechnungsfähigen Ausdruck, es war wie in einem Horrorfilm. Als ich fertig war, schloss ich schnell die Hose und rannte davon. Ich wusch nicht einmal meine Hände, ich konnte einfach nicht mehr in der süß riechenden Luft bleiben. Ich hatte Angst. Überall lagen in Unmengen Nadeln und Spritzen. Und ich hatte Panik, dass eine dieser grauenvollen Kreaturen mir eine Nadel in den Körper rammen könnte. Es schüttelte mich bei dieser Vorstellung vor Ekel und ich rannte aus dem Loch, als ob mich eine Horde Teufel gejagt hätte.
Der Augenblick brannte sich für immer in mein Gedächtnis ein – von außen ein exklusives und luxuriöses Einkaufszentrum aber hinter der Fassade – ein Tor zur Hölle, eine Welt voll von zerstörten Existenzen, eine Katastrophe. Alle töteten sich langsam mit Kokain. Auch das war Afrika. Es war einer der schlimmsten Augenblicke, die ich dort erlebte. Aber ein noch Erschütternder sollte erst noch kommen.
Es passierte auf der Straße. Albert und ich saßen gerade im Auto auf einer Straße, als plötzlich, ungefähr fünfzehn Meter von uns entfernt, Schüsse fielen. Ich kam mir vor wie in einem James-Bond-Film. Ich konnte einfach nicht glauben, dass so etwas wirklich passierte. Ein Stück vor uns hielt auf einmal ein Auto an, eine Scheibe wurde geöffnet und ein Kugelhagel ergoss sich in einen anderen Wagen, in dem ein Fahrer saß. Ich schaffte es nicht einmal, mich vor der schrecklichen Situation weg zu ducken und konnte nicht richtig verarbeiten, was ich da sah. Der Wagen raste dann weg, obwohl die Ampel auf Rot stand, und hinterließ eine Verwüstung. Anstatt des Manns am Steuer lag dort nur noch eine zerlöcherte Leiche auf dem Fahrersitz und alles ringsum war dunkelrot vor Blut. Ich hatte das Gefühl, dass das Blut auch auf mir war. Ich war im Schock und verstand nicht, dass das alles Realität war. Und dass niemand etwas unternahm und alle so taten, als ob nichts passiert wäre. Dass gerade nicht ein Mann im Nachbarauto wie ein Sieb zerschossen wurde. Es kam weder die Polizei, noch jemand anderes, der die Mörder verfolgen wollte. Ich war vielleicht der einzige, der einige Tage, wenn nicht Wochen brauchte, um das Bild wieder aus dem Kopf zu bekommen. Selbst heute noch fröstelt es mich bei der Erinnerung daran.
Aber was unsere Geschäfte betraf, lief alles gut. Ich gewann einen Kunden, dem ich zwanzig Karbonfahrradlenker verkaufte. Er war mit unserer perfekten Fertigung so zufrieden, dass wir einen Auftrag über weitere fünftausend Stück erhielten. Dies war schon eine leidliche Zahl und wir konnten voll mit der Produktion in Südafrika beginnen. Und so beschäftigten wir uns beide mit den jeweiligen eigenen Projekten. Albert beschäftigte sich mit seinen Flugzeugen und ich mit den Fahrrädern. Albert riss mich jeden Tag mit seinen Ideen über die Flugzeuge mit. Ich bewunderte ihn, wie er sich in seiner Arbeit auskannte, bis zu dem Augenblick, als ich eines Tages eine Flugzeugszeitschrift entdeckte und mir plötzlich bewusst wurde, dass alle seine sogenannte Ideen eigentlich nur Nachbildungen der Zeitschriftartikel waren. Es war nicht fair mir gegenüber, dass Albert mich belog, als er sich mit fremden Federn schmückte. Trotzdem hielt ich ihn weiter für einen geschickten Kollegen.
Es kam bald aber eine weitere Enttäuschung. Die in Afrika angefertigten Produkte erreichten nicht die Qualität von denen, die in Österreich hergestellt worden waren und die ersten Reaktionen der Kunden waren gar nicht positiv. Natürlich, sie erwarteten, dass die Qualität mindestens auf dem gleichen Niveau bleibt. Weil ich mich auch meinem Unternehmen in Österreich widmen musste, überließ ich die Führung in Afrika mehr oder weniger Albert, was sich als ein Fehler erwies. Unter seiner Führung wurden nämlich die Qualitätsanforderungen nicht erfüllt. Und so entschied ich mich, seine Arbeit mehr zu kontrollieren und flog jeden Monat für eine Woche nach Afrika.
Einmal nach meiner Ankunft schauten wir uns die Produktion näher an und ich war wirklich erschüttert. Wie ich feststellte, hielt Albert sich selbst für den Größten und war maximal zufrieden mit sich selbst. Und das obwohl er in den letzten sechs Monaten kein einziges Flugzeugmodell produziert hatte. Die Kunden warteten und es war mir klar, dass unsere Zeit immer knapper wurde. Sie wollten verkaufen und mussten stattdessen weiter auf ihre Bestellung warten. Dabei hatten wir genug Material und auch Arbeitskräfte, denn unter seiner Führung arbeiteten schon fünfundzwanzig Angestellte. Ich verstand nicht, warum Albert bis jetzt kein einziges Stück zum Verkaufen produziert hatte, bis ich etwas entdeckte: ein Haufen Flugzeugsteile, die in einem Container lagen. Ich regte mich auf:
„Albert, du kannst doch nicht jedes Stück, das nicht perfekt ist, einfach in den Müll werfen!“ warf ich ihm vor.
„Warum nicht?“ wehrte er sich. „Es gibt genug Material und es ist billig, dann ist es doch egal, oder? Wir können es uns ja leisten!“
„Naja,“ atmete ich geduldig ein. „Am Anfang kannst du, sagen wir, dreißig Prozent abschreiben, höchstens vierzig, aber mit jedem Monat musst du dann diesen Ausschuss reduzieren. Du musst kontinuierlich produzieren, Verbesserungsprozesse durchführen, die Mitarbeiter besser schulen, du selbst musst ihnen zeigen, wie die Teile aussehen müssen!“
Ich war erstaunlich ruhig angesichts der Tatsache, wie schlecht sich Albert in unserem Unternehmen verhielt.
„Was weißt du denn schon?!“ schrie er mich beleidigt an. „Ich arbeite doch mit ihnen. Ich kann nichts dafür, dass die Schwarzmaulbande nichts begreift! Diese Idioten haben doch keine Ahnung!“
„Gerade deshalb musst du die Mitarbeiter Schritt für Schritt schulen,“ sagte ich geduldig. „Es ist nicht wichtig, hundert Teile pro Tag zu produzieren. Mach, sagen wir, zehn, aber ordentlich. Dann kann die Produktion kontinuierlich angekurbelt werden.“
„Du weißt einen Scheiß davon,“ blockte Albert ab. „Lass mich in Ruhe! Die Flugzeuge sind meine Sache. Du kümmerst dich um deine Fahrräder!“ warf er wohlüberlegt ein.
Ich hörte auf ihn und begab mich in meinen Teil der Produktion. Als ich aber die hundert Fahrradlenker sah, die unvollendet auf einem Haufen lagen, war mir klar, dass ich auch hier schnell eingreifen musste.
„OK, Albert…“ Ich überlegte, wie ich das Thema ansprechen sollte, ohne ihn zu beleidigen. Die Kommunikation mit ihm war ein wenig problematisch. Deshalb sagte ich möglichst sanft: „Du weißt doch, dass wir mindestens fünfzig Fahrradlenker herstellen müssen, die einen gewissen Qualitätsstandard einhalten. Ohne Qualität geht es einfach nicht.“
Da mein Zureden vielleicht nicht den nötigen Effekt hatte, nahm ich mir drei unserer Angestellten, denen ich die Abläufe selbst erklärte und es ihnen bildlich zeigte. Und ich stellte fest, dass es wirklich funktionierte. Wir arbeiteten mit Indern und Afrikanern, nur drei Personen waren hier weißhäutig –Albert, ein weiterer Kollege aus Österreich und ich. Es war anders als in Österreich, aber wenn man will, geht alles.
Wir stritten nicht, aber es war für uns ermüdend. Nach der Arbeit erklärte Albert, dass er Lust hätte ein Bier zu trinken und dass wir in ein Lokal unweit von unserem Haus entfernt gehen könnten. Wir waren dort bereits schon ein paar Mal. Es waren dort normalerweise mehrere Weiße, aber an diesem Abend war es anders. Sobald wir dort ankamen, wurde mir bewusst, dass es dort völlig dunkel war – vor voll schwarzen Gesichtern. Außer uns war unter den Gästen nämlich kein einziger Weißhäutiger. Ich hatte ein bisschen Respekt, denn mir fiel auf, dass man uns irgendwie komisch anschaute und sich alle Blicke der leuchtend weißen Augen auf mich richteten. Sobald wir uns ein Bier bestellten, erschienen vor uns plötzlich zwei dunkelhäutige Frauen. Die eine war eine schlanke langbeinige Schönheit, die andere eher eine kleine Kugelrunde. Sie versuchten offensichtlich mit allen Mitteln unsere Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Zuerst tanzten sie für uns. Sie bewegten sich kokett und wackelten mit ihren großen Hintern vor uns. Dann, als wir nicht auf dieses Spiel eingingen, verschärften sie den Level. Die Schlanke streckte ihr Bein in die Höhe und legte es auf den Barpult vor mich ab. So bot sie mir eine unerwartete Ansicht – denn sie hatte keinen Slip an. Ich weiß nicht, ob ich von einem außergewöhnlichen Erlebnis sprechen kann, aber zum ersten Mal im Leben sah ich den Schambereich einer schwarzen Frau, mit schwarzen gekräuselten Schamhaaren umsäumt. Ich schaffte es nur schwer, meinen Blick von der Stelle abzuwenden, ich bin ja auch nur ein Mann. Aber ich ahnte, dass wir Probleme bekommen hätten, wenn ich mich nicht beherrscht, ihrem aufdringlichen Angebot nicht widerstanden und sie nur einmal berührt hätte. Alle um mich sitzenden Schwarzen hätten mich gelyncht. Die Einheimischen warteten nur darauf. Wir hatten es zum Glück begriffen und rissen uns zusammen. Wir bedankten uns für das kulturelle Intermezzo, tranken unsere Gläser leer, bezahlten und gingen zur Tür. Draußen an der frischen Luft atmete ich aus.
Aber ich war nur bis zu dem Moment erleichtert, als ich die Versammlung der schwarzen Gesichter erblickte, die um uns herum standen. Sie standen dort wie zwei Spaliere von je sechs Mann und sie waren sicher nicht nur rausgekommen, um sich von uns herzlich zu verabschieden. Uff, was für ein Schock. Ich machte mir vor Angst fast in die Hose. Es war mir klar, dass wir gegen eine solche Übermacht keine Chance hatten. Wir waren zu zweit und sie zu zwölft. Und wenn sie sich entschieden hätten, uns zu verprügeln, wären wir froh gewesen, wenn wir heil davon kommen könnten. Ich überlegte schnell. Es ging um jedes Wort. Aber nicht nur ein falsches Wort, es hätte ein einziger falscher Gesichtsausdruck gereicht und wir hätten in der Patsche gesessen. Aber wir taten nichts Böses und waren vollkommen höflich. Uns war nichts vorzuwerfen. Ich ging davon aus, dass dies die einzige Möglichkeit zur Flucht ist – sich absolut anständig und ehrenhaft von den Kerlen zu verabschieden und schnell unserer Wege zu gehen. Damit können wir ja nichts falsch machen.
Es war mir klar, dass das, was hier geschah, lediglich das Ergebnis eines hundertjährigen Prozesses war, von dem sich Schwarze und Weiße immer noch nicht ausgesöhnt hatten. Obwohl schon längst Frieden war und niemand sie mehr verfolgte oder unterdrückte, diese Leute hier mochten uns Weiße einfach nicht. Diesmal waren sie es, die uns zeigen wollten, wer hier das Sagen hat. Und dass sie uns die Apartheid nicht einfach so verzeihen. Dass sie die neuen Herrscher in Südafrika waren. Sie vergaßen uns nicht. Das Thema des Konfliktes zwischen den Schwarzen und Weißen war noch nicht abgeschlossen und es wird noch ein langer Prozess sein, bis sie fähig sein werden, Eigenverantwortung zu tragen und zu verstehen, dass das Land ihnen gehörte.
Mit einem Lächeln im Gesicht sagte ich also meinem Freund: „Albert, seien wir still“ und weil sie uns nicht verstanden und ich lächelte, dachten sie an nichts Böses. Dann hob ich die Hand und sagte mit dem freundlichsten Gesichtsausdruck, zu dem ich fähig war. „Ciao, arrivederci, danke für das Bier und einen schönen Abend noch...“ und dabei entfernten wir uns unauffällig in der Hoffnung, dass es uns die Gruppe nicht übelnahm.
Es funktionierte. Sie ließen uns gehen und taten uns nichts. Ich hatte die Hose voll und atmete erst aus, als wir ohne einen Kratzer wieder zu Hause waren. Unser Kollege hatte leider nicht so viel Glück. Eines Abends, als er länger in der Arbeit blieb und um Mitternacht immer noch nicht zu Hause war, hatte ich eine Vorahnung. Um zwei Uhr morgens klopfte jemand an die Tür. Obwohl es nicht möglich war, dass irgendjemand in unserem verschlossenen Gelände nur so herumspazierte, hatte ich Angst, zur Tür zu gehen. Ich öffnete die Tür und sah unseren Kollegen, der nur in Unterhose vor unserer Tür eher lag als saß. Sein ganzer Körper war mit blauen Flecken übersät, zerkratzt, getreten und geschlagen. Es stellte sich heraus, dass er in demselben Lokal wie wir gewesen war. Er war aber nicht so vernünftig gewesen und widerstand den zwei schwarzen Mädchen nicht. Er hatte den Spaß mit ihnen mit Vollgas genossen. Er hatte sie überall angefasst, wo sie es ihm erlaubten, hatte sie geküsst und hatte mit ihnen getanzt. Er hatte einfach viel Spaß gehabt. Aber draußen wartete dieselbe Gruppe auf ihn wie auf uns. Mit ihm rechneten sie aber ab. Von ihm verabschiedeten sie sich nicht so freundlich. Stattdessen nahmen sie ihm alles ab, was er dabei und an sich hatte. Er konnte froh sein, dass er sich lebendig nach Hause schleppen konnte.
Ich freute mich auf mein zu Hause, denn jeweils nach zehn Tagen flog ich nach Österreich zu meiner Frau und meiner Firma, um mich den weiteren Aufträgen zu widmen. Inzwischen absolvierte ich die alljährliche Messe, die für mich zu einem Schlüsselereignis werden sollte. Denn dabei hörte ich nämlich eines Tages, wie sich die Kollegen am Nachbarstand über ihr Projekt unterhielten. Für dieses hatten sie noch niemanden gefunden, der es hätte herstellen können. Damals wusste ich noch nicht, wie wichtig dieses Zusammentreffen für mich sein wird. Ich stellte mich ihnen vor und fragte sie, ob ich vielleicht das Projekt sehen könnte.
Und so zeigten sie mir die Zeichnung, die ein Gehäuse darstellte. In dem Augenblick wurde der realisierte Gegenstand mit der Verwendung von Karbon in meinem Kopf schon projiziert. Ich bot ihnen an, dass ich es für sie herstellen könnte. Sie glaubten mir nicht. Trotzdem vereinbarten wir, dass sie mir die Unterlagen zuschickten und ich ein Angebot erarbeitete. In dieser Zeit sagte mir der Name der Firma ARI noch nichts. Erst zu Hause stellte ich fest, dass es sich um einen der größten Kamera-Hersteller der Welt handelte, die Hollywood und auch Bollywood belieferten und in der ganzen Welt vertreten waren. Es motivierte mich. Ich sandte ihnen mein Angebot zu und wartete.
Sie riefen mich an und wir trafen uns in München. Es war vielleicht das wichtigste Zusammentreffen in meiner bisherigen Karriere. Und so zog ich einen der besten meiner Anzüge an und bereitete mich angemessen darauf vor. An diesem Abend hatte ich kein Glück, ich schlug mir in der Toilette schmerzlich den Kopf an. Ich blutete, und so nahm ich ein Taschentuch und setzte mich in meinen Audi A4. Ich war schon auf der Autobahn, als sich das Wasser in meinem Mund sammelte. Ich öffnete das Fenster, um ausspucken zu können. Das war aber keine gute Idee. Denn in diesem Moment flogen mir mit der Spucke auch die Vorderzähne aus dem Mund. Seit elf Jahren musste ich eine Zahnprothese tragen, denn ein Junge hatte mir beim Fußball mit seinem Knie die vorderen Zähne ausgeschlagen. Ich wurde blas vor Grauen. Ich hatte das wichtigste Treffen im Jahr und plötzlich keine Zähne mehr! Ich hielt schnell auf der Standspur an und lief auf die Fahrbahn, wo ich sie ungefähr zweihundert Meter hinter dem Wagen entdeckte. Ich rannte darauf zu, aber in diesem Moment erschien ein Auto auf der Straße und überfuhr sie. Ich sammelte von der Fahrbahn das, was davon übrig geblieben war – sie waren in zwei Stücke zerbrochen. Ich stieg schnell ins Auto ein und überlegte, was ich machen könnte. Bis zum Treffen blieb mir nicht mehr viel Zeit. Und so hielt ich an der nächsten Tankstelle an und dort fiel mir etwas ins Auge – Superkleber! Ich kaufte ihn schnell. Es war nicht die glücklichste Lösung, denn es war leider kein Sekundenkleber. Meine Finger verklebten sich mit der Prothese und ich musste einige Minuten warten, bis er hart wurde. Dann lief ich zur Toilette, wo ich die Prothese und meine Finger wusch und setzte sie mir zurück in den Mund. Sie passten zwar nicht hundertprozentig, aber besser als nichts.
So ausgerüstet eilte ich zum Meeting. Ich hatte nicht das beste Gefühl dabei, denn ich war ständig nervös, ob der Kleber halten würde und mir nicht meine Zähne mitten in der Verhandlung herausfielen. Nach zwei Stunden des Gesprächs einigten wir uns. Zuerst waren sie vorsichtig und glaubten nicht, dass es mit mir anders sein würde als mit ihren letzten Partnern. Weil sie bisher keine gute Erfahrung gemacht hatten, bot ich ihnen an, dass sie erst dann bezahlen, wenn ich ihnen das Produkt liefere und sie es erfolgreich in Betrieb setzen konnten. Das gefiel ihnen.
„Herr Semlitsch, Sie haben uns überzeugt, Sie bekommen den Auftrag.“, verkündete der Firmendirektor und ich entspannte mich etwas. Auch deshalb, weil meine Zähne hielten und es zu keiner peinlichen Situation kam, ehe ich aus dem Büro war. Es kam mir seltsam vor, dass mich einer der Geschäftsführer bis zu meinem Auto begleitete, bis er es mir erklärte: „Wenn Sie kein vernünftiges Auto hätten, könnten Sie keine vernünftigen Teile liefern.“ Diesen Satz behielt ich für immer im Gedächtnis.
Im Moment, als ich die Tür zuschlug, fielen mir die Zähne aus dem Mund. Ich dankte allen Heiligen, dass es nicht früher passierte und begann mit Inbrunst zu arbeiten. In sechs Monaten sollten die Bauteile fertig sein, aber ich entschied mich, es in drei zu schaffen. Ich hatte schon größere Räume. Ich bekam ein günstiges Grundstück vom Bürgermeister und einen Zuschuss für den Ausbau der neuen Halle. Außerdem verkaufte ich mein ehemaliges Gebäude mit der Fläche von 7000 m², denn ich brauchte für meine Produktion viel Platz. Es begann mir sehr gut zu gehen.
Obwohl ich dank Albert fünfunddreißigtausend Euro verlor. Er vernichtete nämlich ein Karbonbauteil für die Kamera-Firma, das ich mit meinem Team in hunderten von Stunden gefräst und poliert hatte. Es war nicht einfach gewesen, es herzustellen, aber nach ein paar Bieren vergaßen sie das Trennmittel hinzuzugeben, damit es sich formen ließ. Dann benutzten sie Stemmeisen wie die schlimmsten Bergarbeiter und machten das Teil dadurch kaputt. Ich verzieh ihm – ich konnte noch nie jemandem lange böse sein – und ich war zufrieden, dass wenigstens in Afrika Albert alles unter Kontrolle hatte und es so lief, wie es laufen sollte. Das glaubte ich zumindest.
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XI. „Es hat mich eine wilde Welle der Boshaftigkeit überrollt. Ich habe es von jeder Seite und jeden Tag gespürt. Um mich herum war nur jede Menge Idioten, die im Leben nichts erreicht haben und auch niemandem gönnten, etwas zu erreichen.“ Karl-Heinz Semlitsch
Manuela begann bald zu gebären. Ich wollte unbedingt sehen, wie mein Sohn auf die Welt kam. Ich eilte ins Krankenhaus, um rechtzeitig dort zu sein. Als ich sie auf dem Tisch erblickte, bekam ich plötzlich Panik. Wird alles in Ordnung sein? Wird es Komplikationen geben? Ihre Schmerzen waren sehr intensiv. Plötzlich hörte ich nur ein Schwapp und das Kind war draußen. Ich war glücklich, dass ich bei ihr war. Aber als mir die Krankenschwester die Schere gab, um die Nabelschnur durchzuschneiden, musste ich mich entschuldigen, denn das schaffte ich wirklich nicht. Ich war blass und schwach.
Ich erschrak, als ich sah, dass unser Sohn ein bisschen blau war. Nachdem Kristina nach nur sechs Monaten gestorben war, quälte mich der Gedanke, dass sich etwas Ähnliches wiederholen könnte. Umso mehr, als ich erfuhr, dass auch mein zweites Kind einen Herzfehler hatte. Dieser war nicht so kompliziert wie der von Kristina, aber er war da. Als ich davon hörte, spürte ich, wie mir das Blut aus den Fingern strömte, wie sich mein ganzes Innere in eine Schale zurückzog. Seitdem schliefen wir keine einzige Nacht. Die Situation wiederholte sich. Die Nächte waren unerträglich, wir beobachteten ihn ununterbrochen. Wir zitterten, wenn sich das Gerät, das seine Aktivität kontrollieren sollte, abstellte und meldete. Es war ein riesiger Stress und wir beide sprangen mehrmals pro Nacht entsetzt und verschwitzt aus dem Bett, und wir sahen nach, ob er lebte.
Ich liebte Kristof und war übermäßig stolz auf meine Frau, dass sie ihn zur Welt gebracht hatte. Zuerst stritt ich mit Manuela wegen seinem Namen, aber ich wusste von Anfang an, dass er so heißen wird. Ich war überglücklich, dass wir ihn hatten. Ich spürte, wie schon beim ersten Anblick ein neues Leben in meinem Herzen begann. Er hatte lockiges Haar, duftete herrlich und ich war unbeschreiblich stolz auf ihn. Ich wollte die ersten Tage seines Lebens voll genießen. Deshalb blieb ich nach der Geburt einige Tage zu Hause. Am liebsten wäre ich mit ihm häufiger gewesen, aber ich war von der Arbeit überrollt. was mich andererseits motivierte Denn ich bereitete für meinen Sohn eine wunderbare Zukunft vor.
Ich war mir bei dieser Sache sicher, obwohl es uns in Südafrika nicht gelang, erfolgreich zu sein. Dafür ergaben sich in der Heimat einige Erfolge. Ich konzentrierte mich auf die Kamerasysteme, mit denen der Kunde so zufrieden war, dass wir noch einen weiteren, noch größeren Auftrag bekamen. Und dann erhielt ich noch einen weiteren interessanten Auftrag – ich sollte Teleskop-Systeme für Minensuchgeräte produzieren. Das Beste daran war nicht nur, dass der Kunde mir vertraute, - seine Zufriedenheit brachte mir große Gewinne -, sondern auch, dass ich für meine Idee neun internationale Preise bekam. Ich war stolz auf mich. Und es gefiel mir auch, dass ich von einem Kunden nach Wien eingeladen wurde, der von der NATO eine Bestellung über zehntausend Minensuchgeräte und weitere dreitausend Bombensuchgeräte bekam. Hier sprach man schon von einer Summe von zwölf Millionen Euro. Von so viel Geld hätte ich mir nie im Leben träumen lassen. Ich konnte nicht glauben, dass ich solches Glück hatte. Es bedeutete eine Verdoppelung meines bisherigen Umsatzes und eine sichere Arbeit für die nächsten vier Jahre. Und so begann ich gleich an diesem Auftrag zu arbeiten, obwohl wir den Vertrag noch nicht unterschrieben hatten. Aber diesem Kunden vertraute ich voll, ebenso wie er mir. Es gab kein besseres Gefühl für einen Unternehmer.
Meine Laune wurde nur ein bisschen von Albert mit seinem legeren Umgang nicht nur mit seinen Flugzeugen getrübt. Mit deren Produktion waren wir in Afrika bereits ein halbes Jahr in Verzug und der Kunde war dementsprechend ziemlich nervös – ebenso wie ich. Deshalb drängte ich Albert erneut. Er blockte mich ab, wie immer. Schließlich stellte er ein Modell fertig, das wir abschicken konnten. Die Reaktion des Kunden überraschte mich trotzdem. Er war enttäuscht. Und ich war Albert wirklich böse. Ich spürte, dass mit ihm etwas nicht stimmte. Die Qualität seiner Modelle war viel schlechter als die Qualität der Modelle aus Österreich. Er versicherte mir, dass er mit dem Kunden gesprochen habe und alles in bester Ordnung wäre. Ich sollte mir keine Sorgen machen. Es war aber nicht so. Albert reagierte sehr beleidigt, als ich ihn ermahnte, dass es so nicht weiter gehen könnte. Ich musste doch das ganze Projekt von meinem Geld finanzieren und auch für den Verzug aufkommen. Und schließlich war nun auch noch der Kunde unzufrieden. Albert wies mich wieder nur zurück und versuchte die Aufmerksamkeit auf meine Fahrradlenker zu ziehen. Er sagte, dass es auf dem Gebiet besser liefe. Ich war mehr als nervös, als ich in ein Flugzeug stieg und nach Südafrika flog, um alles zu kontrollieren. Dort erwartete mich wieder ein Schock. Auf dem Boden der Halle lagen ungefähr dreitausend Fahrradlenker und nicht ein einziges Stück war in Ordnung. Albert kümmerte sich auch um diese Produktion nicht. Sie interessierte ihn nicht und alles wartete auf mich.
Ich hatte mehrere Projekte am Laufen, und so nahm ich die ersten Signale nur flüchtig wahr – offen gesagt, sie waren wahrscheinlich nicht die Ersten. –, Irgendetwas war mit Albert nicht ganz in Ordnung. Er beschwerte sich: „Karl-Heinz, ich habe irgendwie keine Kraft und Lust mehr, in Afrika weiter zu machen… Du weißt schon, meine Familie…“
„Gut, Albert, ich verstehe dich,“ sagte ich darauf. „Wir stellen noch zwei Leute ein, die die Produktion überwachen und uns unterstützen werden. Einmal im Monat fliegen wir dann nach Afrika und kontrollieren es.“
„Aber... weißt du, ich würde lieber...“ er suchte nach einer Ausrede.
„Ich hoffe, du verstehst, dass wir das Unternehmen nicht ganz schließen können. Das würde uns eine Million Euro kosten.“ Ich sagte zwar „uns“, aber in Wirklichkeit riskierte Albert fast nichts. Ich hatte doch achtzig Prozent des Kapitals von der Bank. Ich haftete mit meiner Firma. Albert stimmte schließlich einer solchen Lösung zu und kehrte nach Afrika zurück.
Ich dachte, dass die Sache damit erledigt wäre und so arbeiteten wir weiter. Bis ungefähr zwei Tage später das Telefon klingelte. Es war Albert.
„Wir haben ein riesiges Problem, Karl-Heinz.“
„Was für ein Problem?“
„Wir wurden ausgeraubt.“
„Was? Wie ausgeraubt?“
„Es wurde bei uns eingebrochen und unsere Maschinen wurden gestohlen.“
„Och, Gott! Scheiße!“
Es wurde dunkel vor meinen Augen. Ich ahnte, was das bedeutete. Wir waren, fein ausgedrückt, total im Eimer. Ich flog dorthin. Als ich landete, wartete Albert schon auf mich. In meinem Inneren war ich komplett aufgewühlt und mein Freund – war die Ruhe selbst. Er saß in der Flughafenhalle und trank Kaffee wie der zufriedenste Unternehmer auf dem Planeten. Entspannt wie nach dem Urlaub, während ich blass wie eine Wand auf unsere leere Halle Nummer zwei gaffte. Dort war nichts mehr. Absolut nichts. Aber es sah nicht wie nach einem Hurrikan aus. Im Gegenteil. Der anständige Einbrecher trug nicht nur alles bis zum letzten Kern weg, sondern fegte offenbar nach der Tat alles auf, denn auf dem leeren Boden lag kein einziger Maschinenbestandteil. Gar nichts. Achthundert Quadratmeter der Leere. Dort, wo früher Maschinen für eine Million Euro standen, grinste mich nun eine absolute Sauberkeit an, keine Maschinen, keine Regale, keine Bestandteile, kein Rohmaterial… nichts.
„Wie ist das möglich?! Was fängt man mit Maschinenbestandteilen an? Das ist Unsinn!“ schüttelte ich mit dem Kopf und verstand nichts.
„Ich war eine Woche weg und als ich zurückkam, war alles weg,“ behauptete Albert und ich überlegte krampfhaft. Es hätte bedeutet, dass der Einbrecher gleich nach Alberts Abfahrt seine Arbeit habe beginnen müssen. Und er hat alles mitgenommen. Im Wert von 1,2 Millionen Euro.
„Albert, wir sind erledigt,“ sagte ich.
„Ich weiß,“ erwiderte er ruhig.
Vergeblich bedauerten uns unsere Freunde und Kollegen und meinten, dass Afrika ein verrücktes Land war. Angeblich sollten die Menschen dort alles stehlen, was sie bekommen konnten, sogar den Löffel, mit dem man gerade aß. Es ging mir nicht in den Kopf. Aber ich konnte nicht lange darüber nachdenken. Ich musste herausfinden, wie es weitergehen sollte. Und ich musste der Bank mitteilen, was passiert ist.
Ich verließ mich darauf, dass mich der Banker ziemlich mochte. Ich würde mich mit ihm wahrscheinlich einigen können. Das konnte noch nicht das Ende sein.
„Herr Semlitsch,“ sagte er, „Sie haben ein Problem. Sie haben sich von uns 1,2 Millionen Euro geliehen, die Sie nun nicht zurückzahlen können. Was machen wir jetzt damit?“
Natürlich hatte ich einen Plan. „Wie machen einen Plan, wie wir in fünf oder zehn Jahren alles zurückzahlen können. Wir konzentrieren uns wieder auf unser Heimatland und nicht mehr auf Südafrika.“
„Alles klar, aber ich muss das alles dem Vorstand erklären,“ sagte der liebe Herr und so geschah es auch. Ich hoffte, dass die Sache damit elegant gelöst werden konnte. Ein Diebstahl konnte mich doch nicht umhauen. Davon war ich jedenfalls überzeugt. Ich musste mir etwas ausdenken, um auch die Bank davon zu überzeugen, dass wir das Kapital zurückzahlen könnten.
Die Antwort der Bank war aber eindeutig: „Wir wollen das Geld komplett zurück. Und zwar sofort. Wir werden keine 10 Jahre lang warten.“
Mein Banker teilte mir voller Bedauern mit: „Herr Semlitsch, wir können da nichts machen. Sie sind ein fünfundachtzigprozentiger Schuldner und Sie haben genau acht Wochen, um das Problem zu lösen.“
Albert interessierte es, wie erwartet, überhaupt nicht. Und ich lief von einer Bank zur anderen, aber keine wollte mir helfen. Ich hatte nur noch eine Hoffnung: Von der Steiermarker Bank sollte ich achtzig oder hunderttausend Euro für den das Bauprojekt einer Halle bekommen. Ich wusste nicht, dass alle Banken wie ein riesiges Netz funktionierten. Mir wurde gesagt, solange ich ein Problem mit meiner Firma in Südafrika hätte, könnte ich keinen einzigen Cent bekommen, bis ich das Problem gelöst habe.
Und dazu kam noch eine weitere Hiobsbotschaft. Wie schon erwähnt, hatte ich bereits begonnen, die Minensuchgeräte für meinen größten Kunden herzustellen. Deshalb rechnete ich jeden Tag mit einem riesigen Auftrag, der meine Haut retten sollte. Allerdings eröffnete er mir nun, dass NATO im letzten Augenblick das Projekt zurückgezogen hatte und er den Auftrag deshalb nicht bekam. Darum könnte ich diesen nun auch nicht bekommen. Und schließlich kam noch hinzu, dass der Kunde mir auch nichts von dem bezahlen konnte, was ich bereits vor dem Abschluss eines gültigen Vertrages in die Produktion investiert hatte, denn auch seine Firma hatte riesige wirtschaftliche Probleme. Im Laufe dieser zwei Monate verlor ich also nicht nur die Produktion in Afrika, sondern auch einen Großkunden und zweitausend Fahrradlenker, von denen Albert behauptet hatte, dass er sie aus Afrika nach Österreich geschickt hatte. Aber sie waren immer noch nicht angekommen.
Vor Weihnachten teilte mir die Bank mit, dass sie keine Ausflüchte mehr hören wollten. Mein Anwalt informierte mich, dass es keinen Ausweg mehr gab. Es blieb mir also nichts anderes übrig, als meine Firma in den Konkurs zu schicken. Generell war die Situation in Österreich zu dieser Zeit sehr ungünstig. Die Steiermarker Bank hatte viel in technologische Firmen investiert. Da dadurch aber keine Gewinne erwirtschaftet wurden und sie dabei viel Geld verlor, wollte sie die Firmen möglichst schnell loswerden. Und meine Firma war eine davon – deshalb musste ich weg.
Der Anwalt eröffnete mir also mitfühlend: „Wir haben keine andere Finanzierungsmöglichkeit und müssen deine Firma in den Konkurs schicken. Die beste Lösung für dich ist der Zwangsvergleich.“
Ich wusste, dass es das kleinere Übel war. Das bedeutete für mich, dass ich mit meiner Firma weitermachen kann. Aber was ich nicht wusste, war, dass nach dem Beginn des Vergleichs alle meine Konten für ein halbes Jahr gesperrt bleiben und ich, solange der Prozess läuft, keinen Zugriff zu meinem Geld habe. Ich durfte von meinem Konto keinen einzigen Euro abheben. Es blieb mir also nur das übrig, was ich gerade in meiner Geldbörse hatte.
Trotzdem war dies eine weniger schmerzliche Nachricht als ein möglicher Konkurs, in dem ich meine ganze Firma verloren hätte. Aber ich musste alle Kunden und Lieferanten über die entstandene Situation informieren. Und so machte ich mich auf den Weg, um sie alle mit der unschönen Nachricht zu besuchen. Am schrecklichsten war dies für die Firma ARI, die Kamera-Systeme für die ganze Welt herstellte. Ich war deren einziger Lieferant und deshalb überlebenswichtig für sie. Ohne mich mussten auch sie ihre Produktion von fünfunddreißigtausend Kameras stoppen und es drohte, dass mein Konkurs auch sie zu Grunde richten könnte.
Alle, die mich kannten, wussten, dass ich wirtschaftliche Probleme hatte. Und der Einzige, dem es egal war, war Albert. Ich wusste, dass es mit dem Diebstahl nicht ganz so war, wie er erzählte. Es war mir klar, dass kein Einbrecher die ganze Produktion so gründlich ausräumen würde. Und dann gab es hier diese Leute. Meine Firma funktionierte sechs Jahre wie ein Uhrwerk, und doch gab es sie, die sich schadenfroh freuten: „Ich habe es doch schon immer gesagt! Ich wusste, dass es bei ihm nicht laufen wird“ beteuerten sie. . Sie hatten in ihrem Leben nichts erreicht und konnten mir nicht verzeihen, dass es mir bis jetzt gut ging. Sie hatten vom wirklichen Grund keine Ahnung. Sie wussten nicht, dass hinter meinem scheinbaren Ende nur der Neid, die Habgier und die menschliche Maßlosigkeit steckten. Die Bosheit verfolgte mich auf Schritt und Tritt. Ich fühlte mich, als hätte ich in der Böswilligkeit ertrinken müssen. Und dann wurde ich krank. Wirklich sehr krank- Bis heute bin ich davon überzeugt, dass die Grippe, die mich damals fast getötet hätte, die Wirkung all der bösen Kräfte um mich herum war. Als ob die Schicksalsfäden in ein riesiges Spinnennetz zusammengeflochten worden wären, in die ich mich verfangen hatte, um dort auf mein Ende zu warten.
Ich hatte Schüttelfrost und erhöhte Temperatur, als ich ins Auto einstieg. Ich musste aber den Termin in der Bank schaffen, ein Zusammentreffen mit einem jungen, dynamischen Bankmanager namens Fischer. Bis heute bereue ich, nicht lieber im Bett liegen geblieben zu sein. Vielleicht war es aber auch gut, damit ich diese Welt endlich verstehen und meine rosarote Brille ablegen konnte. Es sollte mir eine Lehre sein.
In dem naiven Glauben, dass sie mir wirklich eine Lösung anbieten, brach ich also geschwächelt vom Fieber nach Graz auf. Ich hoffte, mich nach dem Treffen mit Fischer endlich von der Stellerühren zu können. Wir begegneten uns im sechsten Stock. Dort hatte er sein Büro. Er kam rein und ich wartete schon neugierig darauf, was er mir anzubieten hatte. Ich konnte doch nicht von allen abgewiesen werden. Ich glaubte noch immer, dass nicht alle Menschen böse sind. Ich konnte auch nicht ahnen, dass vor mir die Böseste aller Kreaturen saß, die bestimmt eine Inkarnation des Todes selbst sein musste. Obwohl nicht einmal der Tod ein so schreckliches Gesicht gezeigt hätte.
Er war freundlich, bot mir Kaffee an und sprach mich sehr freundlich an:
„Ich habe eine Lösung für Sie, Herr Semlitsch,“ kündigte er an und ich freute mich im Rahmen meiner begrenzten Möglichkeiten. Endlich ein Mensch, mit dem man sprechen kann, dachte ich. „Eine Lösung für alle Ihre Probleme.“
„OK,“ räusperte ich mich und spürte, wie ich zu schwitzen begann. „Worum geht es?“
„Schauen Sie mal. Sie sind bei uns über fünf Millionen Euro versichert.“
„Ja...“ Ich verstand nicht, worauf er hinaus wollte.
„Hier im sechsten Stock gibt es nur ein Fenster, das sich öffnen lässt.“ Er wurde still und beobachtete mich kurz. Vielleicht wollte er mir Zeit geben, damit ich verstehen konnte, was er damit meinte. Er hatte eine zauberhafte Stimme, wie die eines Hypnotiseurs. Er redete langsam, seine Worte waren wie Nägel, die sich unter meine Haut bohrten. „Ich habe eine Idee. Sie können sich selbst helfen. Sich selbst und Ihrer ganzen Familie. Ihre Kinder können ohne Schulden aufwachsen. Sie müssen nur Eins tun, Herr Semlitsch. Machen Sie es für sie.“
Ich schaute ihn verdutzt an, denn scheinbar hatte ich ihn schlecht verstanden. Oder ich erkannte nicht den Sinn seiner Wörter. Ich hatte bestimmt Halluzinationen durch Fieber.
„Es reicht nur, hin zu gehen, das Fenster zu öffnen… und zu springen,“ führte er nun konkreter aus. „Und mit diesem einzigen Sprung können Sie alles wieder gutmachen. Und Sie werden ein freier Mensch. Ihre Familie wird damit alle Schulden erledigt haben und die Bank bekommt ihr Geld zurück. Und mehr noch, Ihrer Familie bleibt noch genügend Geld übrig.“
Ich überlegte, ob der Kerl scherzte. Er lächelte. Er sah fast wie ein guter Mensch aus. Ich schwitzte wie ein Pferd. Nein. Er scherzte nicht. Er meinte es ernst! Der Idiot war bestimmt davon überzeugt, dass ich wegen ihm schwitze. Er verstand nicht, dass ich krank war. Und so setzte er gnadenlos fort: „Ich mache Ihnen also jetzt diesen Vorschlag: ich gehe jetzt für zehn Minuten raus und dann komme ich wieder und… Ich wünsche Ihnen alles Gute. Alles wird gut werden, wenn Sie jetzt springen.“
Mit diesen Worten ging er wirklich aus dem Büro. Er ließ mich allein und glaubte, dass wenn er zurück kommt, ich hier nicht mehr bin. Meinte er das wirklich? Soll ich wegen Geld mein Leben beenden? Er will, dass ich Selbstmord verübte, nur damit die Bank ihr Geld zurückbekommt?! Das ist das größte Arschloch, das ich in meinem Leben getroffen habe! Einer der größten Verbrecher im Anzug, den die Welt je gesehen hat!
Ich war so wütend, dass ich, wenn ich nicht so schwach gewesen wäre, ihm direkt bei seiner Rückkehr ins Büro die Fassade poliert hätte. Ich hätte ihm am liebsten so eine gescheuert, dass er selbst durch sein offenes Fenster nach draußen geschossen und vom sechsten Stock geflogen wäre. Bisher hatte ich in meinem Leben fast niemandem etwas Böses gewünscht - bis jetzt. Außer vielleicht der Schlange von Lehrerin. Ich könnte ihn so in seinen Hintern treten, dass der Teufel endlich versteht, dass er nicht mit meinem Leben spielen darf!
„Was machen Sie noch hier?!“ brüllte mich das Ungeheuer an. Ich sammelte die Reste meiner Kräfte, um mich zu beherrschen.
„Sind Sie verrückt?! Glauben Sie wirklich, dass ich vom sechsten Stock springe?!“
„Sie sind tot! Ich vernichte Sie!“ Er zitterte vor Wut wie ein verzweifelter schwarzer Magier, dem die letzte Nummer nicht gelungen war.
„Rutschen Sie mir den Buckel runter!“ sagte ich so höflich wie möglich und schlug die Tür hinter mir zu.
Unterwegs nach Hause spürte ich, wie ich mit jeder Minute mehr und mehr schwitzte und dass mit mir etwas nicht stimmt. Es war eine Reise in die Hölle. Mein Leben stand wirklich auf der Kippe, denn ich hatte Problem, auf der Straße zu bleiben. Als ich glücklicherweise immer noch lebendig nach Hause kam, entspannte ich mich und dachte, dass ich es geschafft hatte. Aber die Erleichterung dauerte nicht lange. Ich öffnete die Tür und fiel aus dem Wagen geradewegs auf den Parkplatz. Ich versuchte aufzustehen, aber es war unmöglich. Ich konnte mich nicht bewegen. Ich lag dort hilflos auf dem Boden und wartete, dass jemand zufällig vorbeikam und mich entdeckte. Ein Unglück kommt selten allein, denn es gab niemanden, der mir helfen konnte. Nach einigen Minuten gelang es mir wie durch ein Wunder aufzustehen, aber ich fühlte mich wie betrunken.
Nachdem ich mich nach Hause geschleppt hatte, legte ich mich kraftlos ins Bett. Ich war nass, als ob ich aus einem Pool gestiegen wäre, das Hemd und das Haar hatte ich komplett durchnässt, und dabei war mir kalt. Ich musste mindestens 40 Grad Fieber haben und dachte nur: Karl-Heinz, hoffentlich stirbst du nicht. Ich konnte nicht aufstehen. Mein geschwächter Körper zitterte vor lauter Schüttelfrost und in diesem Zustand fand mich Manuela, die gerade mit unserem Sohn nach Hause kam. Sie kochte mir Tee, zog mich um und rief den Arzt. Sein Verdacht war: „Sie standen kurz vor dem Exodus, Herr Semlitsch. Sie haben eine tückische Grippe, die Sie fast getötet hätte.“
Ich erschrak ein bisschen und dankte wieder meinem persönlichen Engel – meiner Mama, dass sie mich nicht zu sich rief. Ich war nicht weit davon entfernt, aus dem sechsten Stockwerk zu fallen. Aber nicht aus dem Gebäude. Ich fühlte mich so, weil die Grippe anfing und diese wirkte sich so massivaus, dass sie mich komplett umwarf. Umso merkwürdiger war es, als ich am nächsten Tag völlig gesund erwachte. Ich hatte eine so starke Immunität, dass ich nach einem Tag im Bett kerngesund auf meinen Beinen stand.
Nach diesen Prüfungen fühlte ich mich stark und unüberwindbar, obwohl ich von der Bank den nächsten Termin bekam, diesmal in der „Todesabteilung“. Dieses Zusammentreffen war das Entscheidendste. Diesmal wurden ich mit meinem Anwalt – Albert war natürlich nicht da – von einem Sechzigjährigen mit guten Augen empfangen, der mich freundlich anredete: „Lieber Karl-Heinz Semlitsch, wie schnell kann es doch gehen, dass man aus großer Höhe direkt in ein tiefes Loch fällt, nicht wahr?“
„Ja, Sie haben Recht,“ erwiderte ich. Nach der letzten Erfahrung war ich auf alles vorbereitet. „Ich wollte niemandem etwas Böses tun, ich wollte einfach nur was Tolles machen. Aber heute weiß ich, ich wurde belogen und betrogen.“ Meinen ehemaligen Kollegen hatte ich die letzten zwei Monate nicht gesehen. Ich ahnte nicht, wo er war und was er trieb.
„Ich habe einen Vorschlag für Sie,“ eröffnete mir der alte Herr und ich hatte schon Angst, was jetzt kommen würde. „Wir wollen fünfzig Prozent von Ihnen und Sie werden ein freier Mensch sein.“
„Meinen Sie das ernst?“ wunderte ich mich.
„Ja. Einst war ich hart und habgieriger junger Mann. Aber heute verstehe ich das. Ich weiß, dass Sie kein Geld haben, dass viele Leute Sie vernichten wollten. Und ich will Ihnen eine zweite Chance im Leben geben.“
Ich konnte es nicht glauben. Ich bedankte mich für die guten Nachrichten, aber trotzdem musste ich immer noch die Hälfte der Schulden zurückzahlen, die ich allerdings nicht hatte.
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XII. „Wenn du in Österreich nicht gerade auf der glücklichen Seite stehst, verspüren alle eine riesige Freude dabei, wenn sie dich vernichten können. Sogar die, die du für deine Nächsten hältst.“ Karl-Heinz Semlitsch
Bald danach meldeten sich meine Kunden der Firma ARI. Ich wusste, dass sie es sich nicht erlauben konnten, mich zu verlieren. Sonst hätten sie fünfhundert Millionen Euro Verlust gemacht, wenn nicht sogar mehr. Alle Filmemacher der Welt hingen von dieser Firma ab und diese Firma hing von mir ab. Wir mussten also eine gemeinsame Lösung finden. Ich war auf die nächste Arroganz vorbereitet, die mir in der letzten Zeit von allen entgegen gebracht wurde. Man hielt mich nur für einen kleinen Techniker, einen winzigen Erfinder, der zu dumm ist, um eine Firma zu leiten. Niemanden interessierte, dass ich betrogen und belogen wurde. Fast niemanden.
„Wir wollen Ihre Firma kaufen“, sagten die Vertreter von ARI. Ich erschrak. Ich saß dort voll Grauen und konnte mich nicht verteidigen, denn ich brauchte das Geld für die Bank.
„Ich bitte Sie“, ich fühlte mich nicht entwürdigt, denn ich wusste, dass meine Bitte nicht fehl am Platze war und mein Stolz mich noch nie an einer anständigen Bitte gehindert hatte. Und sie respektierten mich, genauso wie ich sie. „Ich möchte Sie als Freunde und Kunden behalten, aber ich will nicht, dass Sie meine Firma kaufen. Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich alles löse.“
„Wovon leben Sie?“ fragte einer von ihnen. „Seit drei Monaten schon bekommen Sie von Ihrer Firma kein Geld mehr.“
„Ich lebe, weil mich mein Vater unterstützt und meine Familie hinter mir steht,“ antwortete ich wahrheitsgemäß.
„Gut. Wenn Sie alles lösen, bekommt Ihre Firma von uns einen Auftrag über zwei Millionen Euro.“
„Ist es Ihnen zwei Millionen wert?“ fragte mein Anwalt erstaunt.
„Ja. Denn für uns sind die zwei Millionen eine kleine Sache aber für dieses Unternehmen ist das jede Menge Geld, das wissen wir.“
Tatsächlich hatte ich Tränen in den Augen, als ich das hörte. Es war mir klar, dass sie mir helfen wollten und nach all den Hindernissen, die mir das Schicksal oder eher die Leute vor die Füße warfen, konnte ich dies nicht glauben. Außer diesem Angebot hatte ich noch eine zweite Möglichkeit – falls es in Österreich nicht gelingt, gehe ich nach Deutschland und baue dort die Firma neu auf, zusammen mit ARI.
Es ärgerte mich ein wenig, dass auch mein Firmenauto zwangsversteigert wurde. In der Ausschreibug wurde der Wert des Autos auf ein Tausend Euro festgelegt, wobei der wirkliche Wert mindestens zehntausend wäre. Es tat mir leid, es jemandem nur so zu schenken und außerdem wollte ich der Bank wenigstens etwas zurückzuzahlen. Und so bat ich Wolfgang, dass er an der Versteigerung teilnahm. Und er kam. Er hätte mir seine Hilfe nicht verweigert: Er half mir schon damit, dass ich zu den Kunden mit seinem Auto fahren konnte, da ich das Meine verlor. In dieser Zeit fuhr ich auch wieder viel mit dem Fahrrad – auch zur Arbeit, was mir nichts ausmachte. Wenigstens so hatte ich wieder ein bisschen Zeit für Sport, ohne den ich einst nicht leben konnte. Wolfgang schaffte es, bei der Versteigerung den Preis auf dreitausendfünfzig zu erhöhen. Somit konnte ich zweitausend davon der Bank zurückzahlen und war etwas zufriedener.
Aber weniger zufrieden war meine Frau. Ich war enttäuscht und wollte mich damit nicht abfinden, dass unsere Beziehung viel kälter und angespannter wurde, seitdem ich kein Glück mehr hatte. Mit meinen Schwiegereltern hatte ich auch nicht mehr den besten Kontakt. Ich konnte nicht vergessen, dass sie ihr nach dem Tod unserer Tochter nicht geholfen hatten. Als sie nach langer Zeit wieder zu uns zu Besuch kamen, musste ich mich ziemlich überwinden, mich gegenüber ihnen freundlich zu benehmen. Manuela verhielt sich wiederum kein bisschen freundlich. Mir gegenüber. Sie machte belegte Brötchen und als ich eins nahm, kommentierte sie es mit den Worten, die ich nie vergessen werde: „Schaut mal, er frisst von meinem Teller!“
Hat sie wirklich „frisst“ gesagt?! Es kam mir vor, als hätte ich sie zum ersten Mal in meinem Leben gesehen. „Was soll das heißen?“ fragte ich geschockt.
„Ich zahle doch die Miete für diesen Monat. Das bedeutet, dass alles hier mir gehört,“ erwiderte meine Frau souverän. Ich war mir nicht sicher, ob das ein schlechter Witz sein sollte oder ob sie es ernst meinte.
„Ich habe die Miete während der letzten sieben Jahre gezahlt und das Geld vom Vergleich kommt erst nächste Woche,“ sagte ich leise, immer noch unter Schock.
„Ich hoffe, dass du mir dann die tausend Euro zurückgibst, sonst werde ich noch böser!“ erwiderte Manuela und sah dabei nicht so aus, als ob sie gescherzt hätte. Sie meinte das also wirklich ernst. Sie vergaß schon die ganzen Jahre unseres Zusammenlebens und auch, dass sie bei mir gearbeitet und alles von mir immer automatisch bekommen hatte. Sie war doch meine Frau und ich nahm das als Selbstverständlichkeit! Sie offensichtlich auch. Ich brauchte von ihr nie etwas, außer ihrer Unterstützung und Liebe. Nichts anderes verlangte ich. Und jetzt geriet ich zum ersten Mal in meinem Leben in Not, deshalb musste sie für unsere Wohnung mit ihrem Geld bezahlen. Sie glaubte aber nicht mehr an mich. Es verletzte mich sehr. Dieser Satz begrub eine Hälfte des Gefühls, das ich für sie noch empfand. Und vernichtete unsere Beziehung fast völlig, als sie ihn bei dem Besuch meines Bruders wiederholte.
Ich hatte gehofft, dass sie mich in diesem schwierigen Augenblick unterstützt. Aber nun begriff ich, dass alles anders war. Zum ersten Mal in unserem gemeinsamen Leben schrie ich sie an, dass, wenn sie so etwas noch einmal sagt, packe ich im nächsten Moment meine Koffer und sie sieht mich nie mehr wieder. Ich brauchte keinen Menschen um mich, der mich so verletzte wie sie. Unsere ehemalige Verliebtheit war weg. Die unschuldige Vision, dass ich eine tolle Frau habe, verschwand. Unsere Jugendliebe wurde erwachsen. Vieles wurde nur mit diesem einzigen Satz kaputt gemacht, den sie sogar zweimal hintereinander wiederholte.
Aber wenigstens in meinem Arbeitsleben bekam ich eine zweite Chance. Erneut half mir mein Schutzengel. Das war meine Mama, die sich vom Himmel nicht mehr das ganze Pech anschauen konnte, das an mir klebte. Deshalb schickte sie diese sympathischen Leute zu mir. Sie hatten eine große Immobilienfirma, die sehr gut lief und große Gewinne erwirtschaftete. Vielleicht entschieden sie sich genau deshalb, einen Schritt weiter zu gehen und sich auch etwas anderem zu widmen. Sie suchten mich auf und boten mir an, zusammen eine neue Firma zu gründen– fünfzig zu fünfzig. Das Angebot kam mir gerade recht. Ich wollte die alte Firma loswerden und diese drei Herren boten mir an, 350.000 Euro cash mitzubringen.. Außerdem hätten ich ein Haus, das sie hätten bauen lassen, zum halben Preis bekommen. Für mich bedeutete das einen neuen Angang mit weniger Schulden, und so stimmte ich ohne zu zögern zu und wir gründeten ein neues Unternehmen.
Den Namen wählten wir auch ohne Probleme aus. Ich schlug ihnen zehn Namen vor und ihnen gefiel am meisten SECAR. Ich wunderte mich, da diese Abkürzung auch mir am liebsten war. Sie bedeutete Semlitsch-Carbon und meine neuen Gesellschafter hatten kein Problem damit. Die Firma startete im Oktober 1998. Ich konnte endlich die Bank bezahlen und damit begann für mich ein neues Leben. Ich bekam sogar ein neues Firmenauto – ein BMW Coupee. Das konnten die Leute aus meiner Umgebung nicht verstehen. Alle hatten sich sehr gefreut, als ich meinen Audi A6 verlor und dass ich zu einem kleinen Mann wurde. Und plötzlich fuhr ich einen neuen BMW. Sie platzten fast vor Wut und Neid. Für mich war es wichtig, ein gutes Auto zu haben, vor allem wegen meiner Kunden. Ich wollte einen Schlussstich unter mein ehemaliges Unternehmen ziehen. Alle kehrten mir dort den Rücken zu. Niemand half mir und sogar die versprochene finanzielle Unterstützung, die ich von der Wirtschaftskammer bekommen sollte, sah ich nie.
In der neuen Firma fing alles gut an. Wir hatten Aufträge und ausreichend Geld. Ab dem ersten Tag funktionierten wir. Ich brauchte nur noch eine neue Sekretärin, denn aus meiner alten Firma nahm ich nur die zuverlässigsten Leute mit. Und so kam ein Mädchen zum Vorstellungsgespräch, das mir schon am Telefon sehr tüchtig vorkam. Als es erschien, war ich gerade ganz dreckig, denn ich kam aus der Produktion, in der wir Maschinen transportierten. Und sie war wunderschön. Sie sah so aus, als ob sie direkt von einem Laufsteg gekommen wäre. Ich begann mit ihr zu reden und stellte fest, dass sie wirklich alles wusste, was ich brauchte. Und außerdem sah sie göttlich aus. Ich verstand es nicht, was so eine Frau in einer Firma wie der unseren zu suchen hatte, eine Firma, die neu durchstartete und eine schlimme Zeit mit vielen Problemen hinter sich hatte. Aber das, was sie sagte, überzeugte mich völlig: Sie hätte Riesenfreude daran, bei etwas Neuem dabei sein zu können, und dazu auch positiv beitragen zu können.. Ich wusste sofort, dass sie eine von uns war und so stellte ich sie bald ein. Wir hatten in der Firma keine hohe Anzahl an Mitarbeitern, eigentlich nur acht Personen. Ich kümmerte mich um den technischen Teil, Joseph um den Geschäftlichen und noch sechs weitere Angestellte arbeiteten in der Produktion.
Ich hatte aber nicht erwartet, dass es uns so schnell so gut gehen wird. Ich bekam nämlich eine Einladung, die die Existenz unserer Firma von Grund auf verändern sollte. Es war die Firma Ottobock, einer der weltweit bekanntesten Hersteller von Prothesen, die gerade einen neuen Partner suchte, der fair und zuverlässig war und eine technologische Innovation bieten könnte. Als ich zu dem Treffen fuhr, ahnte ich noch nicht, dass sie eine solche Person auf der ganzen Welt suchten. Ich stellte ihnen mein Konzept vor, welches auf Stelitographie aufbaute. Ich baute Schicht für Schicht einen Prototyp aus Karbon auf, den ich ihnen vorführte. Sie waren begeistert von meiner Idee und schon nach einer Stunde bekamen wir einen riesigen Auftrag über die Herstellung der neuen Prothesen. Ich war glücklich. Nicht nur ich, sondern auch meine neuen Partner. Wir alle feierten unseren neuen großen Kunden. Und ich war stolz auf mich, dass ich einen Weg fand, k aus den roten Zahlen zu kommen.
Weil ich schlau war, verdiente ich dazu auch einen Bonus. Ich fragte schüchtern meine Gesellschafter, ob es möglich wäre, noch ein Firmenauto zu bekommen– für meine Frau, die ohne ein Auto verloren war. Sie hatte mich schon seit Monaten versucht davon zu überzeugen, dass sie eins einfach brauchte. Und so verzichtete ich auf einen Teil meines Lohns, damit meine Frau das Auto haben konnte, das sie wollte. Ich wusste da aber noch nicht, dass es ein so problematischer Prozess sein könnte, der vier ganze Monate dauern wird, bis ich ihr endlich genau das Modell beschaffen konnte, das sie sich vorstellte. Mit einigen schickte sie mich direkt zum Henker, bis ich schließlich nicht mehr mit ihr darüber diskutieren wollte. Vielleicht ärgerte ich sie aber auch damit, dass ich darauf bestand, dass sie das letzte Modell für sich behielt.
Außerdem fragte mich mein herzlicher Kollege, ob ich noch Interesse an dem Haus hätte, das mir einst für günstiges Geld angeboten wurde. Natürlich sehnten sich Manuela und ich nach einem neuen, eigenen Zuhause. Und es gab auch einen sehr einfachen Weg, wie es dazu kommen könnte. Mein Schwiegervater war nämlich Eigentümer von mehreren 20.000 m2 großen Grundstücken, die ihm als Bauer gehörten. Es war wirklich ausreichend Platz, von dem ich versuchte, um tausend Quadratmeter zu bitten, so dass Manuela das Grundstück einbringen und ich den Bau des Hauses zu hundert Prozent finanzieren sollte. Ich hatte es vor Augen. Ich hätte ein Stück Boden am Rande eines Bachs gewählt und in meiner Phantasie sah ich schon, wie sich darüber eine kleine Brücke gewölbt hätte. Es hätte dort viel Grünes, viel Licht und Holz gegeben. Das Bild war wirklich rührend und ich freute mich sehr, als der Architekt mit seiner Arbeit begann. Als schon alles geplant war und die ersten Skizzen fertig waren, kam plötzlich mein Schwiegervater zu mir und sagte:
„Du willst also ein Grundstück von 1000 m2?“
„Ja. Ich möchte dich darum bitten, so könnten wir uns mit Manuela die Kosten hälftig teilen. Sie gibt das Grundstück und ich das Haus.“
„Damit bin ich nicht einverstanden. Sie gibt das Grundstück und ihr gehört auch eine Hälfte des Hauses,“ forderte er.
„Wieso?“
„Das Grundstück gebe ich dir nicht. Ich gebe es nur ihr.“
„Das ist in Ordnung. Das Grundstück gibst du deiner Tochter und ich kümmere mich um das Haus.“
„Nein, nein, nein. Das Grundstück gehört ihr und ihr wird auch die Hälfte des Hauses gehören,“ wiederholte er nur.
„Nein, das ganze Haus werde ich finanzieren.“
„Du glaubst wirklich, dass ich einem Verlieren wie dir mein Grundstück schenke?“ fragte mein lieber Schwiegervater. Der, für den ich einst in meinen jungen Jahren in seiner Pension kostenlos schuftete, ohne etwas dafür zu wollen.. Damals war ich gut genug für ihn und jetzt stellte er sich so gegen mich? Das schmerzte.
„OK,“ sagte ich. „Ich kaufe von dir das Grundstück und die Sache ist damit erledigt.“
„Dir verkaufe ich mein Grundstück nicht,“ stellte er resolut fest und die Diskussion war beendet. Also so ist das. Ich wusste, dass mein Schwiegervater immer das letzte Wort haben musste. Ich hoffte aber immer noch naiv, dass sich Manuela doch auf meine Seite stellt. Es ging ja um unsere gemeinsame Sache, unser Haus, unser Interesse. Sie führte mich stattdessen aus meinem Irrtum: „Und bist du überrascht?“ fragte sie mich. „Du hast eine Dummheit gemacht und kannst immer wieder eine weitere machen. Es ist verständlich, dass er dir nicht mehr glaubt.“
Zwei Monate hatte ich dem Ziel gewidmet, dass wir endlich aus der Wohnung ausziehen und ein gemeinsames Häuschen bauen könnten. Aber für Manuela hatte mein Schwiegervater doch Recht, auch wenn er kein Recht hatte. Für sie war es klar. Ich wusste schon lange, wie es in dieser Familie funktionierte. Immer in den Wintermonaten, wenn die Saison kam, brauchte der alte Herr, dass ihm seine Töchter in der Pension im Skigebiet halfen. Er versprach ihnen dann das Blaue vom Himmel und hätte es ihnen mit eigenen Händen gebracht, nur um sie ruhig zu stellen und sie zur Arbeit zu motivieren. Wenn sie ihre Pflichten erfüllten und dann der Frühling kam, schmolzen alle seine Zusagen wie der Schnee in den Bergen und keine seiner Versprechungen galt mehr. Das hatte sich in den letzten fünf Jahren regelmäßig wiederholt.
Nach diesem Schlag ins Gesicht unterbrach ich den Kontakt zu meinem Schwiegervater für ein halbes Jahr. Manuela wollte aber trotzdem unsere Wohnsituation ändern. Deshalb kam sie eines Tages zu mir damit, dass sie das Problem mit ihrem Vater besprochen und gelöst hätte.
„Mein Vater bot uns nun doch seine Hilfe an. Du weißt, dass meine Eltern eine Scheune am Rande des Grundstücks haben. Er sagt, dass er sie uns schenkt und wir damit machen können, was wir wollen.“ Ich wusste auch, dass mein Schwiegervater eine neue Scheune mit einer Garage für seine Traktoren bauen lassen wollte. Deshalb machte er uns dieses großzügige Angebot. Ich war damit einverstanden. Es war ein ziemlich gutes Grundstück und ich stellte mir gleich vor, wie wir uns dort eine neue Penthouse-Wohnung aufbauen konnten, über den Teichen auf einer Fläche von 150 m2. Mein Architekt zeichnete wieder eine schöne Wohnung und ich sah vor meinen Augen schon das Bild, wie wir über den Teichen auf der Terrasse sitzen, während der langen Sommerabende Wein trinken und die Fische in der Tiefe unter uns beobachten. Das war ein schöner Traum, der aber wieder zusammenstürzen sollte, als Manuela kam: „Wir haben ein Problem, Karl-Heinz. Mein Vater sagt, das die Garage unter der Wohnung ihm gehören wird.“
Das hätte man natürlich erwarten können. Zuerst sagte er, dass das Grundstück uns gehörte und wir damit machen könnten, was wir wollten und dann war alles wieder anders. Er hätte die Garage für seinen Traktor benötigt. Er hielt wieder sein Wort nicht. Als er endlich ja sagte, war es kurz vor Weihnachten. Es überraschte mich, als sie uns schließlich zum Abendessen einluden, um uns die beste und einzige Lösung vorzustellen.
„Ich habe mir das so gedacht, Kinder. Alle werden zufrieden sein,“ erklärte uns mein Schwiegervater. „Du baust die Wohnung und wenn sie fertig ist, werden wir zwei, Mama und ich… dorthin umziehen und ihr bekommt unser Haus. Ich glaube, das ist ein faires Angebot. Nimm es oder lass es.“ Er war zufrieden mit der Genialität seines Planes und sah sich schon in dem neuen Häuschen, das selbstverständlich ich finanzieren werde, während meine Familie in das zur Hälfte verfallene hundertjährige Haus umzieht, dessen Reparaturen selbstverständlich auch ich finanzieren muss. Ich überlegte, ob ich etwas falsch verstanden hatte. Hatte ich aber nicht. Er meinte es wirklich ernst. Ich sah sie an, als ob sie wirklich schon völlig verrückt wären. Und es wurde mir zeitgleich klar, dass das mein letztes Gespräch mit meinem Schwiegervater zum Thema des Wohnens auf seinem Grundstück war.
Manuela, verstand natürlich nicht, wie ich ein so wunderbares Angebot ablehnen konnte und ärgerte sich über mich. Und meine Geduld war langsam am Ende. Ich wusste, dass es sich nie ändern wird. Dass sich diese Familie nur nach ihren eigenen Regeln richtete, nach den Regeln des alten Herrn. Ich hatte zwei Möglichkeiten: entweder richte ich mich auch danach, auch wenn sie verrückt waren, oder ich kann gehen. Ich hatte keine Kraft mehr, zu ihnen zu gehören. Und keine Kraft mehr für unsere Beziehung. Der Sargnagel dafür war etwas, was ich von meiner Frau nie erwartet hätte.
Eines schönen Tages legte sie mir einen Zettel mit einer Liste vor: „Du schuldest mir noch zehntausend Euro. Das sind alle die Kosten, die ich wegen deiner Firma hatte. Ich habe mir jeden Kilometer und jeden Kaffee, den ich für euch gekauft habe, notiert.“
Eine Woche nach dem Vergleich zahlte ich ihr das gewünschte Geld aus. Und gleichzeitig verabschiedete ich mich von ihr für immer. Meine Liebe war für immer weg. Und meine Ehe war am Ende.
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XIII. „Die große Lüge.“ Karl-Heinz Semlitsch
Albert und ich trennten uns für immer. Seitdem er sich nicht für die Probleme mit der leeren Halle interessierte, keinen Kontakt zur Bankhatte und mich mit dem Schlammassel allein ließ, wandte ich mich von ihm ab.
Ich begann, allmählich mehr darüber nachzudenken. Ich hatte nie geglaubt, dass es Diebe waren. Ein Dieb hätte ja nicht die gesamte Halle bis zum letzten Staubkorn ausgeräumt. Ein Dieb hätte Chaos hinterlassen und nur das genommen, was einen Wert gehabt hätte. Aus meiner Halle verschwand aber alles. Und meine Vernunft und Logik sagten mir, dass alles wahrscheinlich strategisch nur ein Stückchen verschoben wurde. Genauer gesagt, von der Halle Nummer Zwei in die Halle Nummer Sieben. Und die zwei Herren, die hinter diesem großen Betrug standen, waren niemand anderer als mein Kollege Albert und mein Kollege Martin, meine ach so treuen Mitarbeiter.
Schlimmer konnte es kaum noch sein. Der Idiot Albert verkaufte mich für dumm, nutzte mich aus, belog und betrog mich. Und sogar als die notwendige Zeit abgelaufen war und der Kerl zwei Jahre später sein neues Business in Südafrika startete, hatte er so viel Frechheit, damit zum Prahlen zu mir zu kommen. Er flunkerte, dass es ihm ausgezeichnet gut ging und er weiter nach vorne kam als ich, denn er hatte schon jetzt Millionen Euro.
Ich sagte ihm: „Du hast also neu durchgestartet. Mit meinen Maschinen.“
Der Fuchs grinste nur: „Das gehört zum Business, Brüderchen.“
Ich hatte Lust, ihm den Hals umzudrehen und all die Lügen und Habgier aus ihm herauszuschütteln. Ich dachte nur: dir wünsche ich auf dieser Welt nichts Gutes mehr. Wenn er sein Business unbedingt so machen muss, dass er bestiehlt, lügt und seine Partner betrügt, um seine eigenen Fehler zu verstecken, so hat er nicht einmal so viel Respekt wie eine lausige Ratte verdient. Er hatte sogar keine Angst davor, seine Schweinerei zu gestehen. Er hatte mir nicht nur alles gestohlen, was ich in den vielen Jahren aufgebaut hatte, sondern auch die produzierten Fahrradlenker, die rätselhafterweise nie nach Österreich kamen, obwohl er mir immer versichert hatte, sie abgeschickt zu haben. Stattdessen verkaufte er sie überall dahin, wo es möglich war. Er war ein Betrüger und ein Dieb und diesen Menschen hatte ich viele Jahre an meiner Seite gehabt und hatte ihm blind vertraut. Während er über mein trauriges Schicksal jammerte und mich bedauerte, rieb er sich insgeheim die Hände und kicherte hinter meinem Rücken.
Zudem hatte er auch eine großherzige Familie. Seine gutherzigen Eltern hatten ihn nach unserem gemeinsamen Projekt mit dreihunderttausend Euro unterstützt, damit er neu durchstarten konnte. Sie waren davon überzeugt, dass der Problematische von uns beiden ich bin. Ich hatte die Fehler gemacht und ihr armer Sohn musste drauf zahlen. Er hatte alles besser gewusst, er hatte nur Pech gehabt, dass er sich mit dem maßlosen und unfähigen Semlitsch zusammengetan hatte.
Wie ich schließlich herausfand, war Albert nicht einmal ein Flugzeugingenieur. Er hatte keinerlei Erfahrungen mit Flugzeugmodellen. Vielleicht hatte er einst als Junge einige aus Holzstielen selbst geklebt. Doch dort endeten dann auch seine Fähigkeiten als Flugzeugingenieur. Im Leben hatte er es nur bis zu einem Maler-Anstreicher gebracht und weil er sich mit dieser Karriere nicht besonders prahlen konnte und auch nicht das Lebensniveau erreichen konnte, nach dem er sich seit einer Ewigkeit sehnte, ernannte er sich selbst zum Flugzeugmodellingenieur. Und ich war nicht der Einzige, den er an der Nase herumführte.
In Südafrika hielt er es zwei Jahre aus, bis er wieder sein ganzes Geld ausgegeben hatte. Ich weise darauf hin, dass er kein einziges Flugzeug zusammengebracht hatte – wie hätte er es auch schaffen können, wenn er davon keinen blassen Schimmer hatte. Sobald er das ganze Geld verschwendete, das er von seinen Eltern als Unterstützung bekommen hatte,, spekulierte er weiter. Er gründete eine neue Firma und dann noch eine Weitere: Zweimal versuchte er es dann in Rumänien und schließlich kehrte er nach Österreich zurück, wo er schon wieder neu anfing. Es schien so, als ob Albert wie ein Kater mit sieben Leben gewesen wäre. Und immer fand er einen Dummen – wie mich – der ihm auf den Leim ging und sein eigenes Kapital in das sinkende Schiff steckte. Ich war eigentlich froh, dass es bei mir in Südafrika geschah. Es war mir klar, dass es mir mit dieser menschlichen Last am Hals nie gelungen wäre, das zu erreichen, was mir gelungen ist. Albert verstand nicht, was es bedeutete, ein Unternehmen zu leiten und zu schuften, um etwas zu verdienen.
Schließlich begriff auch sein Vater, wen er da zu Hause hatte. Er kam zu mir, um sich bei mir zu entschuldigen: „Karl-Heinz,“ sagte er zu mir, „es tut mir leid, dass wir das alles damals so falsch gesehen haben. Wir haben unserem Sohn mehr vertraut als dir. Wir haben ihm alle unsere Ersparnisse gegeben, die wir nur hatten. Wir haben zu spät festgestellt, was tatsächlich wahr war.“
Das tat mir gut. Ich hatte mich das ganze Leben lang bemüht so zu arbeiten, dass niemandem wehgetan wird. Ich suchte immer nach einer Lösung, einem Kompromiss, um auf dieser Welt existieren zu können. Das war solchen Menschen wie Albert völlig egal. Er lebte immer nur vom fremden Geld. Er enttäuschte nicht nur seine Eltern, mich und viele andere, sondern auch seine zwei Frauen, die er auch verlor bis er schließlich sein Leben im Alkohol ertrank. Das Schicksal holte ihn ein. Lieber sollte er zu Hause bleiben als Maler arbeiten und nicht als großer Manager mit hunderten Milliarden spiele, die nur in seinem Kopf existierten.
Obwohl ich meine eigenen Vorstellungen von der Welt hatte, traf ich in meinem Leben ein paar Schurken wie ihn und war jedes Mal danach ernüchtert. Er zog mich auf den absoluten Tiefpunkt. Es gelang mir aber trotz seiner Bosheit, mich wieder aufzurichten. Das nächste Jahr verlief sogar zum ersten Mal in meinem Leben ohne extreme Geschehnisse. Die Monate vergingen seltsam ruhig gekennzeichnet durch viel Mühe aber auch Erfolge. Unsere kleine Firma bekam neue Aufträge. Sie war zwar klein, aber stabil. Ich hatte meine großen Kunden, Kameras, Prothesen und einen Haufen neuer Ideen, die ich allmählich realisieren konnte. Ich erreichte einen regelmäßigen monatlichen Umsatz, mit dem ich zufrieden sein konnte.
Es wäre aber überraschend, beinahe wundervoll, wenn das Leben eines Unternehmers so leicht und reibungslos über eine längere Zeit verlaufen würde. Aufgrund des häufigen Auf und Ab in meinem Leben konnte ich erwarten, dass bald wieder etwas passieren würde. Etwas, was mein Leben komplett durcheinanderbringen würde und von dem ich erst wieder lernen müsste, wieder auf die Beine zu kommen. Meine Partner, mit denen ich SECAR aufgebaut hatte, fuhren wirtschaftlich an die Wand. Ihre erfolgreiche Firma mit ehemals großen Gewinnen zerfiel wie ein Kartenhaus. Sie verloren ein paar Millionen bei dem Bau eines riesigen Wohnungskomplexes, in das sie nicht wenig Geld investiert hatten und von dem sie nicht einmal die Hälfte von den neuen Eigentümern zurückbekamen. In diese Geschichte war sogar ein ehemaliger Minister verwickelt und dieser einzige Auftrag belastete sie so sehr, dass sie die Firma in den Konkurs schicken mussten. Zwei Monate später geschah so etwas Ähnliches auch einer medizinischen Firma, einem meiner großen Kunden. Auch sie meldeten Insolvenz an. Ich konnte ihnen aber nicht helfen, sie waren doch um ein Vielfaches größer als ich. Und was bedeutete das für mich? SECAR funktionierte weiter, aber ich musste alles allein managen. Es konnten keine Meetings mehr stattfinden und ich musste das Unternehmen selbst führen.
Gleich nach dem Konkurs meiner Partner rief mich einer von ihnen an und lud mich nach Deutschland ein. Ich hoffte, dass wir gemeinsam eine Lösung für sie finden könnten. Aber er hatte bereits eine klare Vorstellung davon. Ich sollte ihre Anteile an unserer Firma abkaufen, denn sie brauchten dringend Geld. Oh Gott, wo sollte ich aber die vierhunderttausend Euro hernehmen? Es fiel mir ein, dass ich meine alte Immobilie verkaufen könnte. Allerdings ahnte ich noch nicht, dass das Kapital, das sie in unsere Firma eingelegt hatten, nicht ihr Eigenes war. Sie hatten sich dafür einen Kredit von einer Bank genommen, die sich jetzt bei mir meldete, sie das Geld zurückbezahlt bekommen wollte. Natürlich von mir. Und so einigte ich mich mit meinen ehemaligen Partnern darauf, dass ich der Bank die ganze Summe innerhalb von drei Jahren zurückzahle und dafür zum hundertprozentigen Eigentümer der Firma werde. Schließlich gab es dann doch noch ein Wunder und innerhalb von zwei Monaten gelang es mir, meine Immobilie so strategisch günstig zu verkaufen, dass mir sogar noch hunderttausend Euro übrigblieben und ich alle Schulden loswerden konnte.
Das Einzige, über das ich lange nicht hinwegkam, war, dass unsere Ehe zerbrach. Ich verlor die Liebe zu meiner Frau und es war endgültig. Ich liebte sie fünfzehn Jahre lang, aber dann passierte etwas. Außer unseren Kindern, die uns wie Klebstoff zusammenhielten, war alles andere plötzlich weg. Als ich ihr das mitteilte, war sie überrascht. Zuerst widersprach sie, denn es war für sie trotz allem ein Schock. Schließlich fand sie sich aber damit ab. Was Manuela betraf, so war sie eigentlich völlig unselbstständig. Sie hatte kein eigenes Kapital, sie hatte ihr ganzes Leben lang bei mir in der Firma gearbeitet und meine Firma hatte nun wegen der Schulden auch keinen Wert mehr. Ich wollte aber nicht, dass es ihr an etwas fehlte. Sie war schließlich die Mutter meiner Kinder, und so überließ ich ihr alles, was ich nur hatte. Sogar unsere Wohnung, obwohl ich zu der Zeit noch keinen anderen Ersatz zu wohnen hatte. Und so schlief ich auf der Couch.
Es quälte mich sehr, als mir meine Söhne die Frage stellten: „Papa, warum hast du uns verlassen“? Ich weinte wie ein Kind, denn ich konnte nun nicht mehr so viel Zeit mit ihnen verbringen, wie ich wollte. Ich wusste, dass sie diese Situation erst dann verstehen könnten, wenn sie selbst erwachsen sein werden. Wenn sie groß sind und feststellen, dass eine Beziehung in die Brüche gehen und eine Ehe scheitern kann. Dafür brauchen sie erst die Erfahrung. Es war für sie umso unverständlicher, weil sie nie einen Streit zwischen mir und ihrer Mutter mitbekamen. Streiterei war für mich etwas absolut Unmögliches. Ich vermied jeden Streit so gut es ging, und er war auch nicht der Grund für unsere zerrüttete Beziehung. Es waren die schweren Momente, die uns langsam entzweiten: der Tot von Kristina, der Zwangsvergleich, meine vorläufige Schwäche, als ich feststellte, wie wenig Unterstützung ich von meiner Frau bekommen konnte... Ich konnte mir ausmalen, welche Lügen Manuela unseren Kindern erzählte. Bald fand sie zwar einen neuen Freund, aber sie konnte mir nicht verzeihen, dass ich unsere Scheidung initiiert hatte. Und bei dieser sicherte sie sich gut. Einen Tag vor der Verhandlung kam sie zu mir und fragte:
„Hast du schon jemanden?“
Ich war wie immer ein bisschen naiv, denn ich erkannte nicht die wahre Absicht hinter der Frage. Und so antwortete ich ihr ehrlich. Seit geraumer Zeit geschah in meinem Leben eine unerwartete Änderung. Ich selbst hatte nur wenig Anteil daran, ich ließ mich nur beeinflussen. Meine wunderschöne Sekretärin wurde mir in diesen schweren Augenblicken zu einer bereitwilligen Unterstützung. Sie hörte mir zu und unterstützte mich. Sie reichte mir die helfende Hand, die ich brauchte. Und so begann ich, ihr zu vertrauen. Wir kamen uns näher. So sehr, dass ich meiner Noch-Ehefrau an diesem Abend Wahrheit sagte:
„Ja, in letzter Zeit habe ich eine neue Beziehung begonnen.“ Ich war offen und wirklich naiv. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, dass Manuela diese Information gegen mich verwenden könnte.
„Kenne ich sie?“ bohrte sie weiter nach.
„Ja, du kennst sie.“
„Ist es die aus dem ersten Stock?“
„Ja, kann sein.“, bekannte ich unauffällig.
Dann eröffnete Manuela mir am Morgen vor der Verhandlung: „Ich lasse mich nicht scheiden.“
Und so kostete mich meine Ehrlichkeit bei der Scheidung weitere hunderttausend Euro. Ich hatte nicht geahnt, dass Manuela mit ihren Fragen nur ihr Kapital erhöhen wollte. Aber ich gönnte es ihr. Ich wollte nicht, dass es ihr schlecht gehen und an etwas fehlen wird.
Nach der Scheidung begann ich intensiv, eine neue Bleibe zu suchen. Aber das war nicht einfach. Ich hatte zwar mit Manuela zehn Jahre lang in einer Wohnung gelebt, kannte aber von vorher auch die Bequemlichkeit eines Hauses. Das Einzige, was ich absolut ablehnte, war, eine alte Wohnung zu kaufen. Leider gab es im Angebot solche am häufigsten, in deren Treppenhaus es unglaublich nach Gulasch roch. Kurz gesagt, sehnte ich mich wieder nach mehr Platz und Raum. Nicht nur für mich, sondern auch für meine Söhne, denen ich ausreichend Bewegung ermöglichen wollte. Einen Platz, wo wir unsere gemeinsame Zeit genießen konnten. Es gab nur wenig Angebote und das deprimierte mich sehr.
Aber eines Tages entdeckte ich es plötzlich. Ich ging gerade um eine hundertjährige Villa, als mich etwas traf und ich stehen bleiben musste. Es gab dort einen Baum. Er war vielleicht noch älter als das Haus und so sehr mit weißen Blüten bedeckt, dass er wie ein riesiger Schneeball aussah. Ich stand da wie verzaubert und schaute mir fasziniert die Szenerie an. Eine Villa am Waldrand, mit einem grünen Garten, eine Wiese und ein Bach, und das Ganze nur zehn Minuten Fußweg vom Zentrum entfernt. Ich verliebte mich in sie. Es war eine alte Dame, aber ich wollte sie unbedingt haben. Selbst die in Rosarot und Hellblau gestrichenen Wände im Inneren konnten mich nicht mehr davon abbringen Es war zwar schrecklich kitschig und geschmacklos, gleichzeitig aber rührend stimmungsvoll. Das Haus gefiel mir und eine Woche nach der Scheidung kaufte ich es und machte mich an den Umbau. Es wurde eine große Baustelle. Ich verschätzte mich, denn es dauerte noch weitere zwei Jahre, bis man in der Villa wohnen konnte. Man musste damit rechnen, dass wenn man ein hundertjähriges Haus kauft, wird der Umbau nicht nur ein paar Wochen, sondern eher ein paar Monate bis Jahre dauern.
Aber ich freute mich darüber sehr. Das war mein erstes Privathaus, das ich kaufte. Ich zähle die Gebäude nicht mit, die ich für den Betrieb meiner Firma brauchte. Zum Beispiel auch damals, als mein Geschäft gut lief. Ich hatte Erfolg mit Prothesen und anderen Produkten und ich hatte langsam zu wenig Platz für meine Firma. Ich brauchte eine neue Halle, und so kam es mir recht, als eine österreichisch-amerikanische Firma mit einem Umsatz von sechsundvierzig Millionen Euro in Jahr Bankrott ging. Zu deren Eigentum gehörte ein riesiges Gebäude, das ihr vom Dorf gebaut worden war. Und weil die Halle nun leer blieb, brauchte man einen neuen Mieter. Zu dieser Zeit kam eine der größten Karbongesellschaften der Welt zu mir und sagte: „Karl-Heinz, wir haben einen Kunden aus der Wind-Energie-Branche, der fünfzig- bis hunderttausend Meter Spezialprofile aus Karbon für so genannte Windblätter benötigt. Und du sollst diese für ihn herstellen.“
Das war die Chance, auf die ich gewartet hatte. Das bedeutete, dass ich einen Umsatz von zehn bis fünfzehn Millionen Euro je Geschäftsjahr erwirtschaften konnte. Und so kaufte ich weitere acht Maschinen und weil wir zugleich Produkte für die Sportindustrie herstellten, arbeiteten wir in einem Drei-Schicht-Betrieb, ohne Pause, auch an den Wochenenden. Zugleich baute ich eine neue Halle mit einer Fläche von 400 m2 aus. In Erwartung eines großen Erfolgs übersah ich die ersten Tropfen, die den heraufziehenden Sturm ankündigten. Und dieser sollte mich wie eine Tsunami-Welle überrollen und mich mit sich reißen.
Zu diesem großen Auftrag kam es trotz meiner großen Anfangsinvestitionen schließlich nicht und wir hatten fast keinen Absatz. Es kamen keine neuen Bestellungen und unsere Kunden stornierten auch die schon erteilten Aufträge. Die Wirtschaftskrise kam Hand in Hand mit der Digitalisierung, die uns ebenfalls einen großen Verlust brachte – nach zehn Jahren verlor ich die Zusammenarbeit mit der Firma ARI, meinem größten und längsten Klienten, für den wir Kamerasysteme produzierten. Keiner mehr brauchte die veralteten Kameras mit Videokassetten, alle wechselten zu den neuen digitalisierten Modellen.
Zahlreiche Kunden zogen sich aus Österreich zurück – dem Land mit hohen Preisen. Und die Regierung konnte keineswegs helfen. Sie schaffte es nicht, ein nachhaltiges Konzept zu entwickeln, das die Wirtschaftssituation verbessern sollte. Die Roten – die sozialistische Partei - suchten die Schuld immer nur bei den anderen, beschuldigten die Kapitalisten, die Industriellen, die Reichen der Welt. Sie waren die Armen, aber sie vergeudeten mehr Geld, als sie einnahmen konnten. Sie verurteilten die Unternehmer und die Partei „der Schwarzen“, die diese vertraten. Wenn du in Österreich zu schnell wächst, wirst du vorsichtig angeschaut und hast mehr Feinde, als du dir vorstellen kannst. Wir sind ein sehr schwerfälliges Land, das die innovativen und klugen Menschen kastriert, mit dem Ziel, dass alle gleich sind.
Als ich achtzehn Jahre alt war, hatte Österreich eine Milliarde Schilling Schulden. Das war die größte Schuld in der Geschichte und in den Augen der Menschen war das eine unvorstellbare Katastrophe. In der heutigen Zeit kletterte sie auf bis zu dreihundert Milliarden. Das Land braucht jedes Jahr mehr und mehr Milliarden für die Stabilisierung und versucht immer aggressiver das Geld von den Wohlhabenden herauszuquetschen. Für einen Arbeitgeber wie mich bedeutet das, dass ich vor fünf Jahren, als ich meine Firma gründete, für jeden Angestellten dreitausend Euro Lohnkosten hatte, damit er tausendfünfhundert Euro netto bekam. Heute muss ich dreitausendzweihundertsechzig Euro bezahlen. Je mehr man in diesem Land verdient, desto schlimmer ist es. Und der Staat investiert dabei nicht. Er will die alten Strukturen nicht aufgeben. Er gibt das Geld für Sachen aus, die keiner mehr braucht. Wir haben zum Beispiel die höchsten Renten in der ganzen Europäischen Union. Dadurch erhalten viele Menschen, die das ganze Leben ehrlich gearbeitet haben, auf ihre alten Tage viel weniger Geld als diejenigen, die im Staatsdienst gearbeitet hatten. Diese bekommen nicht nur das Drei- bis Vierfache von dem, was ein gewöhnlicher Mensch erhält, die Angestellten von staatlichen Unternehmen, der Post- oder der Bahn dürfen sogar bereits mit zweiundfünfzig Jahren in die Pension gehen, während die anderen bis sechzig schuften müssen.
Das beste Beispiel dieses widersinnigen Systems, der zum Tode verurteilt ist, ist Wien. 25 Prozent der Einwohner sind arbeitslos und beziehen vom Staat 860 Euro pro Monat. Außerdem hat jeder von ihnen wahrscheinlich noch ein bis zwei schwarze Jobs. Weitere 25 Prozent der Bevölkerung sind Kinder und Studenten, weitere 25 Prozent Rentner, also es bleiben nur noch 25% als Anteil der Arbeitenden an der Bevölkerung. Wie lange kann so ein System funktionieren? Und wie viel muss der Staat hineinpumpen, um ihn zu erhalten? Und das führt nur zu einem – zu einem Austausch der Struktur, denn die Alte hält das nicht mehr aus.
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XIV. „Wenn du in einer Beziehung mit einer Person bist, die dich belügt, betrügt und bestiehlt, siehst du immer nur die Spitze des Eisbergs. Und du, der nichts ahnt, bist immer schuldig. “ Karl-Heinz Semlitsch
Nach meiner Scheidung entwickelte sich meine neue Beziehung vielversprechend. Ich vergaß auch das schmerzvolle Ende mit Manuela und verliebt wie ein Narr stürzte ich mich in das neue Abenteuer. Affären mit vielen Frauen waren nicht mein Stil, ich hatte nicht Viele und wenn ich mich für Eine entschied, war ich ihr treu und mit Körper und Seele ergeben. Aber auch ungeschützt und verletzbar… davon aber später mehr.
Es tat mir nur ein bisschen leid, dass Daniela keinen Zugang zu meinen zwei Jungs finden konnte. Es war mir sehr wichtig, dass sie sich alle mochten. Schließlich verbrachte ich fast jedes Wochenende, auch die Zeit, die für meine Söhne reserviert war, auch mit ihr in meinem alt-neuen Haus. Ich war sehr glücklich mit ihr und genoss die gemeinsamen Momente, obwohl meine Söhne nicht besonders über meine neue Freundin erfreut waren.
Es war vielleicht kurz nach meinem 35. Geburtstag, als ich bemerkte, dass etwas mit meinem Konto nicht stimmte. Ich hatte ein immer intensiver werdendes Gefühl, dass etwas Ungutes geschah, dass mehr Geld von meinem Konto verschwand, als ich selbst abhob. Weil mir etwas daran seltsam vorkam, begann ich sorgfältig die Daten und Zeiten meiner Abhebungen aufzuschreiben und verglich dann meine Notizen mit den Bankkontoauszügen. Und plötzlich stand etwas dort! Schwarz auf weiß. Zweimal pro Woche hob jemand (und zwar nicht ich) vierhundert Euro ab, und zwar regelmäßig.
Die Bankkarte hatte ich in meinem Büro in meiner Geldbörse, und so schlussfolgerte ich, dass mir die Karte nur eine Person aus dem Büro genommen haben konnte. Damit engte sich der Kreis der Verdächtigen auf vier Leute ein, die als Einzige Zutritt zu meinem Arbeitstisch hatten. Es gab nur vier Frauen: meine Buchhalterin, zwei Sekretärinnen und… meine Freundin.
Ich richtete es mir so ein, dass ich im Internet regelmäßig die Bewegungen auf meinem Konto kontrollieren konnte. Und so passierte es, dass eines Tages, als ich gerade zum Mittagessen war und mein Portemonnaie im Tisch liegen lassen hatte, nutzte jemand diesen Augenblick aus und machte sich zusammen mit meiner Kreditkarte auf den Weg zum Banktautomaten.
Es fiel mir nur eine Möglichkeit ein, wie ich die Wahrheit herausfinden konnte. Ich hatte eine ziemlich gute Beziehung zu der Bankdirektorin, somit rief ich sie an.
„Karin, ich habe ein Problem.“ sagte ich meiner alten Bekannten.
„Was für ein Problem?“
„Jemand hat heute um 12.30 meine Bankkarte benutzt.“
„Du hast Glück, Karl-Heinz. Wir haben ein Vierundzwanzig-Stunden-Kontrollsystem, nach dieser Zeit werden die Aufnahmen gelöscht.“
„OK. Und was machen wir also?“
„Leider kann ich dir keine Auskunft geben.“
„Das verstehe ich, aber was soll ich tun?“
„Du musst zur Polizei gehen.“
„Aber das will ich nicht.“, wandte ich ein. „Ich will die Polizei da nicht hineinziehen. Ich möchte nur wissen, wer es ist.“
„Gut,“ antwortete sie. „Ich werde nachsehen. Aber ich kann dir keinen Namen sagen.“
Also ging ich zu ihr. Sie setzte sich zu mir mit einem Lachen: „Hmmm.“ Sie sagte nichts mehr. Es war mir klar, dass ich nicht nach dem Namen fragen konnte.
„Kurze Haare?“ tippte ich.
„Ja.“
„Dunkel.“
„Ja.“
„Rote Bluse.“
„Ja.“
„Blaue Jeans.“
„Ja.“
Ich wusste, um wen es sich handelte. Es war sie. Sie hob viermal im letzten Monat Geld von meinem Konto mit meiner Karte ab. Ich wollte es nicht glauben. Es war viel Geld. Aber das war nicht wirklich wichtig. Ich wollte nicht warten, bis wir uns am Abend treffen. Ich musste sie anrufen. Sie war gerade zu Hause bei mir.
„Was ist los?“ fragte sie.
„Ich war gerade in der Bank in Höningsberg.“
Stille.
„Man hat dort Kameras.“
Ich konnte ihre Anspannung auf der anderen Seite fast hören.
„Um 12:29 hob jemand Geld vom Automaten mit meiner Karte ab. Weißt du, was daran das Verrückte ist?“
„Ja?“ atmete sie vorsichtig aus.
„Das warst du.“
Ich wusste nicht einmal, wie ich das sagte und was sie erwiderte. Vielleicht etwas darüber, dass es ihr sehr Leid täte. Und dass sie sofort aus meinem Haus wegginge. Und dass sie wüsste, dass ich ihr jetzt kündigen möge. Es war das Ende. Die Bombe war geplatzt. Meine Freundin hatte mich betrogen. Eine der Grundregeln meines Lebens war: du sollst nicht betrügen. Und eine andere: du sollst nicht stehlen. Ich war geschockt, verärgert und aggressiv und ich wollte nur noch allein sein. Dann begann ich mich zu fragen: was habe ich ihr getan? Was habe ich falsch gemacht?
Als ich am Abend nach Hause kam, fand ich auf dem Tisch einen riesigen Blumenstrauß. Im ersten Moment wollte ich ihn wegwerfen, aber dann fiel mir ein, dass die Blumen ja nichts dafür konnten. Außerdem hatte sie mir einen Brief geschrieben, in dem sie mir erklärte, warum sie es getan hatte. Der Grund war, dass sie zu arm war und ich zu reich. Das verstand ich nicht. Was bedeutete „zu reich“? Nach meiner Meinung ist ein reicher Mensch der, der im Leben nichts mehr machen musst, er muss nicht zur Arbeit gehen, denn er hat von allem bereits genügend. Und das war bei mir nicht der Fall. Sie liebte mich angeblich und sie würde mir alles zurückgeben. Es war mir klar, dass das das Ende war. Nicht nur unserer Beziehung. Sie kündigte.
Eine Woche später schickte sie mir eine Nachricht, dass es ihr alles Leid täte. Und nach drei Wochen trafen wir uns wieder. Sie redete ständig, sie war eine Meistererzählerin. Shakespeare hätte es nicht besser machen können. Damals ahnte ich noch nicht, dass das eine ihrer Begabungen war. Sie suggerierte mir sogar das Gefühl, dass ich der schlechte Mensch war und nicht sie Schließlich hatte ich so viel Geld und nicht sie. Ich machte mir deswegen eine Weile Vorwürfe. Und ich machte einen der größten Fehler meines Lebens: ich ließ mich überreden, zu ihr zurückzukehren. Ich weiß nicht, warum. Ich wollte doch keine Lügnerin und Diebin an meiner Seite haben. Sie war aber eine Meisterin der Worte. Nach einer Woche waren wir also wieder zusammen und setzten unsere Beziehung fort. Sie kam sogar zurück in die Firma. Ich bewunderte ihre Courage und ihre Fähigkeit, sich dafür zu entschuldigen, dass sie mich verletzt hatte. Vor allen Kollegen stand sie zu ihrer Schuld.
Aber ich fühlte mich nicht hundertprozentig wohl. Ich hatte das Bedürfnis, mich bei meiner Mutter aussprechen zu können. Und so ging ich zu ihr auf den Friedhof. Ich spürte, dass sie zu mir sprach. Sie wollte nicht zusehen, wie ich in mein Verderben stürzte. „Mama, ich weiß nicht, warum ich das jetzt tue. Ich bin wieder mit Dany zusammen, aber ich werde sie nie heiraten. Warum war ich einverstanden? Liebe sieht doch anders aus.“ Ich weiß, ich brach auch noch eine weitere Regel, die ich mir gestellt hatte. Nachdem meine Mutter an Lungenkrebs gestorben war, weil sie zu viel geraucht hatte, nahm ich mir vor, nie mit einer Frau zusammen zu sein, die raucht. Aber Daniela rauchte. Mindestens eine Schachtel täglich. Vielleicht bin ich ein zu naiver Mensch für diese Welt. Einer, der immer den Leuten glaubt, dass sie sich bessern werden.
Ich war an ein solches Verhalten nicht gewöhnt. Bei uns zu Hause lag das Geld immer offen auf dem Tisch und niemand hätte sich auch nur zwanzig Schilling genommen, ohne zu fragen. Aber vielleicht muss man tolerant sein. Oder aber die Welt ist anders. Du bist ein kleiner Unternehmer aber die anderen sind noch kleiner und deshalb musst du an dem Verteilungsprozess teilnehmen. Ein kleiner Mensch kann nichts dafür.
Auch in meiner Firma sah man mir an, dass ich mich quälte und man redete mir zu: „Chef, jetzt hören Sie damit auf!“
„Womit?” wunderte ich mich.
„Sehen Sie, Sie sind ständig gekränkt! Sie sind doch der interessanteste Junggeselle der gesamten Region! Es gibt viele Frauen, die sich um Sie reißen würden!“
Ich war ihnen dankbar für ihre Unterstützung, aber ich kam mir nicht so interessant vor. Alle wussten, dass ich erfolgreich war, aber sie kannten mich nicht persönlich. Sie ahnten nicht, wer Karl-Heinz Semlitsch wirklich ist wie er ist. Ich war bekannt in der Öffentlichkeit, dabei fühlte ich mich allein. Und ich hatte sogar Angst, dass mich keine Frau mehr haben will. Ich war fast sechsunddreißig, fühlte mich aber zehn Jahre jünger. Gleichzeitig hatte ich Angst, dass wieder etwas kaputtgeht und dass ich keine gute Frau mehr finde. Ich musste vom Leben eine weitere Ohrfeige bekommen, um mich belehren zu lassen. Alle warnten mich, aber ich war noch nicht völlig am Boden zerstört, deshalb hörte ich ihnen nicht zu.
In meinem Arbeitsleben feierte ich Erfolge. Ich konnte mich über einige Preise freuen und es gelang mir zudem noch etwas Großes: eine Zusammenarbeit mit einem riesigen ausländischen Konzern mit einigen tausenden Mitarbeitern aufzubauen. Ich, ein Junge vom Lande, schaffte das – das war einfach fantastisch. Dadurch konnte ich mich endlich wieder selbst ernähren und innerhalb von zwei bis drei Jahren aus den roten Zahlen kommen. Trotzdem konnte ich diese positiven Emotionen nicht genießen. Denn im privaten war ich nicht nur bei null angelangt, sondern unter dem Gefrierpunkt.
Mit Daniela war nichts einfach. Sie erinnerte mich ständig daran, dass ich, obwohl ich einige Preise gewann, als Mensch und Chef nichts war. Sie fand immer einen Grund für einen Streit. Ich hasste es, zu streiten, und verstand nicht, wie sie es ihr immer schaffte, mich in Auseinandersetzungen mit ihr zu verwickeln. Sie war eine Meisterin darin, ebenso wie im Heucheln, im Beschönigen, im Löschen von Nachrichten, die nicht gesehen werden sollen, und im Hervorrufen ständiger Konflikte mit Kollegen und der ganzen Firma. Ich glaube, dass an ihrer psychischen Unbehaglichkeit auch der Tot ihrer Eltern einen Anteil hatte. Beide waren im Abstand von einem Jahr nacheinander gestorben. Auch deshalb war sie unerträglich und aggressiv und in der Firma nannte man sie nur noch „Die Hexe“. Einige Mädchen aus ihrer Abteilung beschwerten sich sogar bei mir und sagten, dass sie bald massenweise kündigen müssen, denn sie hielten es nicht mehr länger mit ihr aus. Es quälte mich und schmerzte, aber ich wusste mir mit dem Problem namens „Dany“ nicht zu helfen. Außerdem arbeitete sie nicht mehr viel, sie ging nur für ein paar Stunden zur Firma, um auf andere Gedanken zu kommen. Ich konnte nichts dafür, dass es ihr in der kurzen Zeit immer gelang, das Wasser aufzuwirbeln und zu trüben. Aus ihrer Sicht waren dafür selbstverständlich alle anderen verantwortlich, insbesondere ich an erster Stelle.
Ich erinnerte mich nicht mehr daran, wann wir zum letzten Mal friedlich miteinander gesprochen hatten, wann wir ein paar ruhige, wenn auch nicht gerade tröstliche Wörter gewechselt hatten. Eigentlich hatte ich schon bei unseren Telefongesprächen einen zusammengeschnürten Magen. Aber ich fühlte mich so verantwortlich. Ich versprach ihrem Vater vor seinem Tod, dass ich mich um sie kümmern würde. Ich konnte nicht ahnen, wie teuer ich für das Versprechen bezahlen sollte. Und auch als ich begriffen hatte, dass ich eigentlich schon seit drei Jahren absolut unglücklich in meinem Privatleben war, schaffte ich es nicht, daran etwas zu ändern. Ich erfüllte vorbildlich meine Pflichten. Ich half ihr mit allen Mitteln. Man konnte sagen, dass es ihr bei mir an nichts fehlen konnte. Eine ihrer Freundinnen, eine Slowakin namens Ivet, beschrieb es mit treffenden Worten: „Chef, du bist ein guter Sponsor. Du spendest Auto, Strom, Wasser, alles funktioniert dank dir. Jedem würde es bei Karl-Heinz gut gehen, er ist kurz gesagt ein Super-Sponsor!“
Ich lachte bei dem Vergleich mit einer schwachen Hoffnung, dass ich vielleicht Daniela doch ein bisschen mehr bedeutete. Sie sagte das sicher nur deshalb, weil sie gerade etwas zusammen tranken und schon leicht angetrunken waren. Man quatscht dabei alles Mögliche… Einigen Wochen später sollte ich vom Leben eine weitere Ohrfeige bekommen.
XV. „Wenn du eine gute Idee hast, hüte sie gut, denn jeder will sie dir stehlen und als seine Eigene darstellen.“ Karl-Heinz Semlitsch
Ich arbeitete ein paar Jahre fleißig und seitdem ich in meinem Kopf die Fähigkeiten entdeckte, neue Ideen und innovative Lösungen zu suchen und zu finden, war ich von meiner Arbeit noch begeisterter. Nicht nur das, ich erlebte auch, wie meine Erfindungen erste Früchte trugen. Zu Beispiel kam 2009, nachdem wir zusammen mit Porsche den zweiten Platz und einen internationalen Preis gewonnen hatten, ein finnischer Konzern zu mir und wollte mich kaufen. Ich ahnte noch nicht, dass nach anderen internationalen Preisen – zum Beispiel dem ersten Platz sechs Monat später, dem österreichischen Wirtschaftspreis, dem dritten Platz in Paris auf einer Messe oder dem ersten Platz beim internationale Preis von Airbus –mich die Kaufangebote für meine Firma überschütten sollten.
Nach den Erfolgen begann ich respektiert zu werden und alle wollten einfach günstig zu meinem Know-how und meinen Informationen kommen. Eine Weile neigte ich sogar dazu, meine Firma für die 15 Millionen Euro zu verkaufen, die mir eine riesige Automobilfirma aus Graz mit 120.000 Angestellten anbot. Aber eigentlich war ich froh darüber, dass dieses Geschäft schließlich doch nicht stattfand. Obwohl ich Investoren brauchte, um neue Ideen entwickeln und schließlich mein eigenes Produkt produzieren zu können, verkaufte ich SECAR nicht. Ich fand eine andere Lösung - eine Hälfte der Firma verkaufte ich dem großen Chemiekonzern AVONIC.
Ich liebte, es Profile herzustellen. Ich arbeitete mit Namen wie Daimler, Audi, Mercedes Benz zusammen. Bei Mercedes sagte man mir einmal: „In drei Jahren weltweiter Komponentenentwicklung ist nur ein einziges Produkt in Serie gegangen – das von Ihnen.“ Ich war gehörig stolz auf mich selbst, als eins meiner Produkte sogar in einem Museum ausgestellt wurde.
Einmal luden mich die Bürgermeister der umliegenden Gemeinden für eine große Beratung darüber ein, wie man unserer Region helfen könnte, bzw. welche neuen Impulse ihr gegeben werden könnten. Es saßen dort mehrere Leute zusammen und ich hörte mir die Vorschläge der Anderen an. Alle betrafen die Umwelt, wie man sie schützen und Energie aus alternativen Quellen gewinnen könnte. Ich überlegte. Die anderen kamen mit keinem revolutionären Gedanken, es waren meistens nur verschiedene Variationen der üblichen Solarpanels, mit denen sie ganze Felder und grüne Flächen überdecken wollten. Mir gefiel es aber nicht. Meine Überlegungen gingen in andere Richtung. Mich überkam wieder ein Anfall von Inspiration und schon bald kam ich darauf. Ich wurde erleuchtet und vor meinen Augen sah ich plötzlich etwas Neues.
In meinem Kopf hatte es noch keinen richtigen Namen, nur einen Allgemeinen - Car-Port. Solar-Car-Port, also eine kleine leichte Garage aus Karbon für ein Elektromobil. Es war mir klar, dass elektrische Fahrzeuge bald die häufigste Form der mobilen Fortbewegung sein werden, denn das Umweltbewusstsein der Welt wird immer größer. Und meine Idee korrespondierte mit dieser Entwicklung. Ich wusste noch nicht ganz, wie es aussehen wird, aber der Gedanke war schon geboren und begann in meinem Kopf zu sprießen.
In der Zeit kehrte ich wieder zum Radfahren zurück und ich fuhr mit meinem Fahrrad leidenschaftlich gern über die asphaltierten Straßen bis in die Berge. Mein Haus war von Bergen und Wäldern umgeben und für mich war es die absolute Entspannung und zugleich die höchste Befriedigung, diese durch Auspowern an den weidenden Kühen vorbei, bis zu meinem Lieblingsgasthof auf der Bergspitze zu erklimmen. Dort hielt ich immer an und aß einen ausgezeichneten hausgemachten Kuchen oder einen Strudel, der dem meiner Mama ähnlich war. Oder ich legte mich ins Gras auf der Wiese und entspannte mich. Auch an diesem Tag lag ich dort und ruhte mich aus, als ich mein Fahrrad betrachtete und plötzlich eine Idee hatte. Ich hatte mir immer noch nicht überlegt, wie mein E-Port aussehen wird. Ich betrachtete genau die Räder meines Fahrrads und die Speichen, die von der Mitte des Rads bis zum Rand liefen und auf einmal kam ich drauf. Genau das ist es! Der E-Port wird wie ein Abschnitt eines Radkreises aussehen, mit Speichen an den Seiten und Solarplatten auf dem bogenartigen Dach. Und unter den Bogen wird ein Auto einfahren, um dort aufgeladen zu werden. Es war faszinierend. Ich setzte mich schnell auf das Fahrrad und beeilte mich, meine Idee aufzuzeichnen. Unterwegs dachte ich weiter darüber nach, bis die Idee in meinen Gedanken ausgereift war. Ich wusste sogar auch schon, welche Technologie ich benutzen sollte. Nach weiteren vier Monaten war dann die Konzeption fertig.
Ja, das ist es! Ich war von dem Schaffungsprozess von etwas Neuem begeistert. Bis ich mir ausrechnete, dass, wenn das Dach aus Karbon sein sollte, wäre der Preis des E-Car-Ports circa 50000 Euro. Ich war mir dessen bewusst, dass meine Erfindung für so einen Preis praktisch nicht zu verkaufen wäre. Deshalb dachte ich über andere mögliche Varianten nach. Schließlich fiel mir ein, dass ich anstatt Karbon auch Glasfasern verwenden könnte. Aber immer noch war das Ergebnis nicht problemfrei - diesmal war das Problem die Größe der Konstruktion. Ich musste mir etwas ausdenken, um den E-Port beweglich und preiswert zu machen. Gleichzeitig musste ich einen Investor finden, der mit mir zusammen in die Idee investieren würde.
Ich setzte mir einen Floh in den Kopf und bereits ein Jahr später waren wir mit der neuen Konzeption fertig. Nachrichten über meine Erfindung wurden schnell verbreitet, bis sie schließlich bis nach Deutschland kamen, wo mich ein Minister treffen wollte, der von meiner Idee fasziniert war. Ich machte mich also auf den Weg und war davon überzeugt, dass es sich um einen Provinzpolitiker handeln musste. Ich kippte fast um, als ich feststellte, wer mich eigentlich treffen wollte. Es war der Bundesminister für Verkehr! Ich führte ihm mein Modell vor. Wir aßen zusammen eine bayrische Wurst und verstanden uns wunderbar. So sehr, dass er mir sagte: „Wenn Sie irgendeine Hilfe brauchten, Herr Semlitsch, wenden Sie sich an mich. Ich mag innovative und progressive Menschen, wie Sie es sind.“ Ich war geehrt. Der große Verkehrsminister Deutschlands bietet mir seine Hilfe an. Bald fiel mir ein, dass es eine Möglichkeit für seine Hilfe gäbe.
Auf der Messe in Paris hatten wir wieder in diesem Jahr unseren Platz und wollten dort auch unseren neuen E-Port ausstellen. Ich hatte aber niemanden, der mir zu diesem Zwecke ein Elektromobil zur Verfügung gestellt hätte, um es gemeinsam mit dem Port ausstellen zu können. Nach einigen Tagen geschah ein Wunder. Ich bekam einen Anruf von BMW: „Wir rufen Sie auf Wunsch des Ministers an. Sie verfügen angeblich über kein Elektromobil für ihre Ausstellung. Am Montag um 16:00 wird eins bei Ihnen im Stand stehen. Ist das OK für Sie?“
Ich dachte, sie machten Scherze. Aber es war doch kein Witz. Sie brachten mir wirklich genau um diese Zeit einen Wagen zur Messe, und zwar nicht nur irgendeinen. Er hatte die Nummer 0001. was bedeutete, dass es das erste Elektromobil von BMW war, das ich gerade zur Prüfung bekam. Es war ein wahnsinniges Gefühl und ich konnte meine Begeisterung nicht in Worte fassen. Die Leute strömten an uns vorbei und Tausende machten Fotos bei unserem E-Port. Schade, dass ich immer noch keinen Investor hatte. Eigentlich war ich bei dieser Sache auch ein bisschen unglücklich, denn es ging nicht alles so, wie ich es mir erhofft hatte. Meine Zusammenarbeit mit Mercedes lief sehr gut und so hatte ich keine Zeit, mich diesem Projekt zu widmen, obwohl mir viel daran lag. Ich hatte immer noch keine passende Lösung und ich musste es verschieben.
Es dauerte eigentlich Jahre, bis ich ein neues Konzept entwickelte. Statt Karbon und Glasfasern entschied ich mich auf dem Dach Aluminium zu verwenden. Den neuen Prototyp bauten wir in eine Woche lang und es war schon Anfang 2015, als die ersten Aluminiumprofile kamen. Außerdem brauchte ich noch Hunderte Tausend Euro für die Fertigstellung. Und so suchte ich wieder Investoren, die mein Projekt unterstützen würden. Aber weil es allen nur darum ging, von mir meine Firma zusammen mit meinem Know-How zu kaufen, was ich absolut ablehnte, musste ich das Projekt wieder unterbrechen.
Und dann, Mitte 2016, passierte ein kleines Wunder. Eines Tages rief mich mein Freund Azmir von Mercedes an und sagte mir, dass mich sein neuer Projektmanager kennen lernen wollte. Mit Mercedes hatten wir eine wunderbare Zusammenarbeit und bauten bei ihnen einen guten Namen auf. Und so traf ich ihn. Es war ein Kerl mit einer sehr sympathischen Ausstrahlung und wir verstanden uns auf Anhieb. Ich bereitete eine Präsentation für ihn vor und er wählte unter unseren Produkten auch meinen E-Port. Ich erwartete nicht, dass gerade meine Herzangelegenheit auch ihm am Herzen liegen würde. Aber meine Idee gefiel ihm sehr und er interessierte sich sofort für den Preis.
„25000 Euro der Single und der Twin für zwei Autos kostet 40000 Euro,“ sagte ich.
„Herr Semlitsch, es gefällt mir. Bitte, notieren Sie sich, dass wir von Ihnen von jedem ein Stück kaufen. Ich weiß noch nicht, was ich damit machen werde, aber ich will es unbedingt haben,“ teilte er entschieden mit und ich wusste, dass er nicht scherzt.
So gelang es uns, das erste Geschäft mit E-Ports abzuschließen. Dabei ging es nicht um irgendeinen beliebigen Kunden. Die Leute von Mercedes kauften sie von uns und sie entschieden sich, sie vor das Benz-Forschungszentrum aufzustellen, an der Stelle, wo alle bedeutenden Persönlichkeiten vorbeigehen würden, die Vorstände, Direktoren, Vertreter der großen Konzerne… also alle bedeutenden und reichen Personen mussten an meiner Erfindung vorbeigehen, auch wenn sie nur in die Kantine gingen. Meine Begeisterung kannte keine Grenzen.
Außerdem hatte ich noch eine andere Vision. Wir sollten einen E-Port an einem Tag herstellen, was nicht einfach war, da wir es bisher schafften, ausschließlich einen pro Woche zu fertigzustellen. Dazu mussten wir noch erforschen, wie wir die Energie, die wir von den Solarpanelen gewinnen, speichern können. Wir entwickelten also gemeinsam mit Azmir neue Solarmodule und arbeiteten an weiteren Verbesserungen – wir integrierten das Aufladungskabel in den Port und bearbeiteten auch andere wichtige Details. Ich stellte es mir so vor, dass der Kunde sein bestelltes E-Port vor dem Haus stehen hat, noch bevor er von der Arbeit nach Hause kommt. Es wäre wunderbar. Außer der Zusammenarbeit mit Mercedes gelang noch eine große Sache. Mein Freund Richard kam zu mir und sagte, dass er ein Gespräch mit dem Direktor einer Firma hatte, die fünfhundert Flugzeuge pro Jahr für die ganze Welt herstellte. Dieser Herr hatte angeblich meinen E-Port gesehen und wollte sich mit mir treffen. Ich war zufrieden mit der Richtung, in die sich alles entwickelte. Wir trafen uns also und mein E-Port gefiel dem Direktor so sehr, dass er sofort zu überlegen begann, wie wir gemeinsam etwas schaffen konnten. Sein Unternehmen hatte nämlich Solarmodule, die genau auf unseren E-Port passen würden. Außerdem bestellte er zwei E-Ports, die er zusammen mit den Solarmodulen in einem Golfklub aufzustellen plante. In dem teuersten Klub in ganz Österreich, wo sich die Elite beim Golf traf.
Letztendlich schien das Projekt in die richtige Richtung zu laufen. Zufrieden damit plante ich, mich mit einer neuen Vision auseinander zu setzen. Ich hatte vor, ein Solarwindkraftwerk zu bauen, das gleichzeitig als Energiequelle für die gesamte Stadtbeleuchtung dienen sollte. Zurzeit arbeite ich immer noch daran und bin dabei, einen Prototyp zu konstruieren.
Außerdem begann ich voller Begeisterung noch ein anderes Werk. Eine Gruppe Studenten kam zu mir, die sich bei einem -Marathon um einen Preis bewarben. Sie benötigten Hilfe um ihrem Wagen weiter voranzubringen. Sie fragten mich, ob ich eine Idee hätte. Und ich hatte eine. Innerhalb von zwei Wochen erdachte ich ein ultra-leichtes Raketenfahrzeug mit einem Gewicht von 28 kg und konstruierte es. Sie wurden dank dessen zum zweifachen Weltmeister. Und mit einer Geschwindigkeit von 832 km erreichten sie auch den Weltrekord und übertrumpften so die Franzosen, die bis dahin am besten waren, bis SECAR kam. Ich konnte wirklich zufrieden sein, da ich in jeder Hinsicht Erfolg hatte.
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XVI. „Meine Familie war schon immer ein wenig speziell. Aber ich habe immer alle meine Geschwister geliebt, obwohl sie mich oft verletzt haben. Am meisten hat mit die Vorstellung Schmerzen bereitet, dass ich alle drei verlieren könnte.“ Karl-Heinz Semlitsch
Im Jahr 2003 geschah etwas sehr Trauriges. Mein älterer Bruder Roman starb. Sein ganzes Leben lang hatte er Schwierigkeiten. Deshalb konnte man schon immer erwarten, dass das alles auch schlecht endet. Dass es eine Frage der Zeit ist, bis er ertrinkt. Er fuhr mit einem Motorrad, natürlich so schnell es nur ging. Es passierte direkt im Dorf, vor den Augen der entsetzten Menschen, die später über den Unfall berichteten. Er fuhr in eine Kurve und weil er zu schnell war, stürzte er. Das geschah genau an einer Stelle, wo ein Metallträger stand. Er prallte mit so einer großen Wucht darauf, dass das Motorrad direkt auf ihn zurückschnellte. Er war sofort tot. Die Nachbarn, die Augenzeugen, liefen zu ihm und versuchten, das Motorrad zu heben, aber es war zu spät. Man konnte nichts mehr für ihn tun.
Es überraschte mich nicht. Die Beziehung zu meinem Bruder war seit Ewigkeiten ein Kampf zwischen Liebe und Hass. Ich fühlte mich verantwortlich für sein Leben. Ich half ihm jedes Mal, wenn er kein Geld mehr hatte. Ich finanzierte seine Wohnung und zweimal pro Jahr schickte ich ihm Geld: Ich wollte immer sicher sein, dass er ein Dach über dem Kopf hatte. Er trank zu viel, verlor dann die Kontrolle über sich selbst und randalierte. Er kannte keine Grenzen und machte Fehler.
Vielleicht auch deshalb trauerte ich bei dem Begräbnis nicht. Ich sah dort das Grab meiner Mutter, das meiner Tochter und jetzt auch das meines Bruders. Aber ich war nicht traurig. Wir alle wussten, dass es einmal passiert. Er hatte schon so viele Male in seinem Leben Glück. Er wurde mehrmals im Bergwerk verschüttet, vom Auto überfahren, abgesehen von seinen ständigen Streitereien und Prügeleien. Ich stand an seinem Grab und nahm es so, wie es war. Als hätte ich geglaubt, dass er endlich Ruhe gefunden hätte. Dass es ihm dort, wo er jetzt gewesen wäre, gut gehen sollte.
Ich vergaß nie einen Vorfall, die mit ihm zusammenhing. Es war ungefähr zwei Jahre nach seinem Tod, als mich mein guter Freund Peter einlud, auf einem Schiff Urlaub zu verbringen. Wir segelten im Sommer fünf Tage lang an der kroatischen Küste. Das war eine fantastische Entspannung. Sonne, Meer, keine Handys und keine Computer. Man konnte die ganze Welt vergessen und sich nur auf die Erholung in dieser Zauberbucht konzentrieren. Ich liebte das Freiheitsgefühl, wenn man vom Schiff ins Meer springt, bis zum Grund untertaucht und für einen Moment zum Teil der Natur wird. Man hört nichts und fühlt sich trotzdem nicht fremd. Der erstaunliche Augenblick, wenn man die Wasseroberfläche durchdringt und der Körper wie ein Fisch zwischen die Wellen gleiten lässt. Danach gönnt man sich viel gutes Essen und Trinken, unvergessliche Abende mit Freunden auf dem Schiff.
An dem Abend tranken wir ziemlich viel. Ich glaube, ich schaffte es, bereits eine ganze Flasche auszutrinken, als ich mich entschied, mit dem Boot zum Strand zu fahren. Es war dunkel, so konnte ich mich also nicht mehr gut orientierten und übersah eine Lücke im Deck. Ich trat direkt rein und stürzte drei Meter tief. Ich war wie ein Tischtennisball. Ich schlug zuerst mit der Brust an, dann mit dem Bauch und dann mit dem Rücken. Schließlich landete ich auf dem harten Boden. Ich war davon überzeugt, dass ich mir alles im Körper gebrochen haben sollte. Ich blieb liegen und wusste nicht, woher der schreckliche Schmerz kam. Eigentlich tat mir mein ganzer Körper weh, aber ich war froh. Denn das bedeutete, dass ich immer noch lebte. Meine Freunde waren ziemlich erschrocken und riefen mir hinterher, ob ich in Ordnung wäre. Ich fühlte mich nicht so, aber weil ich mich bewegen konnte, war vielleicht doch nichts gebrochen. Wir waren erleichtert, denn das nächste Krankenhaus wäre drei Stunden Seefahrt entfernt gewesen. Meine drei Freunde zogen mich aus dem Unterdeck heraus. Vor Freude, dass ich nicht komplett zerschunden war, trank ich noch eine Flasche Rotwein.
Gegen zwei Uhr morgens gingen wir schlafen. Ich überlegte, wie unvorhersehbar das Leben sein könnte. In einem Moment bist du noch da und im Nächsten bleiben von dir nur noch Erinnerungen und ein Grab auf dem Friedhof übrig. Ich war nicht betrunken, ich erinnere mich bis heute ganz deutlich an alles. Das Leben besteht wirklich aus unerwarteten Ereignissen. Sobald ich mich hingelegt und mich auf meinem Bett ausgestreckt hatte, sah ich auf der anderen Seite der Kajüte Nebel. Etwas bewegte sich dort. Ich versuchte den Blick zu schärfen und nach einer Weile konnte ich erkennen, was es war. Aus dem Nebel in der Ecke trat plötzlich eine Silhouette heraus. Ich setzte mich und sah meinen Bruder. Er schaute in meine Augen und lächelte mich an. In den wenigen Sekunden spürte ich, dass er glücklich war. Es war kein Traum. Ich weiß genau, dass ich saß und ihn anschaute. Und ich verstand ihn. Er wollte mir sagen, dass es ihm dort, wo er jetzt war, gut ging. Das erkannte ich an seinem Gesicht. Dann verschwand er.
Am nächsten Tag war mein Rücken blau wie ein Teppich - nicht von einzelnen Flecken überbesät, sondern ein einziger riesiger blauer Fleck. Ich sah grausam aus und brauchte noch einige Wochen zur Regeneration. Aber ich war gelassen, denn ich wusste, dass mein Bruder endlich glücklich war.
Mit meinem jüngeren Bruder Wolfgang war es schon immer ein wenig anders. Er war zwei Jahre jünger als ich und schon seit seiner Geburt trichterte ihm mein Vater die Überzeugung ein, dass er viel klüger, schöner, besser und geschickter wäre. Dass er einfach in Allem viel überragender wäre und zwar nicht nur als wir, seine Geschwister, sondern im Allgemeinen als das ganze männliche Geschlecht. Die Manipulation seines Bewusstseins gelang unserem Vater. Aus meinem Bruder wurde ein maximal mit sich selbst zufriedenes Individuum, mit einem tief verwurzelten Bewusstsein für seine eigene Einzigartigkeit und mit der Überzeugung, dass er ein Superstar wäre.
Dadurch dass er von unserem Vater ständig bevorzugt wurde, war Wolfgang selbstverständlich schon seit dem Kindergarten zu Lebenserfolgen vorbestimmt. Zum Beispiel überragte er mich schon mit vier Jahren mit seinen Kenntnissen, obwohl ich bereits sechs Jahre alt war. Der Grund dafür war, dass man sich besonders viel mit ihm beschäftigte, weil er der Jüngste war. Deshalb fiel es ihm auch in der Schule leicht. Er fühlte sich immer wie ein König. Aber genau das hielt ihn leider immer auf. Weil wenn er doch so klug war, weshalb sollte er weiter an sich arbeiten, um noch besser zu werden, wenn er doch schon ganz oben war?
Deshalb lernte er nur Schlosser, obwohl seine große Leidenschaft Autos waren. Ich weiß nicht, warum er schließlich nicht Automechaniker wurde. Er legte sich so gern unter die Karossen, setzte Bestandteile zusammen und reparierte alte unreparierbare Maschinen. Trotzdem blieb er bei Vogel&Noot, von wo ich bereits mit meinen zwanzig Jahren wegging. Aber es war bequem, wozu sollte er sich also etwas Anderes ausdenken? Er fand eine Freundin, eine ziemlich hübsche Michaela – er hatte immer eine unerklärbare Begabung dafür, schöne Frauen zu erobern. Das kam vielleicht von seinem himmelhohen Selbstbewusstsein. Er zog von zu Hause aus, als er fünfundzwanzig war. Später heiratete er Michaela. Wieso denn auch nicht, sie kümmerte sich um ihn wie um einen König – sie kochte für ihn, machte die ganze Wäsche und kochte Leckereien und machte auch alles, was sie nur in seinen Augen sah. Und er gab ihr dafür zwei Kinder – Melanie und Dominik.
Mein kleiner Bruder zog aber dank seines persönlichen Scharms nicht nur Frauen an (sein Aussehen: kurze Beine, ein immer runder Kugelbauch und ein Temperament, den seine schnellen Bewegungen verrieten, …), sondern er zog sich auch eine schlimme Plage zu – eine Allergie auf die Emulsion, die man in die CNC-Maschine gab. Diese Plage fraß eine Hälfte seines Fußes auf. Damit er den Kampf gegen diese böse Krankheit gewinnen konnte, musste er oft Ärzte besuchen, was einen enormen Einfluss auf sein Leben hatte.. Eines Tages setzte er sich nämlich in den Kopf, dass ihn die Arbeit als Schlossers nicht mehr erfüllte und entschied sich für eine berufliche Neuorientierung. Er begann einen Pflegekurs zu besuchen – ich glaube, dass er es nicht aus Liebe zur Medizin tat, sondern hauptsächlich aus Liebe zu den Frauen, die dort in der Überzahl waren. Ganz anders als bei Vogel&Noot, wo solche Möglichkeiten begrenzt waren und er bestimmt schon alle Frauen hatte, die noch nicht fünfzig oder total hässlich waren. Im Krankenhaus gab es viel mehr Frauen, und deshalb lohnte sich die Kündigung bei Vogel&Noot sicherlich.
Bestimmt hat dazu auch die Tatsache beigetragen, dass er als Pfleger ziemlich gut verdienen konnte. Mit Sicherheit mehr als in der Fabrik, und so war es in jeder Hinsicht ein vernünftiger Zug. Wenn es nur nicht diese widerliche genetische Veranlagung gäbe! Meine beiden Brüder waren der Beweis dafür, dass Alkoholismus wirklich genetisch veranlagt war. Und nach den Problemen mit Alkohol, die mein älterer Bruder hatte, erreichte diese dreckige Abhängigkeit auch meinen Jüngeren. Er hatte alles, was er sich nur wünschen konnte. Er hatte sogar unser Elternhaus von unserem Vater überschrieben bekommen und wohnte dort immer noch mit seiner schönen und fürsorglichen Frau. Seine Aussichten auf eine neue Arbeit waren nach der Absolvierung der Schulung auch nicht schlecht. Trotzdem schlug er den falschen Weg ein. Das Haus war zu groß für ihn und finanziell zu anspruchsvoll. Wolfgang konnte es selbst nicht unterhalten und so unterstützte ich ihn. Schließlich nahm ich ihn entgegen meiner Vorsätze zu mir in die Firma.
Hier hörte seine bis dahin so gefeierte Genialität allmählich auf, sich zu äußern. Und er zeigte auch keine Dankbarkeit, die ich sowieso nicht erwartete. Jedenfalls wäre ich aber so froh darüber gewesen, wenn er das Trinken etwas reduziert hätte. Er kam manchmal auch nicht zur Arbeit. Er war zu „beschäftigt“ mit seinen fünf oder sechs Bieren pro Tag, gelegentlich kam noch etwas Anderes dazu.
Es war zu erwarten, dass es Michaela mit ihrem ewig betrunkenen Mann nicht mehr lange aushält. Dazu kamen seine vielen Abenteuer mit zufälligen Bekanntschaften, denn mit dem Trinken kam auch seine unerklärliche Fähigkeit, jede Frau zu bekommen, die er nur wollte. Es dauerte nicht lange und nach der Scheidung fand mein Bruder eine neue Freundin. Allerdings freute er sich nicht lange an ihr, denn er sagte mir eines Tages nachdenklich:
„Karl-Heinz, ich habe ein komisches Gefühl. Immer, wenn ich nach der Arbeit nach Hause komme und ins Schlafzimmer gehe, um mich zu entspannen, kommt es mir vor, als ob das Bett noch warm wäre.“
Leider täuschte ihn sein Gefühl nicht. Nach einigen Monaten erfuhr er, dass seine Freundin, während er in der Arbeit war, ihr Haushaltsbudget auf eine Weise nachbesserte, mit der einige Frauen schnelles und sicheres Geld machen konnten.
Nach dieser Erkenntnis ging es mit ihm bergab. Er begann wieder viel zu trinken und ich war seine einzige Unterstützung. Es war für mich ein grausames Gefühl, denn gegen den Alkohol hatte ich keine Chance. Ich fühlte mich völlig machtlos, weil obwohl ich mich sehr bemühte, schaffte ich es nicht, ihm zu helfen. Mehrmals hielten ihn sogar Polizisten betrunken am Steuer an und er hatte so viele Strafen zu zahlen, dass es für ihn kaum zu schaffen war. Sein Führerschein wurde ihm für eineinhalb Jahre weggenommen und damit er ihn wieder zurückbekommen konnte, musste er spezielle Tests beim Arzt bestehen.
Das ganze Dorf wusste schon, dass ein weiterer Semlitsch trank und das war nicht einfach. Trotzdem gelang es meinem Bruder, Mädchen zu bezirzen. Nach der Scheidung hatte er mindestens dreißig Frauen. Er war wie ein Casanova, obwohl das auf den ersten Blick niemand gesagt hätte. Wenn er nüchtern war, verhielt er sich lieb. Aber sobald er trank, verwandelte sich sein ganzer Anstand, der uns in unserer Kindheit vor allem von unserer Mama anerzogen wurde, in Aggressivität und ich sah in seinen Augen die Augen unseres Vaters. Er wurde dann zu einem Tier. Diese abgewandte Seite von ihm kannten seine Opfer offenbar nicht, denn sie stürzten sich immer wieder in seine Arme. Am schlimmsten war es, dass er dieses Talent auch in der Firma anwendete. Das gefiel mir nicht, obwohl ich sicher war, dass er einen großen Teil seines Charmes von seinem Familienname schöpfte, der der gleiche war wie meiner – dem Chef. Er selbst arbeitete nur im Lager bei der Warenannahme.
Einmal gelang es ihm sogar auf diese Weise ein gutes Stück aufzugabeln – die Direktorin des Interspars, und es war kein leichtes Opfer. Sie leistete ihm bereitwillig in der Nacht Gesellschaft, überzeugt, eine gute Partie zu bekommen. Sie hielt ihn irrtümlicherweise für mich – denn ich war damals schon ziemlich bekannt.
Als er aber schon die fünfte Frau in meiner Firma betörte, konnte ich nicht mehr schweigen:
„Wolfgang,“ sagte ich zu ihm, „die Firma ist kein Teich, aus dem du jederzeit einen Fisch angeln kannst. Ich habe die Frauen hier, damit sie arbeiten und nicht dafür, dass sie immer dann kündigen, wenn sie begreifen, dass du sie nur flachlegen wolltest. Hände weg von den Frauen in meiner Firma!“
Ich war streng zu ihm. Er versprach mir, dass er sie nicht mehr anfassen und sich nur auf seine Arbeit konzentrieren würde. Aber die Spannung zwischen uns wuchs. Ich konnte dem Idioten nicht mehr zuschauen, wie er in sein Verderben stürzte und einmal so wie Roman sterben wird. Er blieb immer häufiger der Arbeit fern, manchmal auch zwei oder dreimal die Woche, bis ich meine Geduld verlor. Ich unternahm noch einen hoffnungslosen Versuch. Ich schrieb ihm einen Brief. Ich hoffte, dass er, wenn er es Schwarz auf Weiß sehen würde, was ich ihm in den letzten Monaten und Jahren vergeblich versucht hatte einzupauken, würdevielleicht wieder zu sich kommen. Ich schrieb ihm, wie sehr es mir auf ihn ankam, dass wir nur noch zu zweit waren und wir zusammen halten müssten. Dass ich schreckliche Angst um ihn hatte, dass es ihm genauso schlecht wie Roman ergehen könnte, dass ich es nicht aushalten würde, wenn ihm auch etwas zustoßen würde und dass ich das alles nicht mehr hilflos mit anschauen konnte. Schließlich drohte ich ihm: entweder würde er drastisch sein Leben innerhalb der nächsten paar Tage ändern, oder er müsste die Firma verlassen. Ich liebte ihn und wollte ihm helfen.
Ich weiß nicht, welche meiner Worte zu ihm durchgedrungen sind. Aber etwas musste es doch geschafft haben, denn er ging schließlich zum Arzt und entschied sich, mit dem Alkohol Schluss zu machen. Ich war erleichtert. Wenigstens für eine Weile. Er war mir sehr wichtig, er war doch mein kleiner Bruder.
Jedoch hielt das Vorhaben, was der Frauen in der Firma betraf, nicht lange. Eines Tages kam er betrübt zu mir: „Brüderchen, ich habe ein Problem.“
„Welches?“ erschrak ich.
„Ich habe mich verliebt.“
„Schon wieder?“ lachte ich. „Aber es ist doch kein so großes Problem, oder? Die Frauen liegen dir zu Füßen.“
„Ja... aber... ich habe es dir versprochen...“
„Sag nur nicht, dass es jemand aus der Firma ist.“
Er nickte beschämt. „Aber diesmal… ist es ernst. Wirklich. Es geht mir nicht nur darum, sie ins Bett zu bekommen...“
„Wer ist das?“ fragte ich resigniert.
„Bara,“ gestand mir Wolfgang. Beim Anblick auf sein rotes Gesicht begriff ich, dass er keine Scherze machte. Sie war Türkin, ein hübsches und anständiges Mädchen.
„Also gut,“ sagte ich ihm darauf. „Aber versprich mir, dass sie die letzte in meiner Firma ist.“
„Ich verspreche es,“ antwortete er mir zerstreut wie ein Schüler an der Tafel. Er tat mir leid und ich wünschte ihm sehr, dass es diesmal mit dem Glückklappte. Es würde ihm auch im Kampf gegen den Alkohol sicher helfen. „Ich versuche glücklich zu sein.“
Und er bemühte sich wirklich darum. Während er mit ihr zusammen war, trank er nicht viel. Schließlich dauerte die Beziehung mit Bara schon eineinhalb Jahre und es schien, dass sie auf einem guten Weg waren.
Aber es gab doch ein Problem. Wolfgang konnte kein Wort Türkisch und das störte ihn sehr. Bara machte sich darum keinen Kopf und benutzte ohne Rücksicht bei der Kommunikation mit ihrer Familie ihre Muttersprache, auch wenn er dabei war, obwohl sie perfekt Deutsch sprach. Und mein Bruder hatte dabei kein gutes Gefühl. Besonders dann, als sie mit der Idee kam, dass sie gerne ihre Schwester einziehen lassen möchte. Er ahnte, dass ihre Schwester sie drängte, und obwohl er kein Wort verstand, dachte er, dass sie keinen guten Einfluss auf Bara hatte. Und ihr Einfluss äußerte sich später voll – Bara wollte, dass nicht nur ihre Schwester zu uns einzieht, sondern auch die ganze restliche Familie: ihr Bruder und ihre Mutter. Und Wolfgangs Befürchtungen waren wirklich begründet, dass wenn es so weiter ginge, hätte sich unser Elternhaus in eine Unterkunft für türkische Einwanderer verwandelt.
Er erschrak und kam voller Skrupel damit zu mir:
„Karl-Heinz, ich will nicht, dass alle zu uns einziehen. Aber anderseits befürchte ich, dass mich Bara deswegen verlässt.“
„Ich wäre damit nie einverstanden.“
„Aber sie... sprechen beim Frühstück eine Stunde lang nur auf Türkisch und ich komme mir irgendwie debil vor, denn ich verstehe nichts,“ beschwerte er sich über den Besuch von Baras Schwester, die schon seit ein paar Tagen bei ihnen wohnte.
Und so entschied ich mich dazu, dass ich zusammen mit Tatiana versuche, ihr ins Gewissen zu reden. Mein Bruder lud uns zu einem Abendessen ein und während des ganzen Abends beobachteten wir den stillen Kampf zwischen ihm und seiner Freundin, der ab und zu auch wörtlich ausgetragen wurde. Und so machten wir unauffällig mit und schnitten auch das Sprachthema an.
„Verzeihe, Bara, meine Muttersprache ist auch nicht Deutsch, aber wenn wir zu Besuch bei meiner Familie sind, sprechen wir Deutsch. Oder ich übersetze für Karl-Heinz, damit er sich nicht schlecht fühlt und am Gespräch teilnehmen kann,“ redete ihr Tatiana ins Gewissen.
„Na und? Das interessiert mich nicht!“ maulte Bara. „Ich bin eine Türkin!“ widersprach sie.
„Aber du lebst schon seit zehn Jahren in Österreich und hast vor, dein Leben weiter hier zu führen,“ sagte ich schon ein wenig gereizt.
„In der Türkei ist alles besser und schöner als in Österreich.“ erwiderte sie verärgert.
„Aha, warum gehst du dann nicht zurück, wenn es dort so schön ist?“ fragte ich.
„Ich denke darüber nach,“ gestand sie.
Nach diesem Gespräch war mir klar, dass es mit Wolfgang und ihr auf keinem guten Weg war und ihre Beziehung wahrscheinlich kein gutes Ende haben wird. Ich hatte Angst, was das für meinen Bruder bedeuten konnte. Ich hatte Angst, dass er wieder zu seinen alten Unsitten zurückkehrt und diesmal nicht so leicht herauskommt. Es dauerte nicht lange und es zeigte sich, dass ich das richtig geahnt hatte
An dem Abend ging ich gerade zu meinem Elternhaus, ich wollte mit Wolfgang etwas besprechen, als ich schon von der Straße ein schreckliches Geschrei hörte. Ich verstand zwar nicht, worüber sie stritten, aber als ich näherkam, traf mich ein wahrer Maschinengewehrschauer. Zuerst landete ein Kleidungsstück auf meinem Kopf, weitere folgten und landeten zu meinen Füßen. Ich hatte Angst, mich zu bewegen. Zum Glück stand ich da wie angewurzelt, denn wenn ich noch einen Schritt gemacht hätte, hätte mich die Pfanne getroffen, die gerade dicht an meinem Kopf vorbeiflog und mit Krach zu Boden fiel, wobei die Reste eines Gerichts herausschwappten. Bara kochte offenbar gerade Spaghetti zum Abendessen. Der Angriff setzte fort und nach einer Weile wälzte sich schon ein großer Teil der Garderobe meines Bruders auf dem Hof herum.
Ich kam mir vor wie in einer schlechten italienischen Komödie und weil ich nicht wusste, wie ich vernünftig in den Streit eingreifen konnte, bückte ich mich lediglich und sammelte langsam die herumliegenden Sachen ein. Ich ahnte schon, dass ich hier nicht viel helfen konnte. Schließlich stürmte auch Wolfgang aus dem Haus. Als er mich sah, blieb er für einen Augenblick überrascht stehen, zuckte dann nur mit den Schultern, murmelte etwas in seinen Bart und ging auf die Straße.
Wie ich später erfuhr, betrank er sich in dieser Nacht maßlos und weil Bara inzwischen auch von Zuhause auszog, machte sie damit den Platz frei für ein weiteres „Opfer“ für Wolfgang. Und nicht nur Irgendeines. Diesmal war es ein Schäfchen des hiesigen Pfarrbezirks. An diesem Abend fand gerade eine Pilgerfahrt in die nahe gelegene Kirche statt, in der die Jungfrau Maria erschienen war. Der Umzug der Gläubigen, der sich gerade zur Kirche bewegte, wollte sich gerade in unserer Kneipe erfrischen. Eine von Ihnen trank ein bisschen mehr und weil sie meinen unwiderstehlichen Bruder traf, verschob sie ihre Gebete auf den Morgen.
Zu Mittag des darauf folgenden Tages kam Bara aber zurück nach Hause und stürzte sich wütend auf meinen Bruder, denn sie wusste schon alles über seinen christlichen Nachtbesuch. Sie kannte ihren Freund sehr gut und so war es ihr klar, dass sie die ganze Nacht nicht nur das Vaterunser gebetet hatten.
„Sei mir nicht böse, Bara, ich habe dich doch nicht betrogen,“ versuchte sie mein Bruder vollkommen ruhig zu überzeugen.
„Wieso denn nicht?!“ schnaubte sie vor Zorn.
„Wir waren doch getrennt,“ erklärte Wolfgang ohne irgendwelche Gewissensbisse. Und Bara ließ sich von diesem Supermann wieder überzeugen. Aber nicht mehr für lange. Sie kehrte zu ihm lediglich für einen Monat zurück und ein weiteres halbes Jahr später kündigte sie in der Firma, denn angeblich wollte sie sich weiter entwickeln. Und auch mein Bruder beruhigte sich schließlich. Bald erholte er sich so sehr von der Beziehung, dass er wieder fähig war, eine neue Freundin zu finden. Und diesmal endlich kein Mädchen aus meiner Firma. Sie war seine Jugendliebe, mit der er die fehlende Harmonie und Ruhe fand. Und sie leben bis heute zusammen.
An meine Schwester Irmgard erinnere ich mich nicht sehr viel. Sie war die Älteste von uns und sie ist mit achtzehn von zu Hause ausgezogen. Sie wollte mit ihrem Freund zusammen leben und mit ihrem Auszug brach sie den Kontakt zu uns fast völlig ab. Sie war nicht für uns da, als wir sie brauchten. Sogar nach dem Tod unserer Mama halfen uns unsere Nachbarn mehr als sie. Sie war immer hart und dickköpfig. Sie hatte ihren eigenen Kopf, aber obwohl ich sie nicht verstand, hatte ich sie gern.
Sie arbeitete in einer Fabrik und hatte schon ihre eigene Familie. Aber erst als ich erwachsen war, begannen wir uns häufiger zu besuchen. Sie hasste unseren Vater. Sie gab ihm die Schuld für Mamas Tod und wollte nicht begreifen, dass Mama krank war. Und unser Vater keine Schuld an ihrem Tod trug.. Weil ihre Sturheit keine Grenze kannte, ließ sie es sich natürlich nicht erklären und verkündete, dass unser Vater für sie tot sei.
Genauso wie die Beziehung zu unserem Vater so scheiterte an ihrer Dickköpfigkeit auch ihre Ehe. Ihr Ex-Mann war kein böser Mensch, aber wenn er nicht genau den Weg gehen wollte, den sie bestimmte, explodierte Irmgard und kommandierte sie alle herum. Von dem Verlust ihres Ehemannes erholte sie sich ziemlich schnell – sie fand einen neuen Typen mit langen Haaren, denn so Einen wollte sie schon immer. Ich weiß nicht, ob die langen Haare ihre einzige Bedingung war, ausgenommen natürlich der, dass er jedem ihrer Worte gehorchen und sich ihrem Diktat beugen muss.
Eines Tages kam meine Schwester verheult zu mir und sagte, dass man die Fabrik, in der sie arbeitete, schließen und nach Ungarn umsiedeln will. Ich versuchte ihr die Situation zu erklären und sie zu trösten, aber statt Dankbarkeit schrie sie mich an und warf mir vor, so etwas mit meiner kleinen Firma gar nicht verstehen zu können! Ich, der dumme Bruder, weiß ja gar nichts über die Welt!
Als man die Firma wirklich schloss und alle sechzig Angestellten entließ, war das ein schlimmer Schlag für Irmgard. Sie war auf ihr bisheriges Leben gewohnt und wurde dadurch so sehr aus der Bahn geworfen, dass sie mit ihrem Leben nichts Vernünftiges anstellen konnte. Sie lebte ohne Ziel und ohne Sinn einfach vor sich hin. Seitdem hielt sie sich zehn Jahre lang mit verschiedenen kurzfristigen Jobs über Wasser, machte aber eigentlich nie mehr etwas Ordentliches. Ich unterstützte sie, natürlich, wo ich konnte; bezahlte ihre Lebenskosten und immer, wenn sie sich an mich wandte, half ich ihr, so gut ich konnte. Ich gab ihr sogar eine Stelle in meiner Firma und bezahlte sie, obwohl sie meistens nicht zur Arbeit kam.
Ich kannte ihren Lebenstraum – endlich in Rente gehen und nichts mehr tun, nur noch vom Staat das verdiente Geld bekommen. Sie hatte doch in ihrem Leben schon genug gearbeitet. Bei dieser Sache konnte ich ihr nicht helfen und das war ihrer Ansicht nach natürlich mein Fehler. Denn sie revanchierte sich bei mir dafür so, dass sie mir von der Taufe ihres Enkelkinds erst eine Woche danach erzählte. Mir und auch Wolfgang, teilte sie nur mit, wie wunderschön es war und wie sehr sie sich darüber freute. Es schmerzte mich sehr, dass ich mich nicht mit ihr freuen konnte und dass sie uns so völlig zur Seite schob. Sie war wichtig für mich und ich sorgte immer gern für sie. Ich unterstütze sie zehn Jahre lang, wo es nur ging. Und sie bedankte sich dafür mit Ignoranz.
Als sie Geburtstag hatte, wollte ich sie anrufen, um ihr zu gratulieren. Aber sie ging nicht ans Telefon. Ich versuchte es danach noch drei Wochen lang, sie anzurufen, bis sie endlich dranging.
„Hallo, Irmgard“ begrüßte ich sie voller Freude.
„Was willst du?!“ fuhr sie mich an.
„Eigentlich... wollte ich dir nur alles Gute zum Geburtstag wünschen.“
„Steck dir deinen Glückwunsch in den Popo!“ sagte sie in Etwa sinngemäß. (in Wirklichkeit war eher: Leck mich am Arsch!)
„Wie... wie bitte?“ Ich war entsetzt. Vielleicht hatte ich sie nur schlecht verstanden.
„Ich gehe jetzt zu einer Psychologin in die Therapie.“
„Ja?“
„Ja. Und wir haben endlich herausgefunden, warum ich so unglücklich bin.“
„Das ist gut.“
„Und weißt du warum?! Es ist wegen euch! Ihr, die ganze Familie habt Schuld an meinen Problemen! Ihr seid schuld daran, dass ich unglücklich bin!“
„Irmgard, ich weiß wirklich nicht, was du meinst, aber ich habe dich immer geliebt, habe dir immer beigestanden und dir geholfen...“
„Du? Du hast mir geholfen? Wann?!“ Je länger unser Gespräch dauerte, desto schmerzlicher wurde es für mich und ich musste mich sehr beherrschen, um ruhig zu bleiben. „Ich will von euch nichts mehr hören!“ brüllte sie. „Ihr seid schuld daran, dass es mir nicht gut geht! Dass mein Leben nicht funktioniert!“ schrie sie und ich bemühte mich, sie zu verstehen. Ich bemühte mich wirklich sehr, aber es gelang mir nicht. „Und damit du das endlich begreifst: euer Vater ist nicht MEIN Vater! Und ich will nicht, dass du mich anrufst! Lass mich in Ruhe, geh deinen Weg! Geht weg von mir!“
Ich atmete tief aus und überlegte kurz wie im Schock. „Irmgard, bist du dir bewusst, was du da gerade gesagt hast? Du sagst, dass du keinen Kontakt mehr zu uns haben willst. Ist das richtig?“
„Ja. Genau.“
„Ich versteh das nicht. Ich bin mir keiner Schuld bewusst. Ich begreife es nicht...“
„Ohne euch wird es mir viel besser gehen.“
Ich war fertig, erledigt. Liebe und Hass mischten sich in mir auf einmal, aber ich beherrschte mich.
„Gut. Wenn das dein Wunsch ist, soll es so geschehen. Ich wünsche dir also alles Gute. Bleib schön gesund und versuche einen Weg für dich zu finden, der genau der Richtige für dich ist, damit du zufrieden wirst.“
Je mehr ich sprach, desto klarer wurde mir, dass in diesem Moment meine Schwester für mich gestorben war. Ich verlor also auch sie. Wir verabschiedeten uns endgültig. Und ich verstand absolut nicht warum. Ich legte auf und überlegte ab diesem Augenblick viele Stunden, vielleicht auch Tage, was ich falsch gemacht hatte. Was meine Schuld war. Und dann erkannte ich es: ich bin ein Unternehmer und habe meine Ziele erreicht. Sie nicht.
In Wirklichkeit irrte sie sich. Ihr einziger Lebenswunsch war es, nicht zu arbeiten, zu Hause zu sitzen, sich auszuruhen und dafür vom Staat eine gute Rentenzahlung zu beziehen. Und das sollte sich doch erfüllen. Sie sollte ihr Ziel erreichen. Und dann kam auch die Antwort auf die weitere Frage: Warum wies sie uns zurück? Sie brauchte uns nicht mehr.
Und so blieb mir nichts anderes übrig. Obwohl es mich verletzte, musste ich ihre Entscheidung akzeptieren. Ich weiß nur nicht, was ich machen werde, wenn sie mich eines Tages anrufen und meine Hilfe brauchen wird. Ich weiß wirklich nicht, was ich dann machen werde.
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XVII. „Fifty Shades of Grey war ein Kindergarten gegenüber dem, was ich in ihrem Handy sah. Aber nicht nur einer war schuld daran. Wo die Wiese ist, muss auch die Erde sein.“ Karl-Heinz Semlitsch
An diesem Abend wollte ich mit Daniela sprechen. Es war nach einem schweren Anruf, während dessen sie sich dreizehn Minuten von fünfzehn nur beschwerte, wie alles zu nichts war und wie blöd und widerlich alle in der Firma waren und ihr nur Böses trieben. Es war mir klar, dass sie nicht in Ordnung war und trotzdem ich den Abend und die Nacht mit meinen Söhnen verbrachte, entschied ich mich, nach dem Abendessen für eine Stunde lieber persönlich zu ihr zu kommen und mit ihr zu reden.
Als ich zu ihrem Haus kam, war ihr Auto nicht dort und es leuchtete kein Licht. Es fiel mir ein, dass sie vielleicht nur Zigaretten kaufen wollte und sicher gleich zurückkam. Sie sagte doch, dass sie heute früh ins Bett gehen musste, sie war mit ihren Nerven am Ende. Weil sie aber nicht zurückkam, verdross mich, auf sie zu warten und ich ging zurück zu meinen Söhnen, ich war ja nur fünfzehn Minuten von ihnen entfernt. Ich konnte aber nicht anders und um Mitternacht fuhr ich wieder zu ihr. Ihr Wagen war immer noch nicht da und so wiederholte ich, der Irrsinnige, meinen Ausflug noch zweimal bis morgen. Ich brauchte vielleicht meine Verdächtigung zu bestätigen. Natürlich, sie war dort nicht einmal um 4:30, als ich sie zum vierten Mal suchte. Ich war schon müde wie ein Pferd, und so legte ich mich gegen Morgen hin und schlief bis acht Uhr wie ein Murmeltier. Ich frühstückte zusammen mit meinen Söhnen und dann entschied ich mich, zur Firma zu gehen. Es fiel mir unterwegs ein, bei ihr doch noch einmal vorbeizukommen. Ihr Auto stand draußen vor dem Haus. Ich öffnete die Tür und ging auf den ersten Stock.
Daniela hörte mich vielleicht, denn sobald unter meinen Füßen das Parkett knarrte, sprang sie erschrocken aus dem Schlafzimmer aus und schrie mich wie einen Diener an:
„Was machst du denn da?! Man kann sich kein einziges Mal ruhig ausschlafen?!“
„Entschuldige, wenn ich zu früh komme. Aber es ist 9:30, ich dachte also, dass wir kurz reden könnten,“ erwiderte ich ruhig.
„Worüber willst du reden?“ Ihr offensiver Ton hörte nicht auf, obwohl ich nicht bewusst war, ob nur ich die Ursache war, oder die unpassende Zeit meines Besuchs, oder ihre Ahnung, dass ich ihr unbequeme Fragen stellen wollte. Oder war der Grund, dass sie schon auf den ersten Blick die Nacht durchwachte und wenn sie überhaupt schlief, dann noch weniger als ich? Sie sah nämlich wie jemand aus, der die ganze Nacht entweder trank – sie war nüchtern, also das war nicht der Fall - oder Sex machte. Das war schon wahrscheinlicher.
Im Schlafmantel setzte sie sich auf ihren Lieblingsplatz im Wohnzimmer, wo sie gewöhnlich rauchte.
„Hast du gut geschlafen?“ setzte ich die angenehme Vormittagskonversation fort.
„Ja. Gestern war ich so müde, dass ich schon um zehn im Bett war.“ Ihre Augen waren ein bisschen zu rot und angeschwollen für einen Menschen, der elfeinhalb Stunden schlief. „Weißt du, was komisch ist?“ Mein Ton war kein Bisschen offensiv, nicht einmal feindlich.
„Was?!“ Sie genügte sich selbst mit dem Angriff.
„Ich war hier um halb zehn und dein Auto war nicht da.“ Sie verstummte für einen Augenblick, dann atmete sie erleichtert aus, als sie den richtigen Grund erfand.
„Aha, ich sage dir doch. Ich wollte noch Zigaretten und hatte keine und deshalb bin ich ins Geschäft gegangen.“
„Ja, das ist logisch,“ sage ich langsam. „Aber weißt du, was seltsam ist? Ich war hier auch um zwölf und dein Auto war immer noch nicht da.“ Kurze Pause, ihre Augen wurden größer. „Und dann war ich hier um zwei und rate was. Dein Auto hat immer noch nicht auf seinem Platz gestanden. Und ich war noch um vier Uhr da.“ Ich wartete und beobachtete sie, wie sie die Zigarette zog und ihre Hand zitterte unauffällig. „Kannst du mir, bitte, erklären, warum du diese Nacht nicht zu Hause verbracht hast?“
Sie rauchte die Zigarette zu Ende und sprang aus ihrem Platz wie eine wütende Katze. „Worum geht es dir?!“
„Ich will nur wissen, warum du mich anlügst,“ antwortete ich mit göttergleicher Ruhe. „Was verstehst du nicht? Das kann ich dir nicht erklären!“ rief sie verzweifelt aus und ihre Hände zitterten jetzt noch mehr.
„Kannst du mir, bitte, sagen, ob du mit jemandem eine Affäre hast? Hast du bei einem Mann geschlafen?“ Ich gab meiner Verdächtigung eine Wortform. Das war eigentlich eine vergebliche Frage.
„Nein!“ Gleich wie ihre Antwort.
Ich atmete aus.
„Kannst du mir dein Handy geben?“
Sobald ich es in die Hand nahm und anschaltete, um mich drin ein bisschen zu kramen – ich weiß, dass es keine gute Idee mit Hinsicht auf meine geistige Ruhe und Gesundheit war – kam eine Nachricht.
„Gib mir sofort das Handy!“ rief Daniela aus und versuchte mir das Handy aus der Hand zu reißen. Sie verhinderte mich nicht, die Obszönitäten zu lesen. Weil mir vor den Augen dunkel wurde, sah ich nur die Abrisse: Erniedrigung, Ficken, Wonne, bedrängen… Etwas in dem Sinne. Und dann kam auch eine Illustration. Eine Fotografie meiner Freundin, nackt, auf einem Seil aufgehängt. Es war wie eine Szene von einem sadomasochistischen Film. Ich überlegte kurz, ob ich das in meinem müden überempfindlichen Kopf nicht nur ausdachte. Dann kamen aber auch weitere Fotos. Auf dem zweiten Bild war sie ohne Hose und auf dem dritten lag sie schon in einem bequemen Hotelzimmer.
Ich sah sie fragend und total verstürzt an. Sie begann etwas davon zu stottern, dass das nicht so ist, wie das aussieht, dass sie zusammen kein Sex hatten, dass es nur um Körperstrafen ging, die er ihr machte. Sollte ich ihr glauben, dass er wirklich nie seinen Schwanz in ihre Muschel steckte? Ich muss diesen expressiven Ausdruck verwenden, denn bei so großer Vulgarität gab es keinen Platz mehr für ein Feingefühl. Ich schickte mir die Fotos in mein Handy. Es war für mich zu viel. Sie wollte mir zuerst behaupten, dass es nur einmal geschah, dann gestand sie zwei Zusammentreffen, aber wie naiv ich auch war, diese Lüge fraß ich ihr nicht.
Ich musste weggehen. Ich stoppte sie schweigend nur mit einer Geste und wollte nichts mehr hören. Keine weiteren Lügen. Alles war sonnenklar. Ich nötigte mich ruhig zu bleiben, obwohl so was vielleicht jeden bewegt hätte. Ich setzte mich ins Auto und fuhr langsam nach Hause. Ich brauchte allein zu sein, aber zugleich musste ich mit jemandem sprechen und so rief ich Wolfgang an. Ich sagte ihm nicht alles, vielleicht zehn Prozent Wahrheit und er gab mir sein Wort, dass es zwischen uns blieb. Ich sollte es lieber für mich behalten. Ich ahnte nicht, dass mein Bruder gleich am Abend rausgeht und noch in dieser Nacht wird das das ganze Dorf wissen. Mein Ruf war schön gesagt im Hain.
Am nächsten Tag sagten mir die mitleidigen Blicke der Kollegen in der Firma, dass sie auch informiert waren. Ich versuchte den kühlen Kopf zu behalten, sich normal zu verhalten, im Rahmen der Möglichkeiten. Ich war dankbar, dass ich immer was zu lösen hatte, die Menge Stress befreite mich.
Sogar kamen zu mir zwei nahe Freunde, Peter und Kristian, sie hatten Angst nicht nur um meine Gesundheit, sondern auch um mein Leben. Sie dachten nämlich, dass es mich so kaputt machte, dass ich Selbstmord begehen wollen werde. Ich war nie so einer, der seine Probleme auf diese Weise lösen. Ich hätte nie Hand an mich gelegt. Umgekehrt. Ich wollte herausfinden, was dahintersteckte. Und so entschied ich mich, Werner anzurufen. Er war der Fitnesstrainer, ein sportlicher Kerl, der mit meiner Freundin die originalen sexuelle Praktiken durchführte und die Fotodokumentation in ihr Handy schickte. Ich hatte keine Pläne mit ihm, ich wollte mit ihm nur reden und herausfinden, was dahintersteckte. Daniela überredete mich stets, dass wir etwas Neues versuchen sollten, ich dachte, dass sie mich nur ins Fitnesszentrum zog, ich war ja nicht in bester Form, gegenüber meinen ehemaligen 75 Kilos nahm ich jetzt bis zu 105 zu. Das Neue, was sie aber diesmal probieren wollte, war über meinen Kräften und Vorstellungen.
Niedergeschlagen vereinbarte ich mit ihm unser Zusammentreffen in einem Gasthof bei uns. Er stimmte zu. Das Rendezvous sollte in einer Stunde stattfinden und ich musste etwas machen, um mir für die Stunde den Kopf zu beschäftigen. Und so entschied ich mich, sie anzurufen. Daniela sprach mit mir schon mit einem anderen Ton. Sie gab zu, dass sie ein Problem hatte, und das Problem war nicht klein. Sie ahnte nicht, warum sie das machte, sie gab sogar zu, dass sie vielleicht krank war und sich heilen lassen sollte. Der Grund sollte sein, dass ihre beiden Eltern starben und sie sich nach dem Verlust nicht fassen konnte und deshalb brauchte sie den Schmerz durch einen anderen Schmerz zu überwinden. Sie wollte, dass man ihr wehtat. Sie redete lange, ich hörte ihr zu und überlegte, ob so etwas möglich war. Unter anderem fielen Worten wie: ich liebe dich über alles, Karl-Heinz! Ich will dich nicht verlieren! Du bist der beste und der tollste Mann der Welt…
Werner kam mit kleiner Seele zu unserem Treffen und setzte sich gegenüber mir an den Tisch. Ich sah, wie er schwitzte und sein Blick flog stets zu meinem linken Arm, über den ich meine Jacke aufgehängt hatte. Der Arme erwartete, dass ich darunter eine Pistole versteckte und damit sein elendes Leben beenden werde. Er hatte Hose voll vor mir! Er, der Muskelberg, der durchtrainierte Kerl, der mich mit einem Zug zum Boden hingelegt hätte, zitterte jetzt vor mir und presste seinen Hintern unter dem Tisch zusammen, wie ein Fisch vor einem Hai. Es war mir eigentlich komisch.
„Beginnst du oder ich?“ fragte ich ihn ruhig.
Er begann: „Es tut mir so sehr leid!“ rief er offenherzig aus. „Ich wollte es nicht. Karl-Heinz, du bist so ein guter Kerl, ich habe so was wirklich nicht geplant.“ Sicher verlief ihm vor den Augen sein ganzes Leben im Familienkreis, seine Frau, Kinder, und dieses Bild sollte für immer verschwinden, zusammen mit seinem Ruf. Niemand im Dorf ahnte bisher, dass er außer des ehrenhaften Fitnesstrainers und Vaters der Familie auch der Sado-Maso-Spezialist war. „Sie kam zu mir und erzählte mir über ihre Eltern,“ setzte er fort. „Ich suchte eine Lösung, wie ihr zu helfen. Aber wir hatten zusammen nie Sex. Glaub mir. Es ist nur darum gegangen, dass sie… erniedrigt werden wollte. Sie bat mich, ihr Schmerzen zu verursachen, um die anderen Schmerzen zu eliminieren. Sie fühlte sich schuldig für ihren Tot…“
Ich war ihm nicht böse. Ich teilte ihm sogar mit Mitleid mit:
„OK. Nur so viel, dass ich deiner Frau einen Brief gesandt habe. Aber er ist zu ihr nicht gekommen. Er wurde zu mir zurückgesandt.“
Er griff sich am Kopf und dann, als ob er sich dafür entschuldigt hätte, erklärte er: „Sie ist nicht zu Hause. Sie hat drei Wochen Urlaub. Deshalb ist der Brief zurückgekommen.“
Wenn es mir zum Lachen gewesen wäre, hätte ich bestimmt zum Lachen zerplatzt. „Aha,“ trank ich von meinem Glas.
„Aber ich... ich schwöre dir, dass ich deine Freundin nie mehr anreden werde. Ich verspreche es dir auf das Leben meiner Kinder!“ rief er theatralisch aus.
Ich glaubte ihm nicht sehr viel, aber beide sagten dasselbe, etwas musste also daran sein. Meine Freundin ließ sich nur schlagen. Aber zugleich war es mir klar, dass bei dem Sadomasochismus die meist obszöne Praktiken im Sexbereich durchgeführt werden. Ich wollte es mir nicht einmal vorstellen. Und es war mir auch klar, dass das das Ende zwischen uns bedeutete. Ich wollte Schluss machen. Mich endlich zu befreien.
Daniela war anderer Meinung. Sie wollte auf mich nicht verzichten. Sie suchte mich ständig aus, pflaumte, überzeugte mich, dass sie ohne mich nicht leben konnte, dass sie mich nie mehr enttäuschen wird und solche Sachen, die jeder beständig ohne jede Logik wiederholt, wenn einem in die Bude regnet. Sie infiltrierte sich wieder in meinen Kopf, von dem ich mich sie endlich austreiben bemühte, bis sie erreichte, dass ich mir ein Zusammentreffen auf einem neutralen Boden verabredete. Und so trafen wir uns am Sonntag in der Firma. Sie weinte, jammerte, und dann kam - ich weiß nicht warum - wieder dieser Moment, als ich, der Irre, zu mir sagte: Ich muss diese Beziehung zusammenhalten. Und nach einer Woche und Hunderten weiterer Gespräche sagte ich den fatalen Satz: OK, bleiben wir zusammen.
Ich weiß. Sie war eine Hexe, sie rauchte, betrog, belog, bestahl und ich weiß nicht was noch. Aber ich liebte sie. Es war meine Verfluchung. Ich hätte ihr vielleicht auch verziehen, auch wenn sie jemanden getötet hätte, ich bin nicht sicher. Meine Freunde waren enttäuscht von mir. Sie sagten: Du hast endlich geschafft, dich von ihr zu befreien und was machst du – du hast ihr die nächste Chance gegeben, wievielte schon? Ich entschuldigte mich, ich wusste nicht, warum ich das tat. Ich wusste das noch eine Woche nicht. Und dann schaltete ich. Nicht nur, dass ich für diese Frau eine unerklärbare Schwachheit hatte, es war zugleich für mich wie eine wissenschaftliche Arbeit. Sie war ein Objekt meiner Forschung. Ich wollte entdecken, warum das alles geschah. Warum machte sie das, was sie machte. Ich brauchte das alles genau zu wissen und zu nennen. Ich war noch nicht fertig mit ihr. Deshalb war ich damit einverstanden.
Und Daniela bemühte sich wirklich. Sie begann sogar eine Therapie bei einer Psychologin zu besuchen. Und Wikipedia bestätigte mir das, was auch sie behauptete, und auch Werner, der Trainer: ihre Eltern hatten ihre Finger drin. Die Armen taten ihrem Mädchen sogar nach dem Tot unwillentlich weh. Sie konnte sich nach ihrem Abgang nicht fassen und auch in der Enzyklopädie war geschrieben, dass einige Frauen seltsam auf so eine Tragödie reagierten. Und nach dem Verlust der Eltern beginnen sie manchmal verschiedene Sachen zu tun, die sie nie früher machten. Aber plötzlich kam mir in die Sinne wieder das Wort von Ivet: Sponzor… Und obwohl ich an ihr sah, wie sie sich um eine Veränderung bestrebte, dass sie sich heilen ließ und sogar ein völlig neues Leben zu führen begann – sie wollte sich ausbilden, Sport treiben, hörte auf in der Firma zu arbeiten…, konnte ich aus meinem Kopf die Zweifel nicht austreiben. Dany konnte mir ohne Augenzucken lügen, und so war ich skeptisch. Auch deshalb perlustrierte ich manchmal ihr Handy. Vor allem, wenn für längere Zeit Ruhe herrschte, war ich kein Bisschen ruhig. Und wie es sich zeigte, war es nicht nur in meinem Kopf.
Die Sonntage waren bei uns immer schwerpunktmäßig. Denn auch damals war es der Sonntagmorgen, Dany schlief und ich hatte schon wieder ihr Handy bei der Hand. Und in dem Augenblick kamen zwei neue Nachrichten. Absender: Werner. Text: Ich habe eine Untergeworfene und will, dass ihr beide unter den Tisch schleicht und euch mit den Fingern begnügt. Ich werde meinen Schwanz auf den Tisch legen und euch beobachten...
Das Erbrechengefühl wurde nicht einmal nach Danielas Geständnis vertrieben. Ich sagte ihr über die Nachricht kein Wort, sie gab es selbst zu, was für sie ein Milderungsumstand war. Und mir war klar, wie Werner das Leben seiner Kinder schätzte, wenn er daran schwur, dass er sie nie mehr im Leben kontaktieren wird. Meine wissenschaftliche Arbeit ging also fort. Es war nicht die sadomasochistische Geschichte, was mich belastete, viel mehr schmerzte die Danielas Lüge. Sollte ich ihr glauben, dass Werner wirklich außerhalb ihres Interesses war?
Drei Monate verliefen und nichts passierte. Alles zeugte, dass es nur ein einziger Fehler war. So definierte ich es für mich und es war logisch: Tot der Eltern – Danielas Masochismus – Therapie – Heilung. Aber ich war nicht sicher. Ich war immer noch ihr Sponsor, die Kämpfe setzten auf beiden Fronten fort – in meinem Inneren und auch mit ihr. Die Streiten aus unverständlichen Gründen, ich wusste nicht mehr, wie weiter. Wie ich mich auch immer bemühte, sie zu verstehen, hatte ich keine Kraft mehr.
Ich ging wieder zu meiner Mutter. Nur sie konnte mir zuhören, mich verstehen, unterstützen, wenn auch stumm. Ich bat sie, mir ein Zeichen zu geben, jedes beliebige, nur damit ich weiß, was ich machen sollte. Dann kam ich mir wie ein Verrückter vor. Wie kann ich von einer Toten wollen, dass sie mir ein Zeichen gibt? Wurde ich schon durchaus wahnsinnig? Meine Mutter war doch zwanzig Jahre tot und ich erwartete von ihr immer noch Hilfe, wie als ich klein war und auf ihren Brüsten weinen konnte. Die Brüste waren nicht mehr da, sie waren unter der Erde und meine Mama konnte mir nur vom Himmel aus machtlos zusehen.
Umso schockierender waren die nächsten Ereignisse. Wenn es wirklich so war, dass die Toten keine Zeichen geben können, dann musste das ein riesiger Zufall sein, dass gerade an diesem Tag, als ich zur Firma kam, meine Kollegin zart auf meine Tür klopfte und mich vorsichtig fragte, ob sie mit mir unter vier Augen sprechen konnte.
„Aber natürlich, Natascha. Was ist passiert?“ fragte ich.
„Chef, es ist mir wirklich peinlich, aber… Ich kann es nicht für mich lassen. Ich hab Sie gerne, und deshalb riskiere ich wahrscheinlich auch meine Stelle, aber ich muss Ihnen etwas geben.“
Ich besichtige neugierig den Blätterhaufen, den sie auf den Tisch vor mich legte.
„Was ist das?“
„Dies war im Computer. Sie versuchte es zu löschen, aber es gelang nicht ganz. Einige Dokumente muss man mehrmals löschen. Es war in der Post, Chef. Verzeihen Sie es mir.“
Sie hätte am liebsten sofort verschwunden, eher als ich erfuhr, worum es ging. Sie senkte den Kopf zum Boden und wartete einen Augenblick.
Ich sah gleich, dass es um eine E-Mail-Kommunikation ging. Zwischen Daniela und jemand… Schon nach ersten Zeilen war es mir klar, wer der rätselhafte Korrespondent war. Unser Nachbar. Ich döste fragend auf einen Blatt und dann auf Natascha. „Chef, ich bin zwar fünfzehn Jahre jünger als Sie,“ sagte sie entschuldigend, „aber es ist jedem schon nach fünfter Zeile klar, was drin steht. Und auch, dass es nur ein Fragment ist…“ Mit diesen Andeutungen ging sie vom Büro hinaus und ließ mich zu dämpfen.
Ja, es war klar wie liebe Sonne. Nicht einmal jemand, wer einen so verfinsterten Sinn hatte wie ich, konnte behaupten, dass es anders war. Es war vielleicht nur ein Prozent daraus, was in Wirklichkeit geschah. Daniela schlief mit unserem Nachbarn. Ein Jahr, vielleicht mehr… Und ich ahnte nichts davon. Zu mir kam es nicht. Es war eine interessante Literatur, ein wirklich spannender Roman. Sie hatte Depression nach dem Tot der Eltern… trug Medikamente dem Nachbarn, als er krank war… Er kam oft abends zu uns zu Besuch, er war eigentlich ein Freund… Uf! Mein Kopf explodierte fast von dem Bewusstsein, dass es nur ein kurzes Muster war. Was bedeutet wohl der Satz: Bleiben wir trotz allem Freunde? Obwohl ich ein Junge aus dem Dorf war, wusste ich, was so was bedeutete. Also der Fitnesstrainer war nicht der einzige. Es gab hier noch den Nachbarn. Unseren verheirateten Nachbarn.
Am Abend nach diesem Erlebnis fragte ich sie direkt: „Was hast du mit unserem Nachbarn?“
„Was sollte ich mit ihm haben? Er ist ja unser Freund.“
Ich zeigte ihr einige Seiten von E-Mails, die sie selbst schrieb.
„OK, ich gebe zu.“ Sie hatte ja keine andere Möglichkeit. „Wir haben uns geschrieben. Aber du hast das alles schlecht verstanden. Wir sind nur Freunde. Nach seiner Scheidung habe ich ihm geholfen, sich damit abzufinden.“ Daniela ließ sich nicht nur so leicht unterkriegen. Sie war Weltmeisterin im Erzählen. Sie konnte jedes Wort so bravour verdrehen, dass es mir alles sogar logisch vorkam. Ich war müde, ich konnte ihr nicht mehr zuhören. Es war mir klar, dass auch der arme Nachbar begriff, dass er so eine Frau wie sie nicht wollte und sie zum Teufel schickte.
Ich wusste, dass das das Zeichen von meiner Mama war, dass ich sie endlich loswerde. Frauen betrügen gewöhnlich ihre Männer, wenn sie Manager sind und wenig Zeit haben, aber ich glaubte immer, dass es mir nicht passieren konnte. Ich lachte über mich selbst.
Ich begann langsam zu spüren, dass sich mein Körper ihrer Gegenwart zu wehren begann, ich krempelte sogar reflexiv mit Händen, als ich zu ihr näher kam, es war mir widerlich. Ich brauchte nur noch allein zu sein. Und Ruhe zu haben. Ich geriet an die Grenze. Und für die Überschreitung der Grenze musste ich nur noch den letzten Schritt machen.
Der kam unerwartet. Ich suchte in den E-Mails einen Vertrag, als ich unter der ausgelöschten Post noch eine E-Mail entdeckte. Die sollte auch gelöscht werden, aber war nicht. Vor drei Jahren kaufte ich ihr einen wunderschönen Audi A4. Es war in der Zeit, als ihr Vater starb. Ich erinnerte mich genau an das Datum. In dem Brief stand es Schwarz auf Weiß, dass sie eine Woche nach seinem Tot eine Romanze mit dem Kerl begann, von dem ich den Wagen kaufte. Ich kaufte von ihm dann noch meinen Audi A6 und einen Pick-Up für die Firma. Der Kerl war ein ziemlich sympathischer Mann, ich ging mit ihm manchmal sogar zum Bier und damals bedauerte er mich, wie viel ich schuften musste, um die Last der großen Firma zu tragen, er litt mit mir mit. Ich ahnte nicht, dass es uns außer Mitleid noch etwas anderes verband – Sex mit meiner Freundin. Sie machten es nicht nur in ihrem neuen Wagen, sondern auch in meinem, und als es mir in den Sinn kam, verabscheute ich ihn so sehr, dass ich ihn nicht mehr fahren konnte. Ich verkaufte ihn schließlich und tauschte ihn für einen BMW um. Symbolisch.
Sobald ich schaltete, dass Daniela die letzten Jahre regelmäßig außer mir permanent auch mit jemandem anderen vögelte, wusste ich, dass es nicht nur Auto war, was ich umtauschen musste. In den E-Mails stand alles. Mit dem Verkäufer dauerte es mehr als vierzehn Monate und außer Wagen machten sie es auch im Hotelzimmer. Der Autoverkäufer, der Fitnesstrainer, der Nachbar und zweifellos auch der Therapeut, von dem sie nach Hause immer so kaputt kam. Ich weiß nicht, ob sie sie chronologisch oder gleichzeitig hatte, aber sie genoss es auf mehreren Fronten. Ich war verekelt, aggressiv, ich konnte mich nicht auf einem Platz erhalten, ich musste möglichst weit von ihr sein. Die Frau war wie Pest. Ich mache eine Dienstreise nach Deutschland, um mich ein bisschen zu ermuntern. Ich war wie kastriert, ja, das ist der richtige Ausdruck für den Zustand, in dem ich mich befand. Wie ein Hund mit abgeschnittenen Eiern. Je länger ich in der Beziehung mit ihr war, desto mehr verlor ich meine Persönlichkeit.
Als ich mit dem Papierband nach Hause kam und sie mein Gesicht erblickte, hatte sie sogar so viel Frechheit, dass sie skeptisch grinste: „Na und? Hast du wieder eine seltsame Mail gefunden oder eine andere komische Sache?“ lachte sie. Sie amüsierte sich auf meine Kosten! Fast vier Jahre!
Ich kam zum Küchenschrank, langsam wie ein schwer kranker Mensch, der sich kaum bewegen kann. Sie saugte wirklich alles aus mir aus. „Ich habe dir etwas mitgebracht,“ sagte ich müde und legte die Blätter ins Glas. „Und ich wollte dir nur Eines sagen. Wir beide werden nie mehr zusammen persönlich sprechen.“ Ich wartete auf ihre Antwort nicht und ging weg. Ich hörte noch, wie sie hinter mir schrie: „Spinnst du? Was soll das?!“
Ich schloss die Tür, setzte mich ins Auto wie schon vielmal vorher und fuhr ab. Ich musste mich höllisch konzentrieren, damit ich nicht zu schnell fuhr und einen kühlen Kopf behielt. Ich sagte mir: Karl-Heinz, jetzt darfst du nicht wie wahnsinnig fahren.
Daniela starb für mich an diesem Tag. Sie hörte auf zu existieren. Ihre E-Mail-Korrespondenz befreite mich von dem Versprechen, das ich ihrem Vater gab. Ich war frei. Ich wollte nur noch Ruhe haben. Als ob ich nach einer höllisch schweren Touristik vom Rücken einen 30-Kilo-schweren Ranzen absetzte. Nach dreizehn Jahren.
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XVIII. „Stillstand ist der Beginn des Todes. In der Natur stirbt alles, was stehen bleibt. Und ebenso gilt es auch fürs Unternehmen. Auch eine Firma muss sich ständig erneuen, Kunden motivieren, in Technologien investieren, neue Impulse suchen und Patente entwickeln. Und das hat mir immer den größten Spaß gemacht. “ Karl-Heinz Semlitsch
Nach der Wirtschaftskrise wollte ich endlich mit neuen Produkten kommen. Ich wollte etwas Eigenes haben, vielleicht auch deshalb begeisterte mich Renato. Er war ein halber Italiener und halber Deutsche, was mir sympathisch war. Er kam zu mir mit dem Angebot, dass wir gemeinsam Profile für Fensterladen herstellen sollten. Das Norditalien war ein Stück von mir entfernt und Renato suchte einen Investor für seine Kunden.
Ich suchte etwas Neues und diese Idee gefiel mir. Ich glaubte ihm so sehr, dass ich mit hm eine gemeinsame Firma SECAR ITALIA gründete. Ich hatte vielleicht eine spezielle Schwäche für Italiener, aber es ermunterte mich auch die Äußerung des Steuerberaters von Renato, der schon kurz nach dem Start sagte, dass er noch nie eine Firma gehabt hatte, die so schnell expandierte wie die unsere. Ich kaufte also die Maschinen, mietete eine Halle und wir begannen mit der Produktion. Schon in ein paar Monaten hatten wir die ersten Produkte fertig und für den Kunden vorbereitet. Renato brauchte für den Anfang Geld und ich glaubte seinem Projekt, alles sah vielversprechend aus. Ich vertraute mich ihm sogar mit meinen Erfahrungen aus der Vergangenheit an, damit, was für einen leichten Raub ich für manche Leute war. Und ich bat ihn wie einen Freund, dass er mich nie belügt und betrügt. Er überzeugte mich mit der typisch italienischen temperamentvollen Art und Weise, dass er nichts Ähnliches vorhat und dass ich mir keine Sorgen machen soll. Es war ja auch in seiner Interesse, dass wir funktionierten, denn ich versprach ihm, dass wenn er mir half, die Firma gut anzulaufen und Erfolg zu erreichen, werde ich seine Frau bis Lebensende finanzieren, damit sie zufrieden und glücklich ist. Ich meinte das ernst.
Wir hatten vier Kunden, die von uns die ersten Produkte nahmen und dafür bezahlen sollten. Nach zwei Wochen, als das Geld von den Kunden nicht kam, fragte ich meinen neuen italienischen Kollegen, was los ist. Renato versprach mir, dass er untersucht, was geschah und die Situation auslöste. Ich war sehr geduldig, wir funktionierten ja schon acht Monate und ich finanzierte während der Zeit den ganzen Betrieb, die Räumlichkeiten, Angestellten und alle Firmenkosten. Am Ende des neunten Monates, als sich immer noch nichts änderte, fragte ich wieder Renato. Er vergaß es angeblich, aber ich sollte keine Angst haben. Ich hatte doch schon ein bisschen Angst, und so ging ich zu dem Steuerberater, beschwerte mich über die Kunden und fragte, was ich machen soll. Der Steuerberater beruhigte mich: „Herr Semlitsch! Wir leben doch in Italien! Hier dauert alles länger!“
Es war mir klar, dass in Italien auch die Zeit im Geiste der Spruch „Dolce vita“ lief und das ermöglichte jedem das Tempo zu verlangsamen, sich nie zu beeilen und das Leben nur voll zu genießen. Das war ein schöner Gedanke, aber im Unternehmen hatte es keinen Platz. Ich war wirklich nervös, als zu mir Renato kam und sagte: „Mein Freund, wir haben einen neuen Auftrag für 30000 Euro!“ Ich hatte Lust ihn zu erinnern, dass ich eine 800 m2 große Halle finanziere und einen Haufen Maschinen eingekauft habe, dass mein Leben nicht so funktioniert wie das seine – Espresso, Capuccino, Schokolade… Und so machte ich einen Einwurf: „Der Kunde schuldet uns schon seit vier Monaten Geld.“
Renato sah nicht überrascht aus: „Ich habe dir nicht über die Reklamation gesprochen?“
„Was für eine Reklamation?“ Die Überraschung wartete auf mich.
„Also… Sie haben deshalb nicht bezahlt, dass sie die Ware reklamieren mussten.“
„Ich weiß nichts über eine reklamierte Ware. Na gut, sie sollen die Ware zurückgeben und wir korrigieren den Fehler.“
„Das ist leider nicht mehr möglich,“ senkte Renato den Blick.
„Wieso?“
„Die Fensterladen sind schon montiert,“ erklärte er mit der italienischen unverbrüchlichen Logik.
„Montiert? Soviel ich weiß, in der Europäischen Union funktioniert es so, dass man zuerst bezahlt und erst dann wird das Produkt verwendet,“ erstaunte ich. „Wir können keine andere Bestellung einnehmen, solange wir die alte nicht bezahlt haben.“ Ich war entschlossen. In Italien funktionierte vielleicht wirklich nichts so wie im ganzen restlichen Europa.
Und ich wusste noch nicht, dass mich am Nachmittag das gleiche Problem mit einem anderen Kunden erwartete. Er wollte reklamieren, aber er konnte eigentlich nicht, denn er baute die Fensterladen schon an. Und bezahlen kann er auch nicht, denn er ist mit der Produktion nicht zufrieden. Ich kam mir wie in Dings Dorf vor. Die Anrufe mit dem dritten und vierten Kunden gaben mir den Rest. Das gleiche Szenarium. Wieder die Reklamation, aber sie konnten das Produkt nicht zurückgeben, denn er wurde schon verwendet.
Von Renato kam eine weitere gute Rat: „Du musst auf das Geld warten, es ist nichts zu machen.“
Es dämmerte mir langsam, dass hier nicht alles läuft, wie es laufen sollte. Und so ging ich mit ihm in den Lager, um den Zustand zu kontrollieren. Dort sollten 500 m Profile vorbereitet sein. Es gab dort nichts. Ich sehe meinen Partner fragend an. „Alle sind beim Kaschierer,“ antwortete er prompt.
„Wie viel?“ fragte ich ungeduldig.
„Das weiß ich nicht genau.“
„Wo ist der Lieferschein?“
„Ich bringe ihn gleich,“ sagte Renato und verschwand ganz blas. Als er zurückkam, zuckte er ratlos mit den Schultern. „Ich kann ihn meiner Treu nirgendwo finden.“
Ich hängte den Kopf und fasste ihn an. Warum schon wieder?! Meine Ahnung sagte mir gut vor. Als ich ins Hotel ankam, öffnete ich mir eine Flasche Rotwein und trank sie aus. Den Kaschierer anrufen kann ich auch morgen. Wenn ich die Flasche nicht ex trank, hätte ich keine Minute geschlafen. Je nach meiner Erwartung bestätigte mir der überraschte Kerl, dass er keine Ware hatte. Renato behauptete wieder, dass er nicht wusste, wo die Profile waren und mir war es klar, dass ich hier endete. Ich verlor wieder ein paar Tausende Euro und ich traf eine weitere Enttäuschung. Ich schloss die Firma und gestärkt von einer nächsten Erfahrung setzte ich den qualvollen Weg des Unternehmers fort.
Es war nie leicht, aber darauf musste ich vorbereitet sein. Jede weitere Erfahrung bedeutete für mich eine gewisse Enttäuschung, aber zugleich eine Belehrung. Und es halfen mir auch meine Angestellten, die bei mir meistens in Freude und Leid wie eine treue Ehefrau standen. Sie waren wie eine Familie für mich, ich konnte mich auf sie verlassen und sie wussten auch in den schwersten Augenblicken, was ich brauchte. Als ich mich zum Beispiel endlich von Daniela trennte, waren die Frauen im Büro so begeistert, dass sie als Feier mit mir mit Champagner zuprosten und mich mit einem Faschingsumzug entspannen wollten.
Ich gönnte meinen Angestellten froh zweimal pro Jahr ein bisschen Spaß, ich wusste, dass es für Erhalten der positiven Atmosphäre wichtig war, und so war ich auch mit dieser Weise Unterhaltung einverstanden.
„Chef, wir haben eine Superidee!“
„Was für eine?“
„Wir ziehen uns in Kostüme um!“
„Kostüme? Was für Kostüme?“ fragte ich neugierig. Ich brauchte meine Laune ein bisschen zu verbessern und etwas unschädlich Verrücktes zu machen. Die Idee gefiel mir.
„Wir werden Bienen Majas sein!“ rief eine meiner Sekretärinnen aus.
„Wieso?“ lachte ich über die Idee.
„Weil das Firmenlogo schwarz-gelb ist und wir fleißig wie Bienen sind, ist es gerade treffend!“
„OK. Und was werde ich sein?“
„Sie sind doch der Willy!“
Und sie begannen mit der Vorbereitung. Sie nähten Kostüme für alle und mein Bruder Wolfgang verlieh uns sogar einen allegorischen Wagen – seinen Traktor mit dem Anhänger. Sie dekorierten ihn zwei Tage und – mama mia! – der Ergebnis war toll. Als sie mich in das Kostüm von Willi anzogen, bat ich die Mädels, dass sie mich ordentlich schminkten und maskierten, damit mich niemand erkannte. Ich setzte mich in den Traktor, den ich zum ersten Mal im Leben fuhr und wir traten zu dem Tausend Leuten in Kostümen bei, die durch die Stadt im Faschingsumzug zogen. Alle lachten, ich glaube, dass noch mehr, als sie mich sahen und trotz der Maske erkannten. Es war ihnen völlig klar, wer am Steuer des Traktors in der gelbschwarzen Willy-Maske saß. Es war Show und ich muss sagen, dass ich mich ausgezeichnet amüsierte.
Bis zum Moment, als ich mit dem Teufelsmaschine zur Kreuzung kam und der Traktor hörte auf mir zu gehorchen. Ich trat vergebens das Bremsenpedal, der alte Schund lehnte ab anzuhalten. Ich fuhr in die Kreuzung gerade im Moment, als sich zu mir ein Auto in hoher Geschwindigkeit anstürmte. Es hatte keine Handbremse, unsere Situation sah wirklich drohend aus und ich hörte hinter mir die aufgeschrockenen Schreie von Menschen.
Im letzten Moment schaffte das Auto uns umzufahren und ich entspannte mich, dass es schließlich zu keinem Unfall kam. Ich trank einen ordentlichen Schluck von dem angebotenen Schnaps. Alle tranken wie ein Loch. Auch mir bat ständig jemand Stamperle mit verschiedenem Alkohol, Gin-Tonik, Sliwowitz und andere Alkoholarten an, von denen ich nach der Ankunft ins Ziel schon ziemlich betrunken war. Ich schaffte noch meinen allegorischen Wagen zu parken, als es mir endlich gelang, ihn anzuhalten. Im Zelt, wo man dann mit der Unterhaltung fortsetzte, traf ich auch meinen Sohn mit einem hübschen Mädel. Auch er hatte heidenmäßigen Spaß von meinem Kostüm. Willy passte mir wirklich ausgezeichnet. Und die Idee war toll, wann kann man sich ja sonst so entspannen, nur wenn man seine Identität versteckt. An diesem Tag waren wir alle gleich, kein Chef und seine Angestellten, sondern nur ein summender Bienenstock. Wir lachten bis zur Erschöpfung der letzten Kräfte.
Auch an Weihnachten amüsierten wir uns immer gut. Ich machte regelmäßig Party für meine Leute, und jeder musste in der Tombola eine Kleinigkeit gewinnen, der Hauptpreis war oft ein Wochenendaufenthalt. Außerdem bekam jeder drei Drinks kostenlos. Es arbeiteten bei mir schon um siebzig Menschen und manche kamen persönlich zu mir, um sich zu bedanken, dass sie bei mir arbeiten können. Das war ein ausgezeichnetes Gefühl. Wir waren ein klappernder Organismus, in guten und schlechten Zeiten, obwohl manchmal ein Problem mit jemandem vorfand und einige Menschen musste ich auch umtauschen. Aber auch das gehörte zum Leben der Firma. Um nicht zu stagnieren, mussten wir eine regelmäßige Reinigung durchzumachen – in Technologien, Mitarbeitern und Produkten. Wenn wir in einem Punkt stehen geblieben wären, wäre der eine frühere Tod gewesen. Ich wollte die Leute motivieren, aber die, die mich bremsten, mussten weg, obwohl mir es oft tat. Die Emotionen mussten aber zur Seite gehen. Auch das ist eine der Aufgaben eines Chefs.
Ich nahm immer gerne neue Aufforderungen ein, auch als zu mir mein ehemaliger Schwiegervater kam – der, der mir kein Stück seines weitläufigen Grundstücks für den Ausbau eines Hauses überlassen wollte – und plötzlich wollte er mit mir unternehmen. Er hatte immer noch 25000 m2 Grundstücke und er entschied sich, dieses Eigentum der Bank anzubieten, als Garantie, wenn ich mit ihm drin gehe. Es war für mich etwas Neues und wieder etwas, an was ich glaubte. Er bat mir sogar einen Teil seiner Erde, aber für mich hatte das keinen Wert mehr.
Und so öffneten wir zusammen den Skiort Lammeralm. wir kauften ihn, ich 85 Prozent und mein Schwiegervater 15. Ich brauchte dafür kein Kapital von der Bank, ich hatte in der Zeit eigene Mittel. Ich war überzeugt, dass es eine gute Entscheidung war. Es war nur noch notwendig, den Teich abzukaufen, der auf dem Grundstück von 20000 m2 lag. Diese Wasserfläche brauchte ich beim Schneien des künstlichen Schnees. Ich war entzückt, als von mir der ehemalige Bauer für den Teich eine Million Euro wollte. Ich war nicht so naiv, dass ich ihm so viel Geld gegeben hätte. Ich entschied mich anders. Ich wollte die komplette rechte Seite des Bergs kaufen, mit der Fläche 800000 m2. Ich hätte das auch gemacht, aber als ob mir jemand vom oben ein Signal gegeben hätte. Genau in diesem Jahr kam kein Schnee. November, Dezember und auch Januar waren vorbei, die ganze Hauptsaison war verloren. Der Schnee kam erst in März. Dann fielen zwei Meter, aber das hatte keinen Sinn mehr, niemand wollte mehr Ski fahren. Ich verlor wieder viel Geld. Aber im Geiste meines Credos „immer kann es besser sein“ glaubte ich, dass das nächste Jahr positiv sein wird. Je mehr ich aber investierte, desto schlimmer war das. Es kam der nächste Winter. Dezember – wieder trocken und 30 Prozent des Jahresgewinns weg. Obwohl Anfangs nächsten Jahres wurde das ein bisschen besser, Januar und Februar waren gegen Dezember im Skiort tot.
Inzwischen starb mein Schwiegervater und ich wurde zum einzigen Eigentümer. Ich entschied mich, es noch einmal zu versuchen. Manchmal kamen so wenige Leute, dass ich nicht einmal das Personal bezahlen konnte. Der Umsatz war kaum einhundert Euro und ich musste fünfzehn Leute plus Betrieb des Skiliftes, der Kanone und so weiter bezahlen. Als im November des nächsten Jahres Schnee fiel, freuten wir uns alle. Wir erwarteten nicht, dass es diesmal eine Woche dauern wird. Im Dezember kam nämlich der warme Strom und statt Frost waren 5 Grad plus. Am zwanzigsten Dezember konnten wir wieder schließen, was für mich liquidierend war. Mit den verlorenen Weihnachten verlor ich wieder vierzig Prozent des Jahresgewinns. Es begann mir klar zu sein, dass ich bis Höhe 1500 m über See ich keine Chance hatte. Und Lammerlam war in der Höhe von 1300 m. Mein Schwiegervater belastete sich deswegen mit vielen Schulden, schlug nicht wenig Geld in den Ausbau des Skiliftes und mein Schwager hoffte wieder, dass ich in seinen Gasthof auf dem Berg Leute lockte, wenn ich den Skiort erhalten werde.
Ich fand also die Mieter. Ich wusste nicht, dass diese Leute keine Ahnung über Funktionieren eines Skiortes hatten. Und auch nicht, dass sie so leichtsinnig und oberflächlich werden, dass es für sie zu viel Arbeit bedeutete, den Teich von Froschen zu reinigen, bevor sie die Schneekanonen anschalteten.
Es war eine Symbolik der Verderbnis. Im Teich lebten Hunderte oder Tausende Frosche, die, sobald sie mit der Schneeherstellung begannen, zusammen mit Schnee von den Kanonen ausschossen, in Stücke zerhackt. Überall rundum wälzten im Schnee abgerissene Glieder, die Körperfetzen und Eingeweide der Tierchen herum, die elenden Geschöpfe fanden eine schreckliche Tod wegen der Bequemlichkeit der Eigentümer und statt Schnee lagen auf dem Abhang versprühte Stehkader.
Das war Schluss. Ich begriff, dass ich wieder eine ungünstige Investition traf und ich musste es schließen. Zusammen mit den Fröschen und meinem Geld blieb tot auch das Skigebiet Lammeralm.
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XIX. „Mit den Rechtsanwältinnen und Steuerberaterinnen sollst du nie etwas anfangen. Hände weg. Das war meine Lebensweisheit.“ Karl-Heinz Semlitsch
Im Jahr 2013 fing meine slowakische Geschichte an. Ich gestehe, es war in der Zeit, als ich immer noch mit Daniela lebte und die Fessel nicht loswerden konnte, die ich freiwillig selbst auf meine Hände und Füße anlegte, als ich ihrem Vater moribund versprach, dass ich mich für sie sorgen werde. Sie bedrückte mich maßlos, auch deshalb suchte ich Zuflucht in meiner Arbeit und war offen jeder neuen Perspektive – wenn auch nicht im persönlichen Leben, dann wenigstens in der Arbeitsexistenz.
Es war hier Ivet, meine slowakische Mitarbeiterin. Sie arbeitete bei mir in der Firma schon zwei Jahre und wir hatten eine fast freundliche Beziehung. Deshalb freute ich mich ganz, als sie uns anbot, dass sie und zu ihren Eltern in die Slowakei nimmt, damit sie uns ihr Heim zeigt. Wir entschieden uns also, dass wir uns einen Ausflug machen, obwohl das eine lange Strecke war – 600 km. Ich nahm auch meinen Bruder Wolfgang mit seiner Freundin mit und wir machten uns auf den Weg. Ich fuhr schon kreuz und quer durch ein schönes Stück der Welt und die Slowakei war ja unser Nachbar und ich war dort noch nie. Es fiel mir ein, dass es nicht unvernünftig gewesen wäre, mit meiner Produktion gerade dort zu expandieren. Der Ost des Landes, woher Iveta stammte, war ein guter Knotenpunkt der Gesellschaftswege zu den neuen Märkten, die ich erobern wollte. Plávnica, wo ihre Eltern wohnten, ist 30 km von Ulm, 100 km von Ukraine, 150 km von Ungarn entfernt, das gefiel mir.
Die Fahrt bar sehr erschöpfend. Obwohl ich gewöhnt war, lange Reisen nach Deutschland und anderswohin zu unternehmen, hatte diese kein Ende. Es regnete, die Wege waren schlecht, eng und unbequem, auf einigen Wegstücken schwabbelten wir wie auf einem Traktor, daran war ich nicht gewöhnt. Manchmal fehlte sogar die Autobahn, sodass es hundert Jahre dauerte, bis wir nach Osten gelangten, unter die Hohe Tatra. Alle waren von der Fahrt müde und vergiftet, natürlich, am meisten blubberte Daniela und auch mein Bruder. Ihnen gefallen die alten Häuser, Armut und Schmutz nicht, die für uns etwas Neues waren. Und besonders eine gewisse Unkultur, die von den Bewohnern dunklerer Haut ausging, die wie Butzemänner am Rande der Wege erschienen und uns neugierig beobachteten. Mir gefiel das alles. Es war ein eigenartiges Land mit wunderschönen Bergen und das Dorf Plávnica gefiel mir auf ersten Blick. Die Eltern von Iveta waren wunderbare Gastgeber und herzliche Leute und Ivet machte alles dafür, dass wir einen guten Eindruck von ihrem Geburtsort hatten. Sie zeigte uns die Umgebung und auch Nowy Targ, wir waren ja ein Stück von der polnischen Grenze und in Polen war ich früher auch nicht. Ich entschied mich, dass ich hier eine Halle finden werde, die ich abkaufen und eine neue Produktion beginnen werde.
Nach der Rückkehr nach Österreich gab ich Iveta die Aufgabe, mir passende Räume zu finden und sie kam bald mit dem Angebot von zwei Hallen in der Umgebung von Plaveč, unweit von ihrem Geburtsdorf. Ich war neugierig und obwohl es schon Anfang Dezember war und es fror gründlich, machte ich mich wieder auf den Weg in die Slowakei. Ich hatte nur Halbschuhe und einen Anzug an, ich gebe zu, keine passende Bekleidung ins Ostwetter. Es war vierzehn Grad minus und ich ging so ausgerüstet die Hallen zu besichtigen.
Ich hatte eigentlich einen Eindruck, dass ich eine Besichtigung von einer Ruine nach der Bombardierung machte und der Haufen von Ziegeln stürzte bald auf mich ab. Es gab hier Jahre lang evident niemand mehr und die Halle kam mir passender für die Aufstallung des Viehs vor, als für meine Produktion. Der Eigentümer der Räumlichkeiten, Herr Šidlovský, war auch mit uns. Der Mensch erinnerte mich schon beim ersten Anblick an einen ausgedienten Pirat, mit seinem nackten Kopf, umwickelt von einem Tuch, dem schmutzigen Hemd, die von seiner Hose herausragte und mit seiner „schlafmützigen Eleganz“, die die fehlenden vorderen Zähnte unterstrichen. Die Erscheinung von einem alten Seemann konnte er weder mittels der goldenen Ringen und massiver Kette verdecken, die ihm um seinen dicken Hals hängte, noch seiner schlanken großen Sekretärin, die neben uns langsam schritt. Sie war von einem Tuch verhüllt und von ihrem Gesicht konnte man nur die Augen sehen.
Uns allen war es kalt und ich hatte Gefühl, dass ich in meinen Anzugschuhen zum Boden anfror, noch bevor wir den großzügigen Raum durchquerten. Stellenweise sah der Raum ein bisschen erhaltener, aber der allgemeine Eindruck war überhaupt nicht positiv. Deshalb war ich neugierig, für welchen Preis mir sie der Besitzer anbietet.
Eher wir uns zum Restaurant begaben, wo wir uns an den Bedingungen vereinbaren sollten, kam zu mir die Sekretärin von Herrn Šidlovský, und redete mich mit dem reinen Deutsch an: „Erlauben Sie mir, mich Ihnen vorzustellen. Ich bin Tatiana Hennelová, die Steuerberaterin von Herrn Šidlovský. Wenn ich Ihnen irgendwie helfen und Sie unterstützen könnte, wenn Sie sich entscheiden, in der Slowakeit zu unternehmen, werde ich Ihnen gerne zur Verfügung stehen. Bitte schön, hier ist meine Visitenkarte. Rufen Sie mich ruhig jederzeit.“
„Ja… danke schön.“ Ich beobachtete überrascht das verhüllte Gesicht der großen Frau, die ich für Sekretärin des Besitzers hielt und nahm die gegebene Visitenkarte. „Ich melde mich gerne an,“ freute ich mich über das Angebot. Ich kannte hier außer Iveta niemanden mehr und sprach kein Slowakisch, ich werde sicher ihre Hilfe brauchen. Nach den Worten verabschiedete sie sich und beeilte sich weg.
Mit dem Herrn Šidlovský setzten wir uns dann ins Restaurant, wo – wie ich hoffte – wir uns übereinkommen werden, obwohl ich von der Halle ziemlich enttäuscht war. Wie jedoch Iveta sagte, war hier in der Umgebung kaum etwas Besseres zum Kaufen, also hoffte ich, dass wenn er einen guten Preis anbietet, kaufe ich sie, obwohl es notwendig war, in die Rekonstruktion zu investieren.
„Also, Herr Semlitsch, was sagen Sie?“ Herr Besitzer schärfte seinen Blick an mich mit der Erwartung. Er war vorbereitet zu verkaufen. Ich sah es an ihm, wie sehr es ihm auf dem Verkauf der Immobilie lag und ich munterte ihn auf: „Na, ich denke, dass wir uns irgendwie vereinbaren können. Welchen Preis stellen Sie sich vor, Herr Šidlovský?“
„Ich glaube, adäquat wäre… sagen wir, eine Million Euro.“
Ich begann zu husten, das Mineralwasser, das ich gerade trank, blieb in meinem Hals stehen. Es kostete mich viel Überwindung, ihn nicht zu bespucken, als er die Summe auf mich warf. Als mein Hustenanfall aufhörte, lachte ich auf.
„Ich befürchte mich, dass ich schlecht gehört habe. Wie viel haben Sie gesagt?“
„Eine Million Euro,“ bestand er auf seiner Forderung und amüsierte sich gar nicht auf seinem Witz so wie ich.
„Aha. Sie meinen das also ernst. Dann alles Gute und tschüß.“ Ich stand auf, denn diese Gelegenheit zeigte sich nur als verlorene Zeit.
„Aber… warten Sie doch…“ Der witzige Herr wollte mich aufhalten.
„In Österreich würde ich eine völlig neue Halle mit kompletter Ausstattung für maximal 600000 bauen, Herr Šidlovský. Niemand gibt Ihnen eine Million für die Ruine.“
„Aber, Herr Semlitsch, wir können darüber noch reden.“
Der Mensch war entweder Idiot, oder ein Außerirdischer. „OK, ich gebe Ihnen 500000. Auch das ich zu viel.“
„Das nicht…“ wandte er schwach ein. Wollte er wirklich noch aushandeln?
„Also auf Wiedersehen,“ wiederholte ich ungeduldig und wusste, dass ich mit diesem Menschen wirklich nicht mehr sprechen kann. Ich überlegte mir, dass ich den Raum für mein Unternehmen wirklich selbst finden muss und kehrte zurück nach Österreich.
Es sah schon hoffnungslos, als mich Ivet plötzlich anrief, dass der Šidlovský es sich anders überlegte und er willig war, mir die Räumlichkeiten auch für dreihunderttausend zu verkaufen. Das kam mir immer noch zu viel vor und ich überlegte über eine andere Lösung. Ich wollte die Slowakei nicht aufgeben, obwohl es dort eigenartige Leute gab. Der markt und die Verbindung mit den umliegenden Staaten zog mich sehr an. Bei der Entscheidung half mir auch, dass ich eines Tages zufällig in der Anzugstasche die Visitenkarte fand. Ich vergaß schon die Frau, die sie mir in der grimmigen Kälte gegeben hatte und es machte mir Freude.
Ich öffnete die Webseite ihrer ökonomischen Firma und entschied mich, sie ein Bisschen zu vertippen. Die Seite sah sehr gut aus. Alle Gesichten lachten mich an, waren freundlich, es gefiel mir, dass sie wirklich professionell wirkten und außerdem beherrschten sie Fremdsprachen: Deutsch, Englisch, Russisch, Polnisch, Tschechisch. Gut, ich rufe sie an, sagte ich mir und ich vereinbarte einen Termin für die nächste Woche.
Wir sollten uns in einem Cafe im großen Einkaufzentrum Eurovea in Bratislava treffen. Ich kam also auf die vereinbarte Stelle. Sie war noch nicht da. Ich ging langsam um das Cafe spazieren und sah sie aus, als mich plötzlich eine Schönheit im weißen Kleid fesselte. Trotz der Kälte, langte ihr Kleid nur über die Knien und darauf hatte sie eine geschmackvolle Jacke, die mit ihren weißen Stiefeln harmonierte. Sie sah wunderschön aus und ich dachte mir, dass die Slowakinnen wirklich hübsche Frauen waren. Frau Hennelová sah ich immer noch nicht. Auf einmal drehte sich die Frau im Weißen zu mir und ich sah ihre Augen. Sie waren dieselben, die mich von dem traurigen verhüllten Gesicht in der kalten zerfallenen Halle anschauten. Sie lächelte mich an und es kam mir in den Sinn, dass es sie war.
Wir saßen dort zwei Stunden und die ganze Zeit redeten wir zusammen über verschiedene Themen. Zuerst stellten wir uns vor, sie sagte mir, was alles ich machen muss, wenn ich eine Firma in der Slowakei gründen will, welche Gesetze in der Slowakei gelten. Ich fühlte mich wie ein Kind, ich konnte die Sprache nicht und auch nichts über das Land, wo ich zu arbeiten plante und bei manchen Sachen konnte man sich ohne Slowakisch nicht helfen. Frau Hennelová führte die Buchhaltung vielen Firmen aus Polen, Ukraine, Russland, Österreich. Sie machte Eindruck auf mich. Sie wirkte wirklich professionell und außerdem hatte sie wie Mensch eine sehr sympathische Ausstrahlung. Sie war angenehm und herzlich, es gab nichts Böses in ihr und sie hatte eigentlich absolut keinen Fehler. Ich hatte gleich das Gefühl, dass ich ihr vertrauen konnte und das war für mich in dieser Zeit sehr kostbar. Ich war gerade in dem Punkt, als sich in meinem Privatwesen die masochistische Angelegenheit mit dem Fitness-Trainer und Daniela geschah, ich war sehr verletzt und verletzbar. Ich konnte niemandem meine Schwäche zeigen, denn in der Welt des Unternehmens ist das so, dass wenn du einem Menschen zeigst, dass du schwach bist, will man dich noch mehr verletzen. Ich wollte das nie mehr erleben.
Bei dieser Frau hatte ich aber keine Befürchtungen. Wir trafen uns wieder nach zwei oder drei Wochen, ich hatte Pflichten mit meiner slowakischen Filiale. Und bei jedem unserem weiteren Treffen fand ich immer größeres Vertrauen zu ihr. Es war gegenseitig und ich fühlte, wie zwischen uns Freundschaft entstand und sich formte. Das passierte mir viele Jahre nicht mehr. Wir duzten uns schon, damit die Barriere zwischen uns definitiv verschwand und ich mit ihr leichter sprechen konnte. Je öfter wir zusammen redeten, desto mehr öffnete ich mich ihr und bald vertraute ich mich ihr schon auch mit meinen persönlichen Sachen an. Wir sprachen schon auch über unsere Kinder, Beziehungen und Lebensenttäuschungen.
Mein Ziel war es, eine der größten Karbonfirmen der Welt aufzubauen. Aber auch mit der Slowakei hatte ich Pläne. Ich wollte dort die große Kompositpresse aufstellen. Schließlich vereinbarte ich mich auch mit Herrn Šidlovský, dass ich die Halle mietete und wenn ich sie in der Zukunft kaufen will, kaufe ich sie später ab. Ich wollte dort die Kanalsysteme herstellen, die in Österreich fast keine Gewinne wegen der hohen Kosten, besonders Personalkosten brachten. In der Slowakei ging es umgekehrt gut, die Kosten waren halb so groß und es funktionierte. Ich musste zwar jeden Monat einmal oder zweimal in die Slowakei fahren, denn die Bürokratie, die dort herrschte, war so grässlich wie in Österreich und ich musste beständig überall persönlich gehen, obwohl ich mit manchen Sachen meine Steuerberaterin beauftragte. Es machte mir kein besonderes Problem, denn ich konnte mich dabei immer mit ihr treffen.
Ich bewunderte Tatiana immer mehr. Sie kümmerte sich um Hunderte Firmen und zwanzig Damen, die in ihren Büros in Prešov und Stará Ľubovňa arbeitete, respektierten sie und hielten fleißig die Firma im Gang unter ihrer Leitung. Und plötzlich kam der Moment, als es mir bewusst wurde: Mein Gott, diese Frau würde mir gefallen! Ich hatte riesige Angst vor diesem Augenblick, denn in Einem war ich bis jetzt sicher: Mit den Rechtsanwältinnen und Steuerberaterinnen sollst du nie etwas anfangen. Hände weg.
Und dann kam der Tag – der Tag meines definitiven Scheidens mit Daniela. In der Zeit schrieben wir uns mit Tatiana schon intensiv und ich war gebrochen, erschöpft und auf die Schultern gelegt. Ich fühlte mich allein und Tatiana war irgendwo weit für mich. Sie war mir mit ihrem Denken so sehr nah und dabei physisch so entfernt. Wenn ich auch die meine Weisheit über die Steuerberaterinnen schon irgendwie vergaß, konnte ich mir einfach nicht vorstellen, dass ich eine Beziehung mit einer sechshundert Kilometer entfernten Frau gehabt hätte!
In diese meinen vorsichtigen Betrachtungen rief sie mich plötzlich an und lud mich nach Prešov ein. Ich hatte einen Termin in Košice, wo ich einen Vertrag unterschreiben sollte. Ich sollte also zuerst zu ihr in die Firma kommen und dann sollten wir zusammen nach Košice fahren, die nur zwanzig Kilometer von Prešov war.
Ich war von ihrem Haus ebenso verzaubert wie von ihr. Sie begrüßte mich in ihrer Villa – eine Frau wie sie konnte nichts Kleineres und nichts weniger pompös und dabei, wie sie mir erzählte, ihr Palais bildete sie selbst. Sie kaufte ein altes Haus und mit Hilfe der geschickten Meister verwandelte sie es zu einem Kunststück. Von außen her sah es wie eine Villa auf der Küste, kein Bisschen ähnlich wie die umliegenden Gebäude und eigentlich kein Haus, das ich in diesem Land gesehen hatte. In Österreich gar nicht. So was sah ich nur vielleicht in Italien am Meer. Weiße Balustraden, pompöses weißes Tor mit goldiger Patina auf den geschmiedeten Blättern und Ästen der Rebe, weiße bogenförmige Fenster und Gemälden mit der gleichen Thematik, die Weingöttin lächelte mich von der Fassade des dreistöckigen Gebäude an. Schon der Garten wirkte auf mich originell, verschiedene Figuren aus bunten Steinen, statt eines klassischen Rasens kleine Steinchen und davon emporsteigende Sträucher, eine untraditionelle Reflexion des Geschmacks und Kunstempfindung der Besitzerin.
Als ich in ihre Villa kam, strahlte alles vor Sauberkeit, weißer und schwarzer Marmor und dazu passende zyklamenfarbene Wände… Und das Treppenhaus! Ich hatte noch nie in meinem Leben solche Treppen gesehen. Die Wangeträger aus dem rosa gefärbten Holz und weißes Geländer von Rebe verflochten, ringelten sich vom Erdgeschoss mit Büros bis oben in den Wohnraum. Ich fühlte mich beehrt, dass ich treppauf aufsteigen und in die Privatsphäre der Frau einsehen konnte, die mich immer mehr faszinierte. Sie war unwirklich! Ebenso wie ihr Haus! Solche Häuser gab es in Österreich nicht, so eine Phantasie hatte ich bei keinem meiner reichen Freunde gesehen. Und die Küche, weiße antiquarische geschnitzelte Schränke mit dem Arbeitsbrett aus schwarzem Mosaik, die Wände wieder belebend zyklamenfarbig und die anderen Möbel im Wohnzimmer, die mit der Küche verbunden war, ebenso antiquarisch, weiß gefärbt im Kontrast zu der weißschwarzen Diele. An den Wänden standen zwei moderne Glasvitrinen, eine Kombination zwei scheinbar unterschiedlichen Stils, die zusammen eine originale Symmetrie bildeten. Ihr Geschmack war völlig ähnlich wie das meine, alles in dem Haus war meine Augenweide. Und am meisten die, die das alles hinzauberte.
Ich war so sehr beeindruckt, ich hatte sogar Angst vor meinen Emotionen, die mich mit jeder weiteren Minute in ihrer Gesellschaft walzten. Wir tranken einen Orangensaft, eine Weile saßen wir bei ihr und obwohl ich am liebsten auch den Rest des Hauses besichtigt hätte, hatte ich keinen Mut sich so was zu wünschen. Danach gingen wir in die Stadt, Tatiana wollte sie mir zeigen. Mein Auto parkte ich beim Zentrum und wir gingen mit regsamem Schritt durch die Stadt spazieren. Wir aßen in einem gemütlichen Restaurant, lachten viel zusammen und uns unendlich lange unterhaltet. Der Abend war einfach fantastisch. Die Zeit verging zu schnell und mein Körper war zu müde, obwohl mein Sinn wollte sich von ihr nicht verabschieden, in ihrer Gesellschaft möglichst lange zu bleiben. Ich war glücklich und ihre Augen strahlten, also wusste ich, dass es gegenseitig war. Ich war zwar schon siebenundvierzig, aber ich fühlte mich auf dreißig, nicht nur der Sport, zu dem ich mich nach langer Zeit zurückkehrte, machte mich jünger, sondern auch sie. Es war für mich etwas Seltsames und noch nie Erlebtes mit einer Frau.
Obwohl ich nicht nach Hause gehen wollte und sie wollte mit mir noch bleiben, spürte ich, dass ich nach der Fahr total erschöpft war und ich nicht lange ein angenehmer Gesellschafter zu sein aushielt. Wir gingen also zu meinem Auto, um sie nach Hause zu bringen. Ich sollte in einer schönen Pension im Zentrum schlafen. Als wir uns verabschiedeten, küssten wir uns auf beide Wangen und gerade in diesem Augenblick beleuchtete der Mond ihr Gesicht. Und ich sah in ihren Augen ihre ganze Seele. Der Augenblick brannte sich für immer in mein Gedächtnis ein. Ihre Augen waren voll von Sternchen. Ich spürte, dass sie mich umarmen wollte, vielleicht wollte sie noch mehr, ich hatte aber Angst, dass ich es alles anders verstand und nur die Anzeichen davon sah, wonach ich mich selbst sehnte, uns so riss ich mit Überwindung von ihr los, wir stiegen ins Auto ein und ich fuhr sie nach Hause. Sie winkte mir noch vor ihrem Haus und verschwand.
Ich spürte, dass etwas zwischen uns an diesem Abend geschah. Es gab Frauen, die mit mir etwas anfangen wollten. Aber ich war nie ein Playboy, mein Stil war es nicht, vom Bett zu Bett zu springen. Viel mehr bedeutete für mich Treue und Ehre. Ich hatte Angst und war unsicher, aber gräulich müde. Und trotzdem wälzte ich nur im Bett von Seite zu Seite und konnte nicht einschlafen. Es ärgerte mich, weil ich wirklich kaputt war. Was passiert mit mir, zum Teufel?! Es verliefen Minuten, Stunden, ich weiß nicht wie, es war plötzlich zwei Uhr und ich schlief immer noch nicht. Auf meiner Haut fühlte ich ihre weiche, zarte Haut..
Es fiel mir ein, mein Handy in die Hand zu nehmen. Ich schicke ihr eine Nachricht. Und ich schrieb. Auf einmal schaltete ich. Karl-Heinz, du bist aber ein Idiot! Was fiel dir ein, um zwei Uhr ihr eine SMS schicken, dass du nicht schlafen kannst? Wie erkläre ich es ihr morgen nur?! Aha… ich sage ihr, dass das Bett so hart war, dass ich nicht einschlafen konnte. Es würde gehen… Nachdem ich das geschrieben hatte, bewältigte mich die Müdigkeit und ich schlief endlich ein. Ich ahne nicht, wie viel Zeit verlief, als plötzlich mein Handy klingelte und ich entzifferte verschlafen die Buchstaben auf dem Display: Ich kann auch nicht schlafen stand dort. Ich schlief ein und fiel ab. Das war wirklich komisch. Wir waren wie Adoleszenten. Zwei Menschen, nicht am jüngsten, schreiben sich gegen Morgen schreiben, dass sie nicht schlafen können.
Am nächsten Tag wusste ich gar nicht, wie ich mich verhalten sollte. Nach dem Frühstück ging ich zu ihr. Sie öffnete mir die Tür, ich begrüßte sie höfflich, aber wir standen dort beide wie angeschmiedet, etwas hing in der Luft zwischen uns, wir wussten nicht, was zu sagen. Die Mittellosigkeit war weg. Weder ich noch sie konnten uns gegenseitig in die Augen schauen, als on wir etwas begangen hätten. Und so wanderten wir mit unseren Blicken durch die Umgebung, dann nahm ich sie verlegen ins Auto und erst als ich bemerkte: „Das war aber eine kurze Nacht,“, lockerte die Spannung endlich und wir beide lachten auf. Wir schämten uns wirklich wie kleine Kinder. Ich war froh, dass ich drin nicht allein war. Und dass sie lustig war.
Unterwegs hatten wir beide ständig gute Laune, im Wagen herrschte Freundschaft und ich freute mich, als Tatiana fragte, ob ich sie zu ihren Eltern nach Trenčín mitfahren ließ. Sie wohnten irgendwie in der Nähe, in einer kleinen Stadt Nová Dubnica. Wenn sie gewusst hätte, welche Freude sie mir machte, als ich mir vorstellte, dass wir zusammen die nächsten drei Stunden im Auto verbringen. Ich und diese wunderschöne Frau neben mir im Auto, so nah… Sie wurde mir in letzten Monaten so nah, ich hatte eigentlich noch nie in einer Frau so einen Freund, mit dem ich wirklich über alles mittellos sprechen konnte.
Ich kam mir sooooo klein. Auch vor den Frauen in ihrem Büro. Als ich es betrat, war es wie eine Feuertaufe. Alle maßen mich von oben bis unten durch, sie waren auf den Österreicher neugierig, der sie nicht einmal slowakisch begrüßen konnte. Ich kam mir peinlich und dumm vor. Und ich ahnte noch nicht, was auf mich bei ihren Eltern erwartete. Ich freute mich zuerst, als sie mich zum Kaffee einlud, ich dachte, dass ich den kurzen Höflichkeitsbesuch schnell erledigen werde.
Als wir an der Tür klingelten, öffnete ihre Mutter die Tür. Es war ein bisschen korpulente Dame mit einer hoch toupierten Frisur und großen strengen, aber freundlichen Augen. Hinter ihr stand ihr Vater, ein würdig aussehender Mann mit einem grauen Schnurrbart, schon auf ersten Blick ein sehr intelligenter Mensch. Es gefiel mir, wie herzlich sie ihre Tochter begrüßten. Es war klar, dass sie sie sehr gerne sahen. Ich wollte mich nicht lange in ihrem Familienkreis aufzuhalten, ich hatte ehemalig vor, nur schnell den Kaffee zu trinken und meine Fahrt nach Österreich fortzusetzen. Deshalb blickte ich erstaunt an die vollen Teller, die vor uns die Frau Gondová stellte. Es dampfte davon und das Essen sah lockend aus, es war ein Fleisch nach Art Stroganow. Ich war schon auf die typisch slowakischen Gerichte gewöhnt, die ich bei meinen Besuchen dieses Landes entdeckte. Ich hatte aber keinen Hunger und besonders störte mich die Tatsache, dass sich die Mutter von Tatiana eng zu mir setzte und mich die ganze Zeit anstarrte. Ich hatte Gefühl, dass sie detailliert meine Hände, mein Gesicht, meinen Mund beobachtete, in den ich das Essen einlegte… Nach einer Minute hatte ich genug und konnte nicht mehr. Unter ihrem strengen Blick schwitzte ich fast und war wie ein vierzehnjähriger Junge, der zum ersten Mal zu den Eltern seines Mädchens zu Besuch kam. Ich drückte bittend die Hand von Tatiana und sie begriff mich sofort. Sie sagte ihrer Mutter etwas slowakisch, was ich natürlich nicht verstand, sie stand auf und ging in die Küche. Ich dankte ihr sehr. Mit Tatianas Vater konnte ich mich schon besser unterhalten – er konnte auf Deutsch ziemlich gut, er war Ingenieur und einmal hatte er eine bedeutende Funktion in der örtlichen elektrotechnischen Forschungsanstalt. Die Mutter war die ehemalige Lehrerin auf Pension, vielleicht darum wirkte sie so streng.
Als wir mit dem Essen fertig waren, dachte ich, dass ich nur schnell den Kaffee trinke und gehe. Ich irrte mich. Frau Gondová begann mir ein großes Foto an der Wand mit allen Enkelkindern und Tatianas Schwestern zu zeigen, dabei redete sie fleißig und Tatiana musste mir alles übersetzen. Sie hatte zwei Schwester – Ärztin Marína und Lektorin Erika, die die jüngste war. Sie erzählte über die Töchter stolz, besonders über Erika, die eine leidenschaftliche Schriftstellerin war. Ich war sehr begeistert von Menschen, die Bücher schreiben konnten, obwohl in diesem Fall mich die Bemerkung sehr Leid tat, dass sie die Bücher herausgab, verdiente sie kaum Geld damit.
Außer den Frauen waren die Enkelinnen auf den Fotographien, nur Mädchen und außer Vater und Ehemänner kein einziger Mann. Und dann kam die Mutter zu dem Hauptthema: dem Garten. Sie erzählte gründlich davon, stolz darauf, dass sie dort alles selbst machte.
Obwohl ich nichts verstand, fühlte ich mich gut dort. Es waren angenehme und gastfreundliche Menschen. Nach dem Essen bekamen wir Kaffee und Kuchen und dann hob sich Tatiana, sie suchte vielleicht auch eine Weise, wie wir noch eine Weile allein bleiben konnten und sie entschied sich, mir den Garten zu zeigen. Frau Gondová freute sich evident darüber, obwohl Tatiana auch etwas anderes vorhatte. Wir gingen zwischen den Beeten mit verschieden Blumen und Pflanzen bis zum Glashaus spazieren. Als sie drin kam, stolperte sie und ich nahm ihre Hand, damit sie nicht fiel. Sie erzählte mir ständig etwas, ich hörte ihr zu und wir berührten uns spontan alle nasenlang.
Ich war unsicher wie ein Junge, ich, der jeden Tag die Firma mit mehr als sechzig Leuten führen musste. In einem Augenblick blieben wir plötzlich zwischen den Bäumen stehen und ich spürte, dass die große Weile gerade kam. Es schien mir aber, dass sich die Gardine auf dem Fenster bewegte und ich vertraute mich Tatiana mit meiner Verdächtigung, dass wir beobachtet wurden. Sie lachte und bestätigte meinen Eindruck. Und so übergingen wir den ganzen Garten in einem freundlichen Gespräch, bis der Moment meiner Abfahrt kam. Ich wollte gar nicht weggehen. Ich verabschiedete mich von ihren Eltern und Tatiana begleitete mich zur Tür.
Ich stand dort wie ein angeschossener Bock und wusste nicht, was mit mir vorging. Ich fasste sie bei der Hand und sie trat einen Schritt näher zu mir. Und… Wir küssten uns. Endlich. Ich wollte das schon längst machen und schon damals wusste ich, dass es unvorstellbar zauberhaft sein wird. Es dauerte keine Sekunde, keine zwei, sondern die Ewigkeit. Ich ahne nicht, wie lange wir uns küssten, aber sicher mehr als eine Minute. Dann rissen wir uns schwer voneinander los und ich sah, wie ihre Augen leuchteten. Mein Kopf drehte sich um und ich verlor das Gleichgewicht. Die Frau bestrickte mich so sehr, dass ich nicht wusste, wie ich hieß und was noch schlechter war, welche Richtung ich fahren sollte. Deshalb kam ich erst bei Žilina zu sich und sah, dass ich auf der Autobahn Richtung Stará Ľubovňa fuhr. Ich war so verirrt, dass ich vergaß, dass ich nach Bratislava gehen sollte und ich nach Hause nach Österreich fuhr.
Vor meinen Augen projizierten wie ein Film alle unseren gemeinsamen Momente, alle Weilen, als ich mir sagte: Uau! Diese Frau ist ein Wunder! Sie war ein Freund an meiner Seite, mit dem ich lachen konnte, sie war hilfsbereit, anständig, ihre Augen strahlten vor Herzlichkeit und ich sah sie nie traurig oder böse… Sie war einfach fantastisch! Ich wurde fast wahnsinnig vor ihr! Ich verliebte mich in diese Frau und verstand gar nicht, wie es passieren konnte. Nach einem Kuss! Ich musste mich teuflisch konzentrieren, dass ich am Steuer keine Dummheit machte, aber es ging mir überhaupt nicht. Ich hielt es nicht lange aus und musste sie anrufen. Wir sprachen wieder lange zusammen und sie sagte: „Ich muss dir etwas gestehen. Als wir gestern durch die Stadt spazieren gegangen sind, alles erschien mir so wunderschön zu sein und du war ein erstaunlicher Gentleman.. Aber ich hoffte trotzdem, dass du mir noch schreiben wirst, als wir uns verabschiedet haben.“
„Ich wollte das sofort machen,“ gestand ich auch. „Aber ich Esel vergaß mein I… im Autound weil ich gewöhnt bin, alles nur damit zu machen, die E-Mails und SMS schreiben, schaltete ich nicht, dass ich auch mein Handy nutzen kann.“ Ich war so durcheinander, dass ich über mir selbst lachte und konnte auch die nächste Nacht nicht schlafen.
Ich musste sie wieder sehen. Ich plante ehemalig in die Slowakei wieder nach vier Wochen zu reisen, aber alles veränderte sich mit unserem einzigen Kuss. Es war uns beiden klar, dass wir uns verliebten. Tatiana wurde das Wichtigste in meinem Leben. Alles, was die letzten Jahre passierte, wurde gelöscht, war nicht mehr wichtig. Ich hatte ein bisschen immer noch Angst, dass ich wieder enttäuscht werden könnte, aber ich hatte ein gutes Gefühl. Und ich wollte sie möglichst bald wieder sehen. Darum vereinbarten wir uns ein weiteres Zusammentreffen in Bratislava in sechs Tagen. Die sechs Tage kamen mir wie Ewigkeit vor. Ich wollte bei dem Treffen gut aussehen, zog einen meiner besten Anzüge und das Hemd mit orangenfarbenen Knöpfen und Saum. Ich wusste, dass sie eine Vorliebe in guter Bekleidung hat und einen außergewöhnlichen Geschmack, deshalb kam es mir darauf an. Ich hielt auf mich und weil ich viel Sport trieb und auf das Essen aufpasste, war ich in guter Form.
Sobald ich in die Menschenmenge in Eurovea, wo wir uns treffen sollten, hineinschlüpfte, fiel sie mir gleich ins Auge. Sie strahlte inmitten der Masse heraus. Wir küssten uns und von diesem Augenblick küssten wir uns die meiste Zeit, wir sprachen schon weniger. Ich konnte mich von ihr nicht losreißen. Die Frau fesselte mich immer mehr. Sie sprach mit einem herrlichen Akzent und ich spürte, wie gut ihre Gesellschaft meiner Seele tat. Ich bewunderte sie, mit welcher Leichtigkeit sie die fünfundzwanzig Frauen in ihrer Firma organisierte und fütterte, und auch dafür, dass sie von der Null begann wie ich und von Nichts erbaute sie ihre Firma. Wir sprachen auch über unser erstes Zusammentreffen in der Halle, als ich sie irrtümlich für die Sekretärin des grausamen Menschen hielt. Ich ahnte nicht, warum sie an dem Tag so eingezogen und traurig war. Ich hätte die Antwort nie gelöst. Sie hatte dafür einen ernsten Grund – es war der zehnte Tag nach ihrer Herzoperation. Wie jeder Angriff ins Herzen, auch dieser war gefährlich. Sie vertraute sich mir, wie sehr sie sich befürchtete, dass sie nie mehr ihre Kinder sehen wird und ich war riesig beeindruckt. Auch deshalb, dass sie mich an meine Kristina erinnerte, deren Herzchen auch operiert wurde. Und Tatiana, statt sich nach so einer Operation auszuruhen, griff gleich die Arbeit an, suchte einen neuen Klienten und fand mich. Ich wollte mich von ihr nicht mehr trennen, obwohl auf mich die Arbeitspflichten warteten und ich bei ihr nicht bleiben wollte. Wir vereinbarten uns am nächsten Zusammentreffen nächstes Wochenende bei ihr in Prešov.
Wir tauschten dann täglich Zehnte von Nachrichten um, riefen uns an, weil wir uns sehnten, uns jede mögliche Weile zu hören und mir war es klar, dass ich endlich die richtige Frau traf. Sie war kein dummes Mädchen, sondern eine selbstständige Frau und was für mich sehr wichtig nach den letzten Erfahrungen war, sie erwartete nichts von mir. Nichts außer der Wärme, Zuneigung, Ehre, einfach Liebe von ihrer schönsten Seite. Das wollten wir beide.
Als der Moment kam und ich zu ihr nach Hause kam, ahnte ich nicht, welche Überraschung dort auf mich warten wird. Im Wohnzimmer stand ein Abendessenstafel wie für einen berühmten Besuch: der feinste Porzellan, Vorspeisen, Suppe, Nachtische verschiedener Art… Essen wie für acht Leute. Ich stand dort bestürzt und sah den vollen Tisch, denn Tatiana gestand sich, dass sie nur selten kochte und sie schämte sich sehr dafür. So sehr, dass sie sich in den Kopf setzte, mich mit so einer Bewirtung zu überraschen. Sie lud deshalb eine Freundin ein und sie widmeten den ganzen Nachmittag der Zubereitung dieses pompösen Abendessens für mich. Ich war begeistert, hatte solche Freude, dass sie sich wegen mir so bemühte, ich wusste, dass ich es nie vergessen werde.
Wir aßen zusammen, lachten und uns bis Morgen unterhielten und unsere Liebemachen war dann genauso traumhaft wie alles andere. Gegen morgen schliefen wir süß müde ein und am nächsten Tag zeigte sie mir die Stadt Prešov. Sie gefiel mir sehr, die Statue von Kaiserin Sissi auf der Hauptplatz und die alten Gebäude in dem Kern erinnerten mich daran, dass wir eigentlich beide mit denselben Wurzeln verbunden sind und waren einmal Bestandteil der rieseigen Monarchie, die gemeinsame Geschichte verknüpfte uns.
Ich und Tatiana stellten zwei unterschiedlichen Welten dar: sie die Welt der Steuerberater und ich die Welt der Unternehmer. Ich kannte nie so eine intelligente Frau, die mit ihrer Seele eher einem Mädchen ähnlich war und sie sagte mir, dass sie nie einen Unternehmer wie mich traf, der außer der technologischen Ausstattung auch über so eine soziale Kompetenz verfügte. Meine Leute in Firma hielt ich wirklich für „meine Kinder“, ich kümmerte mich immer um sie, als sie Probleme hatten, Exekution am hals oder Gerichte, wenn sie Geld brauchten oder sonst etwas, wo ich ihnen hilfreich sein konnte. Und so bewunderten wir uns und gegenseitig unsere Liebe verpflegten, bis sie zu Riesenmaß aufwuchs.
Ein Jahr verlief und wir wuchsen immer mehr zusammen. Meine Freunde waren über sie begeistert, ebenso wie meine Söhne, die mir sagten: „Papa, diese Frau mögen wir“ und ich verschwamm von Glück. Tatiana hatte zwei Töchter – Erika und Natália, beide sehr klug und erfolgreich und ich gewann beide nach kurzer Zeit. Es war für sie wichtig, dass sie die Mama glücklich sahen, und so akzeptierten sie mich bald. Ich lernte auch den Freund von Erika, David, den Medizinstudenten, kennen. Er war auch ein Sportfan wie ich und wir verstanden uns gleich. Und ebenso mit Soren, den dänischen Verlobten von Natália. Er war zuerst ihr Professor auf der Uni in Kopenhagen, wo sie studierte, und auch ein intelligenter und erfahrener Junge, dessen Vater einer der reichsten Däne war, einer der Vorstände der Mark Colgate, und dabei war Soren ein völlig gewöhnlicher Junge, von dem Vaters Reichtum nicht gezeichnet. Wir alle kamen immer mehr näher, verbrachten zusammen viel Zeit und überreisten durch ein großes Stück der Welt, bis wir zu einer Familie wurden. Es schien, dass das Schicksal zu mir endlich sein freundliches lächelndes Gesicht zuwandte.
Nur die Krankheit vom Vater betrübte mich sehr. Er hatte Krebs, genauso wie Mama, und er lebte damit schon viele Jahre. In der letzten Zeit wurde aber sein Zustand schlechter. Trotzdem lehnte er die Chemotherapie ab, nahm nur Morphium gegen seine maßlosen Schmerzen. Als ich ihm Tatiana vorstellte, war er über sie fasziniert und freute sich sehr über uns. Er bemühte sich sogar zu setzen, als wir zu Besuch kamen, obwohl er nur noch saß und sehr schwach war. Es beeindruckte mich sehr. Wir verbrachten zusammen auch sein letztes Weihnachten. Nach zwanzig Jahren trafen wir an diesem Fest wieder zusammen. Es war wunderschön. An seinen letzten Tagen trafen wir bei ihm alle: seine Freundin, mit der er die letzten …. Jahre lebte, Wolfgang, ich und auch Manuela. Dort sahen sie sich mit Tatiana zum ersten Mal. Ich befürchte mich ein bisschen dessen, aber das, was passierte, erwartete ich wirklich nicht. Sie umarmten sich wie alte Freundinnen. Ich erwartete nie von meiner Exfrau so eine Geste. Sie kam zu Tatiana, umarmte sie und es war ein Friedenszeichen, ein Zeichen davon, dass sie sich respektierten. Und der Vater erhob sich auch in diesem Moment von letzten Kräften und umarmte mich fest.
Ich wusste, dass er sich von mir verabschiedete. Mein Herz wurde vor Traurigkeit fast gebrochen und die Tränen kullerten über meine Wangen runter. Ich war sprachlos. Ich vergesse den Moment nie. Er war aber nicht traurig. Es war keine jammervolle Verabschiedung von einem sterbenden Menschen, es war wunderschön, denn wir konnten uns verabschieden. Ich durfte seine Hand halten und sogar mein Sohn Alex kam von selbst zu seinem Opa in ein paar Tagen zu Besuch. Es war eine große Geste von ihm, sie trafen sich nicht oft und ich hatte in der letzten Zeit auch nicht genug Zeit für meinen Vater. Wir sahen uns nur dreimal pro Jahr. Umso dankbarer war ich, dass ich mich von ihm jetzt verabschieden konnte.
Einige Zeit nach dem Besuch, ich war gerade auf dem Weg zu Tatiana, rief mich plötzlich Wolfgang an und sagte, dass Papa tot ist. Ich kehrte zurück und wir saßen mit meinem bitterlich weinenden Bruder in der Küche. Es tat ihm Leid, dass sie mit Papa so oft Streit hatten. Ich tröstete ihn, dass der Vater ihm ja längst verziehen hatte. Ich war nicht trübselig, denn wir konnten uns verabschieden, es war keine schlimme Trauer, sondern eine schöne Trauer. Alles war gut, Papa quälte sich nicht mehr.
Ich erinnerte mich daran, wie mein Vater die letzten Jahre immer wieder fragte: „Karl-Heinz, wessen Firma ist das?“ Ich sagte ihm: „Meine.“ Er verstand es nicht. „Ja, aber… bei wem arbeitest du?“ Es ging ihm nicht in den Kopf. Er war ein einfacher Arbeiter, er arbeitete sein ganzes Leben mit Händen und konnte sich gar nicht vorstellen, dass sein Sohn ein Unternehmer sein konnte. Als er mich im Fernsehen sah, war er stolz auf mich. Wir hatten ja einmal in einer kleinen Hütte gelebt und jetzt besaß ich einige Produktionshallen und bildete neue Sachen, die aber hinter der Grenze seines Verständnisses waren.
Auf dem Friedhof lagen schon alle: Mama, Tochter, Bruder, Vater. Immer wenn ich dorthin gehe und ihre Gräber sehe, denke ich mir, dass ich einmal auch zu ihnen gehen werde. Ich hoffe nur, dass es noch nicht so bald sein wird.
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XX. „Ich möchte noch viel schaffen, viele Dinge auf dieser Welt ändern. Und je mehr ich mich an diesen Veränderungen beteiligen kann, desto mehr macht es mir Spaß. Unser Planet braucht Schutz. Wir verbrauchen Energie und ich muss darauf kommen, wie sie wieder zu erfinden.“ Karl-Heinz Semlitsch
Im Mai 2016 begann für mich eine neue Arbeitsetappe. Ich bekam einen seltsamen Auftrag von einer gewissen deutschen Firma von Dresden. Es waren spezielle Profile, etwas bis jetzt in meiner Firma nicht realisiert. Es wurde uns damit eine völlig neue Dimension geöffnet, denn diesmal ging es um Profile mit der Größe 600 mm und Länge 21 m, was für uns riesige Nummer waren.
Ich ahnte gar nicht, worum es ging, denn die Vertreter der Gesellschaft verrieten mir zunächst nichts. Ich sah auf ihnen, dass sie von unseren innovativen Technologien fasziniert wurden und sobald sie meine Räumlichkeiten besichtigt hatten, entschieden sie sich, SECAR eine Bestellung für zweieinhalb Millionen Euro auszubieten. Ich wusste nur, dass es um vier Prototypen gehen wird. Die Leute kamen nämlich ständig mit neuen Veränderungen. Aber ich dachte mir: der Kunde ist der Herr und für das Geld lohnte es sich schon. Ich ahnte, dass es ein großer und bedeutender Bruch für die Firma sein wird und schließlich auch für mich, obwohl ich mir nicht einmal im Geist vorstellte, was für ein Lebenszusammentreffen wartet mich bald.
Ich wurde nämlich nach Dresden eingeladen, wo ich den Betrieb vom Kunden besichtigen und seine Hauptvertreter treffen sollte. Schon zum ersten Blick war ich begeistert, alles dort war weiß, sauber und neu. Wir setzten uns in den Besprechungsraum und ich begann den Vertrag über unsere Technologien. Ich wusste, dass vor mir die Begegnung der Persönlichkeit war, welche ich bis dahin noch nicht traf. Das am meisten geachtete Mitglied des Vorstandes war Herr Professor Huffenbach. Seinen Namen kannte ich, es ging doch um die bedeutendste Persönlichkeit Deutschlands im Fach der Leichtkonstruktionen und Kunststoffe. Sobald er den Raum betrat, sprangen alle wie Raketen auf und von ihren Augen strahlte ein riesiger Respekt gegenüber dem alten Herrn. Er musste schon gut siebzig sein und sein Alter gab ihm noch an der Würde bei. Ich schätzte ihn selbst übermäßig.
Als er mich sah, schaute er sehr freundlich an mich und lächelte nett: „Áááá... Sie sind also Herr Semlitsch!“ Ich war überrascht, denn er sagte das, als ob ich für ihn bekannt gewesen wäre. Ein bisschen flankiert nickte ich zu. „Bitte, setzen Sie fort,“ munterte er mich auf, als sich alle wieder setzten. Ich hatte plötzlich trocken im Hals und konnte nicht sprechen. Ich hatte vor diesem Menschen wirklich einen großen Respekt. Ich trank ein Schluck Wasser und kam wieder zum Atem. plötzlich aber, ungefähr nach einer Minute meines Vortrags, sprang mir der Professor ins Wort: „Herr Semlitsch... ich studiere Sie schon lange und beobachte einige Jahre Ihre Tätigkeit und ich muss Eines sagen: Sie sind ein absoluter Spezialist. In meinen Augen gehören Sie zu den besten Leuten, die sich mit den Kompositen beschäftigen, auf diesem Planet!“
Ich begann fast zu stottern und überlegte, ob der Professor sich mit mir Spaß machte oder ich wirklich sein Kompliment einnehmen konnte. Der Raum drehte sich mit mir ein. Was kann schon so eine bedeutende Persönlichkeit aus Deutschland von jemandem wie ich wisse, den sie heute zum ersten Mal im Leben sieht? Er sprang jedoch in meine Erwägungen und ich war noch erschrockener: „Meine Herrn, ich will noch eines sagen: Dieser Mann schaffte etwas, was ich nie schaffte. Er hat ein Joint-Venture mit dem Konzern EVONIC gegründet ohne dass er sein Gesicht verloren hat. Lieber Herr Semlitsch, ich ziehe meinen Hut vor Ihnen!“
Ich war so berührt und zitterte fast von so viel Anerkennung, die ich von dieser berühmten Persönlichkeit bekam. Es bedeutete für mich viel, mindestens so viel wie die allen Bezeichnungen, die ich bis jetzt gewann. Die anderen im Raum sahen an mich wie an einen kleinen Engel und ich machte meinen Vortrag fort, gestärkt von der Belobung. Herr Professor Huffenbach unterbrach mich mit seinen schlauen, treffenden, frech intelligenten Fragen, die ich, Gottesdank, beantworten konnte. Nach zwei Stunden verdiente ich dafür noch eine Belohnung: „Also, Herr Semlitsch, und jetzt gehen wir gemeinsam in mein Institut, ich möchte Ihnen meine heiligen Hallen zeigen.“
Ich war neugierig und dankbar für seine Einladung, und so besichtigten wir uns zusammen mit dem Projektleiter die Dresdner Universität und ich war noch mehr begeistert, dass ich mit so ausgezeichneten Fachmännern zusammenarbeiten konnte. Der Professor war für mich ein riesiges Vorbild und ich bewunderte ihn auch dafür, dass es ihm gelang, vom Staat eine Millionendotation zu bekommen, die er in sein Unternehmen investieren konnte.
Ich fürchtete mich nur des Termins, der über mir wie das Schwert von Damokles hing. Erst am Ende Oktober bekam ich nämlich die notwendigen Daten und konnte mit der Produktion beginnen. Der Abgabetermin war aber der 23. Dezember und das bedeutete nicht nur das, dass die Firma in zwei Monaten zwei Millionen Euro gewann, sondern auch, dass wir das wahrscheinlich nicht schaffen werden. Erst als wir zwei Profile erstellten, begriff ich endlich, worum es ging. Es war der modernste und beste Zug, der je erzeugt wurde. Der Beste von Besten und WIR erstellten ihn! Mit der Unterstützung vom Herrn Professor, der mir sagte:
„Herr Semlitsch, wenn Sie das zusammenbringen, werden Sie sehen, was wir gemeinsam noch schaffen werden!“ Ich wusste, dass ich ihn nicht enttäuschen konnte und ich werde das nie machen.
„Lieber Herr Professor, ich gebe mein Bestes! Nicht einmal, sondern zweimal oder viermal!“ sagte ich ihm. Das war mein Ziel. Ich wollte es. Und ich war es sicher. auch das, dass ich diesmal nicht die Standardkarbonfaden benutzen werde, sondern die besten. Ich wollte das, sah die Vision vor meinen Augen und es war mein Ziel.
Gerade damals sah ich ein Dokument darüber, wie sich das Leben auf der Erde in 50 Jahren verändern wird. zwei Drittel aller Leute werden in den Städten leben, was sieben Milliarden Menschen in den Städten bedeutete. Nur in Metropolen wie Schanghai oder Peking wird es 30 Millionen sein, in Österreich 8,5 Millionen… Und sie können nicht alle Autos haben. Deshalb ist es klar, dass sie sich auch mit anderen Verkehrsmitteln bewegen werden und besonders mit Zügen, Schnellbahnen, U-Bahnen. Und noch klarer war es, dass diese Maschinen leichter sein müssen werden, damit sie sich schneller bewegen können werden. Je weniger sie wiegen werden, desto weniger Energie sie für die Beschleunigung brauchen werden und ihre Bestandteile fünfzig Jahre aushalten werden.
Alles, was sich bewegt, machte mir immer Spaß, und jetzt hatte ich die Möglichkeit mich an der Entstehung des Zuges zu beteiligen, der mit Geschwindigkeit 600 km/Stunde fahren konnte, was bedeutete, dass man von Wien nach München in 50 Minuten fuhr und man nicht mehr fliegen müssen wird. Wir erzeugten also die ersten zwei Speziellprofile, die 300 Kilo wogen – für uns waren sie superschwer, aber in der Welt der Stahlkonstruktionen war das eine Leichtgewicht und die Substanz um eine Hälfte fester und fünfmal leichter als Stahl.
Ich war stolz wie ein Pfau, denn der Direktor eines riesigen chinesischen Konzernes mich kennenlernen wollte, der die modernsten Züge produzierte. Professor Huffenbach war in China für die internationale Zusammenarbeit ausgezeichnet und der chinesische Ministerpräsident schüttelte seine Hand für die Kooperation zwischen Deutschland und China. Der Professor teilte mir diese Nachricht gleich mit, denn er gewann mich genauso wie ich ihn lieb, und was das Beste war, mir wurde auch der Weg zu diesem Staat geöffnet. Es war einer der meist geachteten Technologen der China, der das Interesse, mich kennenzulernen äußerte. Mit mir, dem Jungen aus Steiermark.
Und so kam die Delegation der sieben Chinesen. Ich zog einen meiner besten Anzüge an und präsentierte ihnen das ganze Projekt. Es gefiel ihnen, aber sie trieben mich an, damit ich schneller bin. Sie wollten nämlich die ersten auf der Welt sein, die den Zug mit dieser Technologie erstellten. Sonst waren sie sehr freundlich. Es war für mich große Ehre, als sie mir das Geschenk gaben – Spielzeugzug, der neueste und modernste Zug, der bei uns noch nicht existierte. Nach dem Rundgang in meiner Firma gingen wir zusammen in ein der besten Restaurants Steiermarks, wo ich der Partie der Chinesen unsere Spezialität anbot – Gordon Blue. Dieser Schnitzel war aber nicht nur so einer – er wog 400 Gramm. Am Anfang lachten wir, in der Hälfte kämpften wir und nach zwei Stunden, als wir mit dem Essen fertig waren, fielen wir fast unter den Tisch. Und ich ahnte noch nicht, welche Trinker die schlitzäugigen Jungs waren. Nach ihrer Nationaltradition musste ich mit jedem von ihnen mit der ganzen Bierkanne anstoßen und voll trinken. So hatte ich schon in einer Weile in mir nach dem satten Essen noch mehr als Liter Bier. Meine Gefährten nannten mich witzig Mr. Sendwitsch, denn sie hatten Problem, meinen Namen auszusagen. Und so unterhielten wir uns zusammen, besprachen unsere Unternehmerpläne und zum Schluss schenkte ich ihnen auch ein kleines Päckchen mit steierischen Spezialitäten.
Schließlich schlugen sie mir in guter Laune vor: „Mr. Sendwitsch, kommen Sie zu uns nach China! Solche Menschen wie Sie brauchen wir! Sie sind Innovation, Sie sind die Zukunft!“
Ich war geschmeichelt und fragte: „Was würde ich in China machen?“
„Sie gründen dort die Firma,“ erwiderten sie. „Sie bekommen vom Staat das Geld, Sie werden sehen.“
„Und von wem werde ich Aufträge haben?“ fragte ich, ernst über die Idee nachdenkend.
„Na doch von uns!“
„Das gefällt mir. Wir bereiten das gemeinsam vor und wir können das machen,“ antwortete ich entschieden.
Und so war ich Anfang 2016 wieder sehr motiviert, aber zugleich frustriert. Wie immer, zusammen mit jedem Erfolg kam Hand in Hand ein unerwarteter Wund. Und gerade auf der Stelle, wo ich ihn am wenigstens erwartete. Ich sollte vorsichtiger sein. Es erschienen ständig Menschen, die mir meine Technologie stehlen wollten.
Achtzehn Jahre arbeitete ich mit der Firma Otto Pock zusammen und wir erstellten Prothesen für sie. Das letzte halbe Jahr realisierte ich dabei meinen genialen Gedanken, den ich niemandem verriet. Ich nützte sie gerade bei Prothesen aus. Sie waren unzerstörbar, man kann sie auf keine Weise beschädigen oder kaputtmachen. Alles in der Dokumentation war vollkommen vorbereitet, genau definiert, der Projektleiter war begeistert. Wir sollten 200000 Prothesen pro Jahr produzieren, zu den die Bestellung bekam und wir alle freuten uns darüber.
In drei Wochen rief mich plötzlich jemand von ihnen an: „Herr Semlitsch, wir haben ein Problem.“
Ich wunderte mich, was für ein Problem entstehen konnte, denn von meiner Seite war alles vollkommen. „Unser Vorstand hat beschlossen, dass in Zukunft alle Prothesen nur bei uns gemacht werden.“
Das Telefon fiel mir fast von der Hand. Ich verstand vielleicht schlecht. „Langsam, warten Sie mal. Moment,“ atmete ich ein und wollte es nicht glauben. „Das letzte Jahr investierte ich einhundert Tausend Euro in den Prozess der Herstellung, analysierte ihn, der Management arbeitete daran, dass alles perfekt ist.“
„Leider, der Vorstand hat entschieden.“
Das war das Letzte, was ich von ihnen hörte. Ende. Mit diesen Leuten wollte ich nie mehr im Leben etwas Gemeinsames haben. So enttäuscht war ich nicht einmal nach allen den Diebstählen, die mir das Schicksal in Zusammenarbeit mit den Betrügern und Dieben, die mir den Weg kreuzten, auftischte. Sie stahlen meine Idee, wieder. Aber ich atmete tief ein und sagte mir: Alles im Leben hat seinen Anfang und sein Ende.
Und das war der Anfang der neuen Etappe. In meinem Kopf gebären immer neue und neue Ideen und Gedanken, die ich zu realisieren sehne. Am Anfang ist immer meine Sehnsucht. Und dann folgt der Schöpfungsprozess, wenn ich meinem Gedanke eine konkrete Form ausleihe. Außer dem E-Port, den ich im Kopf fünf Jahre trug und dafür die richtige technologische und Investitionslösung suchte, wurden in mir auch weitere Ideen geboren, die ich in Gegenwart zu Projekten verwandle.
Immer mehr lockt mich die Mobilität. Und gerade mit dem E-Port, der schließlich auch auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt erscheint und von Mercedes ausgestellt werden wird, steige ich in die Welt der Mobilität ein, die mich seit jeher fasziniert hatte. Ebenso, wie es mir schließlich mit E-Port gelang, glaube ich, dass ich in naher Zukunft auch das Projekt Semi realisieren werde. Es ist ein Fahrzeug für zwei oder vier Menschen, etwas zwischen Fahrrad und Auto, das leicht sein wird und man wird damit ohne Benzin bequem durch die Stadt fahren können, nur mit elektrischem Antrieb. Mein Port sollte nicht nur fähig sein, jedes elektrisches Fahrzeug einzuladen, sondern weil er die Energie auch speichern können wird, wird man damit das ganze Haus einladen. Der ganze Haushalt wird an diese Energiequelle angeschlossen und wird von keinem Öffentlichkeitsnetz abhängig sein.
Im Horizont von fünfzig Jahren werden sich die Menschen nicht nur auf dem Boden bewegen, sondern auch in der Luft, die Fahrzeuge werden völlig autonom sein, man wird nur einen Knopf brauchen, damit ihn das Fahrzeug vom Punkt A zu Punkt B bringen wird. Ich glaube es, denn die Menschheit mit Meilenschritten nach vorne zieht und ich will ein Mitteil dieser Entwicklung sein, ein Teil der Zukunft.
Ich denke auch andere Arten der Energieproduktion aus, wobei meine Ideen die Solar- und Windenergie ausnützen. Im Kopf habe ich eine Windturbine, die ich noch ein Jakr entwickeln werde, und auch eine Solar-Wind-Anlage, die zugleich die Sonne und den Wind ausnützen, Energie produzieren wird, die sie auch speichern kann, und sie wird auch als eine Elektro-Tankstelle dienen wird. Und zugleich wird man sie für die Beleuchtung der Stadt verwenden.
Die Entwicklung läuft sehr schnell, das einzige Problem ist dabei der Mensch. Die Leute sind noch nicht soweit, um den letzten Sprung zu schaffen. Um die Spannung zwischen der alten und der neuen Gesellschaft zu überwinden. Und ich kann nur hoffen, dass sie nicht alles zerstören, was sie schon geschafft hatten und sich nicht in einen weiteren Krieg verwickeln, der alles zerstören würde.
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